Dokumentation
«Auf dem Weg nach Istanbul …»: Globale Themen, lokale Kämpfe
Noch wenige Wochen bis zum 6. Europäischen Sozialforum in Istanbul ... Eine Dokumentation der Mobilisierungsveranstaltung zum Europäischen Sozialforum Anfang Juli 2010.
Information
Veranstaltungsort
Werkstatt der Kulturen Wissmannstraße 32 12049 Berlin
Zeit
28.05.2010
Themenbereiche
Staat / Demokratie, Soziale Bewegungen / Organisierung, International / Transnational
Aktivistinnen und Aktivisten aus der Türkei, dem Gastland des diesjährigen Europäischen Sozialforums, diskutierten in der Werkstatt der Kulturen ihre Strategien und Erfahrungen in sozialen Kämpfen mit Interessierten aus Deutschland. Die Veranstaltung diente auch der Vernetzung politischer Akteure aus unterschiedlichen Zusammenhängen.
Im Angesicht der augenscheinlichen Krise des Neoliberalismus überschlägt sich das gegenwärtige Krisenmanagement von oben fast wöchentlich mit neuen Rezepten zur „Besänftigung der Märkte“. Die Kosten der Krise werden auf die Lohnabhängigen abgewälzt, massive Einschnitte auf der Ausgabenseite lassen die Vermögen und Finanzkapitale unangetastet. Zugleich bedroht der Klimawandel die Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen, insbesondere im globalen Süden. „Doch die ökonomischen, sozialen und ökologischen Gesichter der globalen Krise können nicht getrennt voneinander betrachtet werden“, heißt es im Aufruf des Europäischen Sozialforums. Auch die sozialen Bewegungen müssten sich auf gemeinsame Strategien verständigen, wenn es darum geht, für eine andere, eine gerechtere Welt ohne Ausbeutung von Mensch und Natur, ohne Rassismus und Diskriminierung zu streiten.
Das Europäische Sozialforum will eine internationale Antwort von unten sein auf die globalen Zumutungen des Kapitals, gerade jetzt, in Zeiten von Austeritätsplänen, Euro-Milliarden und Lohnkürzungen. Eine Antwort, die mögliche Alternativen formuliert und in eine breitere Öffentlichkeit trägt. Das Forum soll ein „Labor des internationalen Widerstands“ werden. In diesem Sinne diskutierten die Teilnehmenden der Veranstaltung über konstruierte Grenzen von Nation, Geschlechter oder Ethnien hinweg über Perspektiven des Kampfes für politische Alternativen zum gegenwärtigen Status quo.
Dass das 6. Europäische Sozialforum dieses Jahr in Istanbul stattfinden wird, ist eine besondere Wahl, gerade vor dem Hintergrund der anhaltenden Debatten um den EU-Beitritt der Türkei oder um ein sozialeres Europa – aber auch, weil Istanbul Transit-Stadt ist für viele MigrantInnen, Flüchtlinge oder SexarbeiterInnen auf ihrem Weg in die EU. 2009 wurde die 20-jährige Städtepartnerschaft Berlin-Istanbul gefeiert. Istanbul ist dieses Jahr Europäische Kulturhauptstadt. Es gibt einen enormen Hype um die Metropole am Bosporus, doch unser Blick galt nicht den Hochglanzbroschüren. Istanbul ist nämlich weder das klischeebeladene „Tor zum Orient“ noch ein verwestlichtes Moloch, sondern eine moderne 12-Millionenstadt, die als Stätte der Zuflucht, als ökonomisches Ballungsgebiet, als Feld des künstlerischen Schaffens und als Ort mit besonderer politischer Dynamik ohne ihre facettenreichen, zuweilen auch gewaltvollen Verhältnisse nicht zu denken ist. Istanbuls Vielfalt spiegelt den kulturellen und historischen Reichtum der Türkei. Zugleich ist die Stadt ein Kaleidoskop der enormen Gegensätze und gesellschaftlichen Konflikte im Land.
Wir fragten nach den politischen Kämpfen, die für soziale Bewegungen in der Türkei und in Europa relevant sind. Wir diskutierten, inwiefern das Europäische Sozialforum ein Ort sein kann, an dem über die derzeitigen Grenzen Europas hinaus gemeinsam Politik gedacht und gemacht wird. Als Einstieg lieferten Andrea Plöger (WSF-TV) und die Aktivistin Judith Dellheim eine Einschätzung des Sozialforumsprozesses und diskutierten die politische Bedeutung Istanbuls als Austragungsort des diesjährigen Forums. Ein Dokumentationsfilm über die Sozialforen der vergangenen Jahre stimmte die Teilnehmenden auf die Inhalte ein. Das anschließende Panel mit unseren Gästen aus der Türkei bot einen breiten Überblick über die Vielfalt der dortigen sozialen Bewegungen.
«7 + 1 Erfolge»: Judith Dellheim erklärt, was die bisherigen (europäischen) Sozialforen gebracht haben.
11:00-13:00
Bewegungen und Bewegung in der Linken Podiumsbeiträge mit Aktivistinnen und Aktivisten aus der Türkei:
Asli Kiyak İngin (INURA Istanbul / Sulukule Plattform)
Asli Kiyak Ingin, Architektin, Vorsitzende der Human Settlement Association und Mitglied von INURA Istanbul, engagiert sich u.a. in der „Sulukule Platform“, die künstlerische und soziale Protestaktionen gegen Urban Renewal Projekte in Istanbul bündelt und organisiert. Bei diesen Renewal Projekten handelt es sich um kommerzielle Aufwertungsmaßnahmen städtischen Raums, Abriss historischer Bauten der historischen Altstadt mit der Folge, dass lokale Bevölkerung verdrängt wird, besonders in Vierteln mit alteingesessenen BewohnerInnen wie bspw. die Roma-Familien im historischen Stadtteil Sulukule oder mit MigrantInnen im zentral gelegenen Tarlabasi, um die bekanntesten zu nennen. Asli berichtete von den städtischen Auseinandersetzungen um Sulukule, den Herausforderungen an linke StadtaktivistInnen im Prozess der Organisierung und Selbstermächtigung der von Gentrifizierung betroffenen Akteure unter dem Motto „Recht auf Stadt“ für alle. Asli lieferte außerdem Inspirationen für nachhaltige und partizipatorische Ansätze der behutsamen Stadtteilentwicklung und -erneuerung. Die internationale Aufmerksamkeit, die beispielsweise der Fall Sulukule erregte, verdankt sich nicht zuletzt der besonderen Vernetzungsarbeit mit Gruppen aus Europa und darüber hinaus, beispielsweise im Zusammenhang der Städtepartnerschaft Berlin-Istanbul und der Aktivitäten von INURA.
Serhat Çaçan (Another Watermanagement Is Possible Campaign)
Serhat Cacan ist aktiv bei der Hasankeyfi Yasatma Girisimi, der Initiative zur Rettung von Hasankeyf, einer antiken Stadtfestung am Tigris, die im Zuge des Südostanatolien-Projekts (GAP) mit der Schaffung vieler Staudämme im Südosten der Türkei komplett unter Wasser gesetzt würde. Neben der Anti-Staudamm-Bewegung arbeitet Serhat in der Kampagne Another Watermanagement is Possible, einem spektrumsübergreifenden Bündnis von Wasser-AktivistInnen gegen Privatisierung und für den Zugang zu Wasser als öffentlichem Gut. Am Beispiel der Talsperrenpolitik stellte Serhat die Besonderheiten der Kämpfe unter starker Beteiligung der lokalen Bevölkerung mit sehr unterschiedlichem politischen Hintergrund vor und analysierte die Zusammenhänge von Energiepolitik, ökonomischer Entwicklung und politischer Kontrolle der (kurdischen) Gebiete in Südostanatolien. Auch hier gibt es eine starke internationale Vernetzung: Es formierte sich in der Staudammregion und auch europaweit eine große Kampagne, die das Projekt des Ilisu-Staudamms, einer wegen ihrer Nähe zu Hasankeyf besonders prominenten Talsperre, zunächst zu Fall brachte. Mittlerweile hat sich die türkische Regierung nach neuen Sponsoren umgeschaut, so dass die Bewegung versucht, über die Einbindung von Prominenz aus Kunst und Kultur besonders für das historisch-kulturelle Erbe im Südosten, für gerechte Entwicklungschancen für die ansässige Bevölkerung und besonders für ein sozial-ökologisches Bewusstsein gegenüber der Energie- und Wasserpolitik zu sensibilisieren.
Demet Demir ist Mitbegründerin und Aktivistin bei Istanbul LGBTT mit einer langen politischen Biografie im Kampf für die Rechte sexueller Minderheiten. Demet ist ein bekanntes Gesicht der Transgender- und Transsexuellenbewegung in der Türkei, sie hat mit unterschiedlichen NGOs zusammengearbeitet und setzte sich sehr dafür ein, die eigenen Kämpfe auch auf die Themen anderer sozialer Bewegungen in der Türkei zu beziehen. Sie kandidierte auch für die ÖDP, die sozialistische Partei für Freiheit und Solidarität, und kennt sich im linken Spektrum zwischen Partei und außerparlamentarischer Bewegung gut aus.
Meral El gehört dem Internationalen Koordinierungskomitee des Mesopotamischen Sozialforums (MSF) an, das im September 2009 erstmals in der kurdischen Stadt Diyarbakir stattfand und politische Gruppen aus der Türkei, Kurdistan, dem mittleren Osten und Europa (besonders aus Deutschland) eine Woche lang zusammengebracht hat. Das parallel stattfindende internationale Amed Camp als Teil des MSF bot Aktivistinnen und Aktivisten eine Austausch- und Vernetzungsplattform für Fragen zu Menschenrechten, kurdische und Frauenbewegung, ethnische Vielfalt, Umgang mit staatlicher Repression und Organisierung in der Linken, wodurch wechselseitige Lernprozesse aus unterschiedlichen Politkulturen angeregt wurden. Meral konnte von den Erfahrungen des ersten international ausgerichteten Sozialforums im kurdischen Südosten der Türkei berichten – Erfahrungen, die in der Vorbereitung und Durchführung des ESF 2010 in Istanbul, gerade mit Blick auf den Umgang mit Medien, der Polizei und internen Gruppendynamiken, von großem Nutzen war. Das MSF wird auch auf dem ESF vertreten sein, die offene türkisch-kurdische Zusammenarbeit auf unterschiedlichen Feldern kann in Istanbul ein besonderes politisches Zeichen von links setzen.
Gökhan Bicici ist Mitbegründer von TAREM, einer gewerkschaftsnahen Bildungseinrichtung, verantwortlich für das jährliche Treffen von Arbeiterjugendlichen und Gewerkschaftsaktivisten in Izmir und aktiv in der Vernetzung, Bildung und Organisierung von Beschäftigten aus unterschiedlichen Bereichen. Gökhan, früher selbst Organizer beim Gewerkschaftsdachverband DISK, vertrat kurzfristig seinen politischen Mitstreiter Engin Sezgin, der aufgrund eines größeren Streiks von Angestellten der Bilgi-Universität Istanbul kurzfristig verhindert war. Gökhan ist zudem im ESF-Vorbereitungskomitee maßgeblich in der kollektiven Gestaltung und Vorbereitung des ESF Istanbul involviert. Neben einem Überblick über die besonderen Schwierigkeiten der gewerkschaftlichen Organisierung in der Türkei und den teilweise schmerzvollen Lernprozessen der Re-Organisierung nach der Zerschlagung der Linken in den 80er Jahren berichtete Gökhan vom Vorbereitungsprozess des ESF in Istanbul und teilte seine diesbezüglichen Einschätzungen mit den Teilnehmenden. Auch er betonte die Wichtigkeit des diesjährigen Austragungsortes für die sozialen Bewegungen in der Türkei. Seit einigen Jahren besteht eine enge Kooperation zwischen TAREM und der RLS, die mit eigenen Aktivitäten auf dem ESF vertreten sein wird (siehe Verlinkung).
Interview mit Tuncay Ok (Mesopotamisches Sozialforum 2009), WSF-TV
Die Themen der Podien wurden nachmittags in 4 parallel stattfindenden Workshops vertieft. Hier diskutierten die ReferentInnen aus der Türkei mit thematischen Partnern aus Deutschland (siehe Programm) und mit den Teilnehmenden zu den jeweiligen workshopspezifischen Themen. Die gemeinsame Frage, wie über derzeitigen Grenzen hinaus für ein gerechter gestaltetes Europa gemeinsam Politik gemacht werden kann und wo dabei auch Grenzen und Widersprüche liegen, war Inhalt des informellen Abschlussabends in der Wissmannhöhe. Wie so oft auf Veranstaltungen dieser Art verlagerten sich die Debatten über die offizielle Seminarzeit hinaus an die inoffiziellen Orte der Begegnung, des Austausches, der Vernetzung.
15:30-17:30
Globale Themen - lokale Kämpfe: was geht zusammen? Parallele Arbeitsgruppen Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Podiumsgesprächs treffen in Arbeitsgruppen zu den ThemenQueer, Menschenrechte, Kampf um die Stadt, Gewerkschaften und Organizing sowie Wasser/Commons und Privatisierung auf Aktivistinnen und Aktivisten, die in diesen Feldern in Deutschland Politik machen.
Tülin Duman (GLADT e.V.)
Meral El (Mesopotamisches Sozialforum)
Tina Fritsche (Centro Sociale Hamburg/Netzwerk Recht auf Stadt)
Knut -Sören Steinkopf (Organizer bei ver.di)
Wasilis von Rauch (Berliner Aktionskreis Ilisu-Hasankeyf)
Workshop-Bericht «Queer, Transgender»
Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten im politischen Kampf der Lesbian-Gay-Bisexuellen-Transgender-Transsexuellen-Bewegungen in Deutschland und in der Türkei diskutierten wir anschließend im Austausch mit Tülin Duman von GLADT e.V. und Demet Demir von Istanbul LGBTT. Hierbei wurde deutlich, dass der Grad an unmittelbarer Gewalt, mit dem insbesondere Trans-Menschen in der Türkei konfrontiert sind (Hassmorde, Erniedrigung durch Polizei und Militär, Bußgeld-Praktiken wegen sog. „Sittenverstoßes“, teilweise massive Vorurteile in der Bevölkerung etc.) nicht vergleichbar ist mit den Problemen, mit denen LGBTT-AktivistInnen in Deutschland sich auseinandersetzen müssen. Während in der Türkei der thematische Zusammenhang zwischen LGBTT und sozialen Kämpfen anderer Minderheiten oder Unterdrückter noch recht offensichtlich ist und punktuelle Kooperationen gelingen, ist es in der weiß-deutschen „Mehrheitsgesellschaft“ weitaus schwieriger, die strukturellen und ideologischen Zusammenhänge bspw. von Rassismus und Homophobie zu politisieren. Auch die Gratwanderung zwischen Solidarisierung mit den Betroffenen und beschützendem Paternalismus oder zwischen Selbstermächtigung, Kritik und Überwindung des Opferstatus’ wurde diskutiert. Es gibt bereits langjährige Kooperationen zwischen queer-Organisationen in beiden Ländern, die sich auf gegenseitige Unterstützung und Erfahrungsaustausch bei der Organisierung der Betroffenen verlassen können.
Workshop-Bericht «Recht auf Stadt»
Der Workshop «Recht auf Stadt» fokussierte auf die neoliberale Restrukturierung des städtischen Raumes und die damit einhergehenden Prozesse von Verdrängung und gesellschaftlicher Exklusion in Hamburg und Istanbul. Der zu Beginn des Workshops gezeigte Film ‚Sulukule Roma Orchestra’ schilderte eindrücklich und erschreckend die Prozesse der Umsied-lung der Roma. Als die Abriss-Spekulationen in Sulukule aufkamen, wurde das Orchester zur Belebung der einmaligen Musiktradition von Sulukule gegründet, um die Erfahrungen aus den Kämpfen um Wohnraum weiterzugeben. Im Anschluss an den Film bezog sich Asli Kiyak Ingin auf die Kämpfe um Sulukule. 40 Tage und 40 Nächte wurde demonstriert und musiziert und versucht, mit der Stadtverwaltung in ein Gespräch zu kommen und Alternativen zu diskutieren. Ein weiterer Film zeigte exemplarisch am Großprojekt des Brauquartiers in Hamburg St. Pauli den Industriewandel und Gentrifizierungsprozess auf: Auf dem ehemaligen Brauereigelände wurden über 350 Millionen Euro investiert, um Bürogebäude, hochwertige Genossenschaftswohnungen und andere Gewerbeflächen zu schaffen. Tina Fritsche vom Centro Sociale in Hamburg diskutierte in diesem Kontext die Rolle des ‚Recht auf Stadt Netzwerkes’, welches die Kämpfe um die Stadt bündelt und Entwicklung von gemeinsamen Strategien ermöglicht. In diesem Zusammenhang wurden Ähnlichkeiten und Unterschiede der Restrukturierungsprozesse und Kampfverläufe in den jeweiligen Städten angesprochen: Auf welcher Ebene sind sie zu vergleichen? Welche Rolle spielt das Lokale? Warum scheitern Prozesse hier und sind dort erfolgreich? Darüber hinaus wurde durch den Bezug auf das Sozialforum die Möglichkeit der Vernetzung aktiv genutzt und eine Verstetigung der Zusammenarbeit im Rahmen des Europäischen Sozialforums diskutiert.
Workshop-Bericht «Organizing»
Im Mittelpunkt des Workshops «Organizing – ein Modell ohne Alternative für traditionelle Gewerkschaftspolitik!?» standen die aktuellen Entwicklungen und Diskussionen um alternative gewerkschaftliche Arbeit in Deutschland und der Türkei. Hintergrund für das „zarte Pflänzchen Organizing“, so der verdi-Organizer Knut-Sören Steinkopf, war das wachsende Krisenbewusstsein, das mittlerweile durch den kontinuierlichen Mitgliederschwund in den DGB-Gewerkschaften vorhanden ist. Derzeit laufen Organizing-Projekte in der Sicherheitsbranche, in der Lagerwirtschaft in Hamburg und Nord-Sachsen-Anhalt, in den Unikliniken in Göttingen und Hannover und an den Flughäfen in Berlin. Diese Projekte versuchen andere Wege zu gehen, die den veränderten Erwerbsbedingungen der Menschen Rechnung tragen. Sie versuchen z.B. durch mediale Druckkampagnen betriebliche Gewerkschaftsstrukturen in Branchen aufzubauen, in denen durch die Spaltung zwischen Stamm- und Randbelegschaft sowie Leiharbeitskräften gemeinsame Kampffähigkeit nur schwer herzustellen ist. Der Erfolg der Projekte ist vielfältig: Nicht nur eine Erhöhung des Organisationsgrades oder der Abschluss eines besseren Tarifes, sondern auch die Erfahrung der Beschäftigung, gemeinsam ihre Interesse vertreten zu haben sind wichtige Ergebnisse. Dennoch: Organizing-Projekte stecken noch in den Kinderschuhen und die Frage, ob mit dieser neuen Strategie nicht auch neue Ziele ins Auge genommen werden sollten, bleibt virulent. Gewerkschaftliche Arbeit in der Türkei dem entgegen funktioniert in weiten Teilen anders. Zum einen existieren kaum Projekte, die den Namen Organizing tragen. Zum anderen funktioniert die Organisierungsarbeit in den Betrieben oft ungenannt nach Methoden des Organizing. Da ein gewerkschaftlicher Organisationsgrad von 10 Prozent in der jeweiligen Branche und 50 Prozent im Betrieb erreicht sein muss, um einen flächendeckenden Tarifvertrag abschließen zu können, kommt, so Gökhan Bicici von TAREM, „die gesetzliche Grundlage meistens erst nach dem Kampf“. Da die Konsequenzen für die Beschäftigten nicht selten der Verlust des Arbeitsplatzes sind – erst kürzlich wurden bei UPS in der Türkei 70 Arbeiter wegen ihrer gewerkschaftlichen Organisierung gefeuert - ist Gewerkschaftsarbeit immer auch aufsuchende Arbeit und ein Agieren im Verborgenen. Doch erste Tendenzen, dass das Konzept des Organizing auch in der Türkei diskutiert wird gibt es: Publikationen zum Thema werden ins Türkische übersetzt, auf dem jährlichen Gewerkschaftsjugendtreffen in Izmir wird darüber gestritten und besonders in transnational agierenden Unternehmen wie Bosch/Siemens kann Organizing ein gemeinsames Werkzeug zum gewerkschaftlichen Widerstand werden. Damit muss jedoch klug umgegangen werden, denn „es gibt immer einen Osten“, was die derzeitige Verlagerung von türkischen Unternehmen der Textilbranche nach Ägypten eindrücklich zeigt.
Begleitendes Filmprogramm in Anwesenheit der RegisseurInnen, u.a.:
Trans X Istanbul – Bilder einer Recherche (9 min/Maria Binder, Dokumentarfilmerin)
Sulukule Roman Orchestra (8 min/Ede Muller, Dokumentarfilmer)
Wir freuen uns auf ein kämpferisches, solidarisches und internationalistisches Wiedersehen in Istanbul!