Als die «Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes» (Pegida) im Oktober 2015 das einjährige Bestehen feierten, meldete die Politik bis hoch in die Bundesregierung plötzlich ihren Bedarf nach Beobachtung Pegidas durch den Verfassungsschutz an. Was war geschehen? Bei der Jubiläums-Demonstration in Dresden beendete Akif Pirinçci seine Karriere mit seiner Aufsehen wie Abscheu erregenden «KZ-Rede». Am Rande des Versammlungsgeschehens kam es unter Hooligan- und Neonazi-Beteiligung zu Straßenschlachten. Wenige Tage zuvor hatte in Köln ein Anhänger der rechten Szene die heutige Oberbürgermeisterin der Stadt Henriette Reker niedergestochen und lebensgefährlich verletzt. Da habe Pegida «mitgestochen», pointierten Medienkommentare. Einige Tage darauf nahm die Polizei in Oberfranken mehrere Personen fest, die bewaffnete Anschläge geplant und teils einem örtlichen Pegida-Ableger nahegestanden haben sollen.
Diese Bewegung sei «in Teilen offen rechtsradikal», erklärte nunmehr Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD). Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) ging so weit, die Pegida-Organisatoren als «harte Rechtsextremisten» zu bezeichnen. Sein Ministerium relativierte das kurz darauf zwar und versicherte noch vorsorglich, dass ein – so von niemandem gefordertes – Verbot unmöglich sei. Gleichwohl: So deutliche Worte waren vorher nicht gewählt worden. Im Überbietungswettbewerb um die größtmögliche Nachsicht für angeblich berechtigte «Ängste und Sorgen» des Protestmilieus galt der Einsatz der Inlandsgeheimdienste im Jahr eins der Bewegung noch nicht als opportun.
Warum, das erklärt die vorliegende Broschüre, deren erste Auflage pünktlich zum Jubiläum beziehungsweise zum Meinungswandel erschienen war. Sie erklärt vorsorglich, warum auch im Jahr zwei eine Beobachtung durch die Ämter für Verfassungsschutz nicht zu erwarten ist. Der einzige analytische Zuwachs etwa seitens des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz bestand Ende 2015 in der ernstlichen Feststellung, «Gida»-Veranstaltungen seien für sogenannte Rechtsextremisten erstens «attraktiv» und würden zweitens «attraktiver». Es ist nicht auszuschließen, dass die Analysekompetenz der Ämter weiter regrediert. Den nach optimistischer Lesart unveränderten Einsichten der Dienste entspricht jedenfalls die unveränderte Neuauflage dieser Broschüre: Sie umreißt ein fast schon «zeitloses» Problem amtlicher Extremismusdiskurse. Von einer Ausweitung dieses Diskurses auf die sich gleichwohl weiter radikalisierende Pegida-Bewegung ist demnach so wenig zu erwarten wie von einer tatsächlichen Beauftragung der Verfassungsschutzbehörden. Sie klingt folgerichtig, ist aber, entgegen dem drastischen Tenor, nicht einmal beabsichtigt. Andernfalls hätte de Maizière sie herbeigeführt. Sein Ressort hat die Aufsicht über das Bundesamt für Verfassungsschutz
Als die Bundessprecherin der Alternative für Deutschland (AfD), Frauke Petry, Ende Januar 2016 in einem Presseinterview ausführte, «ein Grenzpolizist müsse den illegalen Grenzübertritt verhindern, notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen», da empfahlen Politikerinnen und Politiker bis hinauf in die Bundesregierung schon wieder, dass sich der Verfassungsschutz rühren müsse. Er rührt sich nicht. Keine Pointe. Klar jedoch, dass die nächsten Seiten auch zum zeitgenössischen Rechtspopulismus als systematischer Leerstelle der «Extremismus»-Beobachtung in der Bundesrepublik informieren.
Inhalt
- Vorwort zur Nachauflage
- Asylkritik, mit und ohne Hakenkreuz
- Einleitung
- Das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen im Diskurs um Pegida
- Die Pegida-Bewegung im Spiegel der Verfassungsschutzberichte
- Berichterstattung und Beobachtung als Verfassungsschutzpolitik
- Pegida als ständiger Prüffall
- Reziproke Anpassung
- Pegida und die Grenzen des Verfassungsschutzes
Die gesamte Publikation im PDF.