Publikation Staat / Demokratie - Parteien / Wahlanalysen Kommentar zu den Wahlen in Italien am 24. Und 25. Februar 2013

Von Birgit Daiber und Ginostra di Lipari.

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Birgit Daiber,

Erschienen

Februar 2013

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Nur online verfügbar

Die Wahlen in Italien haben kein eindeutiges Ergebnis gebracht.  Entweder müssen Neuwahlen ausgeschrieben werden, oder aber es wird – wie so oft –  lange dauern, bis eine Regierung gebildet werden kann.  Denkbar ist aber auch die Bildung einer Interims-Regierung, deren einzige Aufgabe eine Reform des wirklich sehr komplizierten Wahlverfahrens ist (eine Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahl im Abgeordnetenhaus, die Regionalisierung der Wahlen für den Senat).

Die Wahlbeteiligung mit 74 Prozent lag etwas niedriger als bei den letzten Wahlen 2008.  Die nicht-sozialdemokratische Linke ging gespalten in die Wahl.  Das Mitte-Links-Bündnis aus „Partito Democratico“ (die aus der kommunistischen Partei hervorgegangen ist), „Sinistra, Ecologia, Libertà“ (SEL) von Nichi Vendola, die sich nach der Spaltung der Rifondazione Comunista 2008 gründete und anderen kleinen Formationen hat im Abgeordnetenhaus eine leichte Mehrheit gewonnen. Allerdings erhielt die SEL allein im Abgeordnetenhaus lediglich 3,20 Prozent der Stimmen und im Senat nur 2,97 Prozent.

Die im vergangenen Herbst neu entstandene Formation „Rivoluzione Civile“ um den Anti-Mafia-Staatsanwalt Antonio Ingroia, zu der sich auch Rifondazione Comunista zählte, hatte mit 2,24 Prozent der Stimmen weder im Abgeordnetenhaus noch mit 1,79 Prozent im Senat keinen Erfolg.

In die Bedeutungslosigkeit geschickt wurden auch die „alten“ Führungskräfte Fini, Buttiglione und di Pietro, der vor einem Finanzskandal im vergangenen Herbst mit seiner Partei „Italia dei Valori“ immerhin in den Prognosen noch bis zu 10 Prozent erreichte.

Im  Senat (der gleichberechtigt ist) hat das Mitte-Rechts-Wahlbündnis um Berlusconi (zusammen mit der Lega Nord) eine leichte Mehrheit. Mario Monti hat mit seiner neuen konservativen Partei in beiden Kammern ca. 9 Prozent gewonnen und kann damit die Erwartungen, die die Austeritätspolitiker in der EU in ihn setzten, nicht erfüllen.

Eigentlicher Sieger der Wahlen  aber ist ohne Zweifel die Bewegung „Movimento Cinque Stelle“ des Komikers Beppe Grillo, die stärkste Einzelpartei im Abgeordnetenhaus wurde.

Die vorläufige Sitzverteilung am Morgen nach der Wahl sieht folgendermaßen aus:

Abgeordnetenhaus
Mitte-Links 340 Sitze  (incl. des automatischen Aufschlags für den Einzelsieger)
Mitte-Rechts124 Sitze
Grillini108 Sitze (stärkstes Einzelergebnis)
Monti45 Sitze

Senat
Mitte-Rechts116 Sitze
Mitte-Links113 Sitze
Grillini54 Sitze
Monti18 Sitze

Das sehr komplizierte Wahlverfahren  und die gesellschaftliche Situation im Krisenland Italien sind  sicherlich Elemente, die zu diesem Wahlausgang geführt haben. Von größerer politischer Bedeutung ist aber der Überdruss der Italiener an ihrer traditionellen Politiker-Klasse. die zu dem Erfolg der Protestbewegung  des Komikers Beppe Grillo geführt hat. Diese Bewegung ist in keines der traditionellen politischen Lager einzuordnen – bis jetzt. Sie hat aber durchaus Berührungspunkte mit dem Mitte-Links-Lager.

Überraschend ist die immer noch starke Anziehungskraft Silvio Berlusconis und der Lega Nord. Wenn es um Überdruss an Korruption und Selbstbedienung der Politikerklasse geht, dann stehen diese beiden Parteien  im Zentrum des Geschehens. Demgegenüber haben es alle politischen Formationen schwer, eine an Vernunft- und demokratischen Transparenz-Kriterien orientierte Politik  propagieren.

Es ist aber auch eindeutig, dass eine linke Alternative nicht in Sicht ist. Weder die sozialdemokratische noch die radikale Linke haben noch eine breite Basis weder in der Arbeiterklasse noch darüber hinaus. Sie schaffen es auch nicht, einen neuen Wertekontext in die italienische Politik einzubringen.

Der Partito Democratico, der eine moderate Sparpolitik verbunden mit sozialen Garantien propagierte, war damit nicht wirklich erfolgreich. Das Problem des Partito Democratico besteht darin, dass die Partei eigentlich aus zwei Parteien besteht:

einer mehr linken und einer mehr rechten. Der linke Teil will nun zusammen mit der SEL eine Kooperation mit den Grillini aufbauen, der rechte Teil möchte lieber mit Monti zusammenarbeiten. Es wird spannend sein, welcher Flügel der Partei sich in den anstehenden Verhandlungen zur Bildung einer stabilen Regierungsmehrheit durchsetzen wird.

Die Rifondazione Comunista  hat es seit der historischen Niederlage bei den Wahlen 2008 nicht geschafft, ein Elektorat  aufzubauen – und dies in einer gesellschaftlichen Situation, in der die links orientierten außerparlamentarischen Bewegungen stark sind und  sich die Gewerkschaften in einem permanenten Abwehrkampf gegen den Sozialabbau befinden. Diese Bewegungen haben nach wie vor keine authentische parlamentarische Repräsentanz, auch wenn ein Teil sicherlich aus strategischen Gründen das Mitte-Links-Bündnis gewählt hat – hier aber eher PD als Rifondazione.

Ein Blick in die neuere Geschichte der italienischen radikalen Linken kann vielleicht etwas zur Erhellung dieser Situation beitragen: Die Spaltung der radikalen Linken begann 2008 beim Partei-Kongress nach der Wahlniederlage der Rifondazione: die Gruppierung um Nichi Vendola gründete eine neue Partei, die „Sinistra, Ecologià, Libertà. Nichi Vendola war einige Zeit auch der Star bei Kongressen der außerparlamentarischen Bewegungen und er schaffte die Wiederwahl als Regierungspräsident in Apulien. Rifondazione führte dagegen eherein Schattendasein. Vendola steuerte sehr früh das Bündnis mit PD an und bewarb sich sogar als Spitzenkandidat für die jetzigen Wahlen. (Er erreichte in den offenen Wahlen für die Spitzenkandidatur immerhin 15% der Stimmen). Für das Wahlbündnis mit PD musste SEL allerdings im Herbst eine Erklärung unterschreiben, in der sie sich unter anderem dazu verpflichteten, im Falle einer Regierungsbeteiligung alle internationalen und europäischen Verpflichtungen zu erfüllen. 

Infolge dieser Unterwerfung der SEL unter die Bedingungen des Partito Democratico und der sich abzeichnende enorme Erfolg der Grillini führte dazu, dass viele der Gründungsmitglieder der SEL die Partei wieder verließen und versuchten, auf die Schnelle eine eigene Formation aufzubauen – auch durch Annäherung an die „alte“ Rifondazione Comunista. Dies mündete in dem Bündnis „Rivoluzione Civile“ um den  Anti-Mafia-Staatsanwalt Antonio Ingroia. Dieses Bündnis hat aber keineswegs linksradikale Positionen vertreten, sondern im Wesentlichen moderate Forderungen für Transparenz und Demokratie, gegen Korruption und Mafia propagierte und sich gegen das Mittel-Links-Bündnis aussprach.

Rifondazione Comunista ist mit dieser eindeutigen Niederlage kaum noch als eigenständige Partei sichtbar, während SEL weiterhin im öffentlichen Leben Italiens präsent ist.