Publikation Staat / Demokratie - Parteien / Wahlanalysen Der programmatische Sisyphos

Symposium zu Ehren von Dr. Bernd Ihme. Papers von Michael Brie und Horst Kahrs (Hrsg.).

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Reihe

RLS Papers

Herausgeber*innen

Michael Brie,

Erschienen

April 2013

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Nur online verfügbar

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Als wir auf eine Anregung von Harald Pätzolt hin dieses Symposium planten, da war sofort der eine Satz von Albert Camus im Raum: »Wir sollten uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen.« Sieht man ab von den unvollendet gebliebenen Anläufen zu Parteiprogrammen so hat Bernd seit 1989 mitgewirkt, fünfmal das Werk einer programmatischen Selbstverständigung von den Anfängen bis hin zum Parteitags- oder Mitgliederbeschluss und der Auswertung zu bewegen. Und viele hier im Raum waren Zeugen, Beteiligte, Schiebende oder auch Retardierende, Quertreibende und Hintreibende; aber keiner wohl ein Hintertreibender. Immer wieder haben wir hinzugetan und weggenommen, neukonzipiert und neustrukturiert, die Wege verlängert, einen noch höheren Berg gewählt. Und immer war es einer vor allem, der dieser Arbeit Halt und Form, Ausdauer und Präzision, Umsicht und Übersicht gab – Bernd Ihme.

Albert Camus schreibt über – seinen – Sisyphos, dass er »sein ganzes Sein sich abmüht, ohne etwas zu vollenden«. Und dies ist für Camus Freiheit, ist wirkliche Größe, ist Rebellion in einer Situation, wo die Heilversprechen der Götter, der wissenschaftlichen Weltanschauungen, der Parteien und ihrer Führungen nichts, aber auch gar nichts mehr galten. »Darin«, so Camus, »besteht die verborgene Freude des Sisyphos. Sein Schicksal gehört ihm. Sein Fels ist seine Sache. […] Im Universum, das plötzlich wieder in seinem Schweigen ruht, werden die tausend kleinen, höchst verwunderten Stimmen der Erde laut.«

Das Jahr 1989 war – auch – eine Befreiung. Keine Sache mehr, der zu dienen, keine Partei, der das Leben zu opfern, keine Idee, die über den Menschen  stand. Dafür aber die Möglichkeit, wenn man Glück hatte, selbst zu entscheiden, wofür man sich einsetzt. Für viele war dieses Glück nicht gegeben: Abwicklung, Umschulung, Jobsuche, Kampf um ein Überleben in relativer Würde. Einige aber konnte sich diese Möglichkeit erkämpfen, wurden von Zufällen begünstigt, waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Und wenn es um programmatische Suche ging, wenn die Frage gestellt wurde, was sind wir eigentlich – wir, die demokratischen Sozialistinnen und Sozialisten –, was wollen wir, was können wir, was dürfen wir wollen, dann war Bernd Ihme immer dabei.

1990, 1993, 2003, 2007 und 2011 hat Bernd Ihme am zentralen Programmdokumenten der PDS, der Linkspartei und schließlich der Partei DIE LINKE mitgewirkt. Nicht weniger wichtig war sein Einsatz für die Wahlprogramme der Partei 1990, 1994, 1998, 2002, 2005 und 2009. Dazu kam die Mitarbeit an einer Vielzahl von Grundsatzdokumenten, unter anderem zur Erneuerung und zum Selbstverständnis der PDS, an PDS-Strategiepapieren, an solchen Dokumenten wie zur Demokratisierung als Kernfrage linker Politik, zum Verständnis des demokratischen Sozialismus, die Stellungnahme zum Papier der Kirchen von 1995, zu den politische Aufgaben bis 1998, die Konzipierung der Crossover-Konferenz, zu Grundsätzen und Zielen der PDS. Es ging um poltische Lageeinschätzungen und Konsequenzen für DIE LINKE, Thesen zur Programmdebatte, zur Nachhaltigkeit etc., etc.

Und wie er dabei war, dies macht folgender Bericht des Kreisverbandes Barnim von 2010 deutlich, den ich wörtlich zitieren möchte:

Der offizielle Start der Programmdebatte begann bei den Barnimer LINKEN mit der Mitgliederversammlung am 10. April in der Bernauer Stadthalle. Dazu war Dr. Bernd Ihme von der Programmkommission geladen.

In seinem einführenden Referat verwies er darauf, dass die Reaktionen der anderen Parteien auf die Veröffentlichung des Programmentwurfs durchweg ablehnend seien. Die CDU habe den Entwurf sogar als „staatsfeindlich“ bezeichnet. Dabei enthalte er nichts, was dem Grundgesetz widerspricht, nicht einmal die Forderung nach Verstaatlichung von Schlüsselunternehmen. Aber auch in den eigenen Reihen gebe es unterschiedliche Reaktionen: von „euphorisch“ bis zu deutlichen Vorbehalten. Dies sei gut für eine breite, demokratische Debatte, die öffentlich geführt werden sollte. Eine gründliche Diskussion könne das Selbstverständnis der Partei schärfen, die nach der Vereinigung von Linkspartei.PDS und WASG 2007 über 25.000 neue Mitglieder gewonnen hat.

Wichtig sei, sich bei aller Diskussion auf das Grundsätzliche zu verständigen. Dazu gehöre zweifellos das Verhältnis zum „demokratischen Sozialismus“. Einige verstehen darunter die große Vision einer zukünftigen gerechteren Gesellschaft, andere einen „transformatorischen Prozess“. Hier wie da werde damit auch die Frage nach dem Eigentum an Produktionsmitteln verknüpft. Aber auch bei den Sozialdemokraten findet sich der Begriff vom „demokratischen Sozialismus“, allerdings mehr im Sinne einer „sozialen Demokratie“ denn als neue ausbeutungsfreie Gesellschaft.

Zu beachten sei, dass „demokratischer Sozialismus“ mit der bisherigen revolutionären Theorie der Arbeiterbewegung bricht, die von einem „großen Knall“ ausging. Vielmehr gelte es, durch schrittweise Veränderungen zu einer neuen Qualität der Gesellschaft zu gelangen. Der Begriff beinhalte ein ganzes Wertesystem, einschließlich der Freiheit der Individuen.

Hinsichtlich der Analyse der gegenwärtigen Situation im Programmentwurf konstatierte der Redner einen „recht ordentlichen Stand“, beklagte jedoch eine gewisse Unterschätzung der Potenziale des Kapitalismus. Dieser sei ständig „in Bewegung“, bringe immer wieder neue Technologien und Produktionsverhältnisse hervor, passe sich ständig neuen Entwicklungen an.

Dr. Ihme forderte, dass sich die ökologische gleichrangig mit der soziale Frage durch das ganze Programm ziehe müsse. „Rot muss mit Grün verbunden werden“, betonte er. Dies habe tiefgreifende Konsequenzen bis hin zur Eigentumsfrage. In diesem Zusammenhang bekannte er sich u. a. auch zu einem Ausstieg aus der Braunkohleverstromung, aber mit Blick auf die reale Lage „nicht von heute auf morgen“.

Zum Thema „Demokratisierung“ merkte der Referent an, dass dazu auch die Verteidigung demokratischer Errungenschaften gehöre. Das Positive sei zu bewahren und weiterzuentwickeln. Freiheit, Gleichheit und Solidarität seien als Einheit zu betrachten. Die LINKE sei Teil der Gesellschaft und müsse in dieser tätig werden. Für Veränderungen in der Gesellschaft müssten alle Möglichkeiten genutzt werden. Allerdings werde uns das nicht allein gelingen. Wir bräuchten Verbündete, wozu auch die SPD gehören könnte.

Letzterer Gedanke wurde verschiedentlich auch in der nachfolgenden regen Diskussion wiederholt aufgegriffen. So wurde die Frage nach Mobilisierung von Mehrheiten in der Gesellschaft aufgeworfen. Lutz Kupitz, Mitglied des Kreisvorstandes und Kreistagsabgeordneter, warnte z. B. davor, einen „Alleinvertretungsanspruch“ der „richtigen Meinung“ zu praktizieren. Wir könnten zwar dazu beitragen, Antworten auf Fragen zu finden, aber nicht allein. Sebastian Walter, Kreisvorsitzender der Barnimer Linken, hob hervor, dass das Herangehen an den „demokratischen Sozialismus“ als „Bewegung“ ein neuer Ansatz sei, der dazu führen könnte, mehr Bürger zu gewinnen.

Was könnte dem noch hinzugefügt werden?! Camus hätte gesagt: »In diesem besonderen Augenblick, in dem der Mensch sich seinem Leben zuwendet, betrachtet Sisyphos, der zu seinem Stein zurückkehrt, die Reihe unzusammenhängender Handlungen, die sein Schicksal werden, als von ihm geschaffen… « Die Zusammenhänge stellen wir nur selbst her, das Gelingen liegt nicht in unserer Hand, die Anstrengung, die Leidenschaft, die Güte, derer es bedarf, sie sind unser Werk. Bernd Ihme hat ein bemerkenswertes Werk vollbracht. Dafür unseren Dank. Dank auch denen, die durch ihre Beiträge zum Gelingen des Symposiums beigetragen haben: Lothar Bisky, Katja Kipping, Christa Luft, Axel Troost und Dieter Klein. Leider war es Axel Troost aus sehr verständlichen Gründen nicht möglich, seinen Beitrag auch schriftlich zur Verfügung zu stellen. Aufgenommen haben wir einen Beitrag von Horst Dietzel, der aus Zeitgründen auf dem Symposium nicht mehr gehalten wurde. Die Herausgeber wünschen den Leserinnen und Lesern interessante Einblicke in der programmatische Arbeit der Linken.

Michael Brie Horst Kahrs