veranstaltet von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Zusammenarbeit mit der
Internationalen Heiner Müller Gesellschaft.
Übertragung der Konferenz im offenen Kanal
Sendetermine:
die am 09.11.02 aufgezeichnete Veranstaltung "Die Nation beerdigen... Ein Symposium zu Heiner Müllers GERMANIA 1-3" soll im Fernsehen gesendet werden am:
15.11.02, 21:00 Uhr
12.12.02, 21:00 Uhr (Wdh.)
und im Radio:
19.11.02, ab 03:00 Uhr
16.12.02, ab 03:00 Uhr
Im Berliner Ensemble treten zwei Totengräber vor den Vorhang und sehen
sich das ruhmreiche Theater an, die goldenen Operettenengel und den roten
Samt, den von Brecht durchgestrichenen preußischen Adler über der Hofloge
und den unvermeidlichen Schild über der Loge der Arbeiterregierung. Erfreut
stellen sie fest, dass sie am rechten Ort sind: Das Mausoleum des deutschen
Sozialismus. Hier liegt er begraben. Das Stück aber, dessen Aufführung mit
dieser Szene begann, heißt Germania 3. Gespenster am Toten Mann, und es
arbeitet an der Beerdigung der deutschen Nation.
Die DDR sollte die Nation in eine sozialistische Zukunft führen; nach der
Lüge des National-Sozialismus die wahre Wahrheit: eine Illusion, die Folge
der Preisgabe des Internationalismus. Der Sozialismus in einem Land war es
gewesen, der sich einmauern musste, die eigene Bevölkerung kolonisieren,
insgeheim Freundschaft schließen von Woschd zu Woschd, Führer zu Führer,
und dann auch ganz offen die Internationale liquidieren, Rangabzeichen hervorholen
und vaterländischen Krieg führen. Aber von der Sowjetunion lernen
hieß siegen lernen.
Die Sieger der Geschichte starben langsam. Die euphemistische Bezeichnung
Stagnation war steigerungsfähig: real existierender Sozialismus war
der im unbewussten Gefühl der Unzulänglichkeit selbst gewählte Name.
Nach der Rückkehr in die kapitalistische Realität ist die Losung: Vom Resozismus
lernen heißt untergehen lernen.
Nächster Untergang ist der der Nationen in globalen Wirtschaften. Aber nach
deutschem Recht ist es immer noch eine Blutgrenze, die den Körper der
Nation vom Rest der Menschheit trennt. Täter und Opfer der Grenze sind
gefährliche Wiedergänger. Die Beerdigung ist die naheliegende Aufgabe. Das
Grab erst macht den glücklichen Satz möglich: Ich war ein Deutscher.
Übernächster Untergang soll der des egoistischen Wirtschaftens sein: die
Menschheit regelt ihren Stoffwechsel mit der Natur gemeinschaftlich. Die
Beerdigung der Nation ist die Voraussetzung der Gattungsutopie.
Aber Beerdigung ist eine unendliche Aufgabe: Damit etwas kommt, muss
etwas gehen.
Programm
I
10 bis 11.30 Uhr
Playstation Cordoba. Yugoslavia. Afghanistan. Ein Kriegsmodell
Klaus Theweleit, Schriftsteller (Freiburg)
12 bis 13 Uhr
»Germania« lesen
Christine Gloger, Schauspielerin (Berlin)
und B. K. Tragelehn, Schriftsteller und Regisseur (Berlin)
Mittagspause
II
14 bis 15.30 Uhr
»Germania« inszenieren
Gesprächsrunde mit Jean Jourdheuil, Autor, Regisseur, Übersetzer (Paris); Frank-Patrick Steckel, Regisseur (Berlin); B. K. Tragelehn, Schriftsteller und Regisseur (Berlin); Moderation: Stefan Schnabel, Dramaturg (Berlin/Bonn)
15.30 bis 17 Uhr
Totenreich Deutschland. Müller vergessen: Das Theater der Auferstehung
Günther Heeg, Theaterwissenschaftler (Frankfurt/M.)
Biopolitik und Potentialität. Zu Heiner Müllers Poetik der Zäsur
Nikolaus Müller-Schöll, Literatur- und Theaterwissenschaftler (Frankfurt/M., Paris)
III
17.30 bis 19 Uhr
»Die Nation beerdigen ...«
Klaus Heinrich, Religionswissenschaftler, Philosoph, Psychoanalytiker (Berlin) und Peter Kammerer, Soziologe (Urbino) im Gespräch
Abendimbiss
IV
20 bis 22 Uhr
»... der Zukunft zugewandt ...«
Gesprächsrunde mit Dirk Baecker, Soziologe (Düsseldorf); Gregor Gysi, Jurist (Berlin); Joseph Vogl, Literaturwissenschaftler (Berlin); K. D. Wolff, Verleger (Frankfurt/M.); Moderation: Lothar Müller, Publizist (Berlin)
Linkliste
- Heiner Müller im Gespräch mit Hendrik Werner (am 7. Mai 1995 in Berlin): "Verwaltungsakte produzieren keine Erfahrungen"
http://www.hydra.umn.edu/mueller/hendrik.html - HEINER MÜLLER IM SPIEGEL DER NACHRUFE, Presseecho auf den Tod eines Theatermanns
http://www.davids-welt.de/hm/index.html - Rainer E. Schmitt: Auszug aus "Geschichte und Mythisierung", Zu Heiner Müllers Deutschland-Dramatik
(Seiten 1-40 der Dissertation am Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaften der Gerhard-Mercator-Universität - Gesamthochschule Duisburg, PDF, 180kB )
http://www.wvberlin.de/data/inhprob/lp/SchmittR.pdf
zu bestellen über Der Wissenschaftliche Verlag Berlin, E-Texte (http://www.wvberlin.de/data/E-Texte.htm)