12. April 2017 Diskussion/Vortrag Die strukturelle Krise der Kapitalakkumulation als Hintergrund multipler Krisendynamiken

Information

Veranstaltungsort

TU Dresden, Hörsaalzentrum
HSZ/E03/U
Bergstraße 64
01069 Dresden

Zeit

12.04.2017, 18:30 - 20:30 Uhr

Themenbereiche

Gesellschaftstheorie

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Mit Dr. Tino Heim (Sozialwissenschaftler)

Die multiplen Krisendiskurse der Gegenwart zeigen ein hochgradig fragmentiertes Krisenbewusstseins, das die immanenten Zusammenhänge der Krisen der Lohnarbeit, der Sozial-, Gesundheits-, Renten- und Bildungssysteme, der Repräsentativdemokratie, des Nationalstaats, der EU, die Finanz-, Staatschulden- und Währungskrisen, der ökologischen Krisen oder der Krise der Geschlechterverhältnisse ebenso verdeckt wie ihre Ursachen in einer sich zuspitzenden strukturellen Krise der Kapitalakkumulation. Der Vortrag fragt vor diesem Hintergrund nach Ursachen und Funktionen der Krisen in den prozessierenden Widersprüchen des Kapitalverhältnisses und in den langfristigen Entwicklungstrends des kapitalistischen Weltsystems. Wie hängen verschiedene Krisentypen zusammen? Wie unterscheiden sich 'normale' zyklische Krisen – die stets ein Motor kapitalistischer Entwicklung waren – von langfristig eskalierenden Krisendynamiken, die die Bestandsbedingungen des Kapitalismus unterminieren? Inwiefern sind verschiedene Krisendiskurse selbst ideologische Ausdrucks- und Vermittlungsformen solcher Krisendynamiken und ihrer umkämpften politischen Verarbeitung? Und nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob die gegenwärtige strukturelle Krise mit den ‚bewährten Mitteln‘ keynesianischer oder neoliberaler Theorie und Wirtschaftspolitik noch adäquat begriffen und bearbeitet werden können oder ob diese ihrerseits zur Eskalation der Krisendynamiken in immer weiteren gesellschaftlichen Bereichen beitragen.

Zur Reihe:
In der Weltwirtschaftskrise 2007/2009 konstatierte selbst der gesellschaftstheoretische Mainstream eine grundlegende Krise des Kapitalismus. Neue Krisenausprägungen sind hinzugekommen, alte haben sich verschärft. Die damit eng zusammenhängende wachsende politische Polarisierung und der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen geben Anlass, Ursachen und Wesen der Gesellschaftskrise zu hinterfragen. Dabei bedarf auch die Krise der Kritik selbst, das Fehlen eines Aufschreis kritischer Intellektueller und eines wirksamen Streitens um kulturelle Hegemonie, der Aufarbeitung. Warum fehlen in der Parteienlandschaft wie in den Gewerkschaften bei allem wachsenden Krisenbewusstsein Positionen, die eine dezidiert linke Kritik am gesellschaftlichen Status Quo verbalisieren? Warum bleibt die Kritik in aktuellen sozialen Bewegungen oft oberflächlich und begriffslos? Wie lassen sich verschiedene Krisenausprägungen auf adäquate Begriffe bringen? Wo kann eine der gegenwärtigen Krise entsprechende Neubestimmung der theoretischen Grundlagen von Kritik an Klassiker der kritischen Gesellschaftstheorie - von Marx über Gramsci und die Frankfurter Schule bis zu Foucault - anknüpfen und wo sind neue Ansatzpunkte linken Denkens erfordert. Pierre Bourdieu hatte eine „ökonomische Alphabetisierungskampagne“ gefordert. Diese tut dem sozialwissenschaftlichen Denken, dass die Reflexion auf die strukturellen Bedingungen vieler sozialer Phänomene in den kapitalistischen Produktionsverhältnissen oft über Bord geworfen hat, heute ebenso Not, wie eine sozialwissenschaftliche Alphabetisierung der Ökonomie erfordert wäre, um 'Marktgesetzte' nicht als unabwendbare Naturgesetze zu begreifen, sondern als Ausdruck, historisch gewordener und damit veränderbarer gesellschaftlicher Verhältnisse. Krisen sind immer auch der Beginn von etwas Neuem und können als Chancen und Aufbruchssignale wirken. Ob und wie solche Chancen in konkreten gesellschaftlichen Kämpfen genutzt oder verspielt werden hängt nicht zuletzt von den Fähigkeiten zur Reflexion auf die Ursachen und Wirkungszusammenhänge der Krisen und auf die möglichen Bedingungen anderer Formen der Vergesellschaftung ab.

weitere Veranstaltungen:
19. April, Mittwoch, 18.30 Uhr: "Kritik in der Krise - Theoretische Bedingungen und Probleme kritischer Gesellschaftswissenschaft"
Mit Dr. Michael Städtler (Universität Wuppertal)

10. Mai, Mittwoch, 18.30 Uhr: Frauen als Avantgarde? Ist die Krise des Kapitalismus auch eine Krise des Patriarchats?
Mit Prof. Dr. Christine Bauhardt (Humboldt Universität Berlin)

01. Juni, Donnerstag, 18.30 Uhr: Multiple Krisen als Krise der gesellschaftlichen Naturverhältnisse
Mit Prof. Christoph Görg (Uni Klagenfurt)

25. Oktober, Mittwoch, 18.30 Uhr: Subjekt in der Krise
Mit Prof. Dr. Christine Kirchhoff (International Psychoanalytic University Berlin)

15. November, Mittwoch, 18.30 Uhr: Krise der Bewegung oder Krise der Emanzipation???
Mit Christoph Spehr (Autor und Politiker)

6. Dezember, Mittwoch, 18.30 Uhr: Krise, Kritik und autoritäre Bewegung – Rechts- und Linkspopulismus in der Kritik
Mit Dr. Ingo Elbe (Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg)

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