Dokumentation Dublin II - Ein System kollabiert

In der Reihe «Handlungsfeld Europa»

Information

Veranstaltungsort

betahaus
Prinzessinnenstr. 19/20
10969 Berlin

Zeit

24.11.2011

Veranstalter

Ramona Hering,

Mit

Cornelia Ernst (MdEP DIE LINKE), Dr. Silja Klepp (Uni Bremen, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Küstenforschungsprojekt INTERCOAST und Autorin des Buches «Die Europäische Union zwischen Grenzkontrolle und Flüchtlingsschutz. Die Geografie des Flüchtlingsrechts auf dem Mittelmeer») und Frederica Benigni (Migrations-Forscherin aus Italien); Moderator: Koray Yilmaz-Günay (Referent für Migration bei der RLS)

Themenbereiche

International / Transnational, Westeuropa, Migration / Flucht

Erst-, Zweit-, Drittstaat ... Dublin II ?

Hinter der harmlos klingenden Bezeichnung «Dublin II» verbirgt sich eine EU-Verordnung, die es Flüchtlingen erschwert und zum Teil vollkommen unmöglich macht, einen Asylantrag in der EU zu stellen. Obwohl die Verordnung zunächst einmal nur regelt, welches Mitgliedsland für einen Asylantrag zuständig ist, führt das System vor allem auch dazu, dass die Staaten an den Außengrenzen der EU überverhältnismäßig oft «zuständig» sind – nicht nur für Neuankommende, sondern auch für all diejenigen, die durch diese in der Verordnung als «sichere Drittstaaten» bezeichneten Länder etwa nach Deutschland gekommen sind. Viele Asylsuchende werden in das Erstankunftsland zurückgeschoben, die Zahl der in Deutschland anerkannten Asylanträge beträgt weit unter einem Prozent – Deutschland profitiert also stark von Dublin II. Das mag einer der Gründe sein, warum die öffentliche Aufmerksamkeit für Asylpolitik in den letzten Jahren kontinuierlich abgenommen hat. Demgegenüber sind weder die Mittelmeeranrainerstaaten noch die EU-Neumitglieder in Ost- und Südosteuropa vorbereitet auf die Asylsuchenden (Behörden, Unterkünfte etc.). Es gibt weder vergleichbare nationale Gesetzeslagen noch einen gemeinsamen Schutzstandard (medizinische Versorgung, Verpflegung etc.). Rückschiebungen etwa nach Griechenland sind vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ausgesetzt worden, weil die humanitären Bedingungen dort für Flüchtlinge unhaltbar sind.

Neben Cornelia Ernst (DIE LINKE, MdEP) und Karsten Lüthke (Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen) zeichnete auf dem Podium auch Federica Benigni (Migrations-Forscherin aus Italien) ein bestürzendes Bild von der Situation der Flüchtlinge in unterschiedlichen EU-Mitgliedsstaaten und der zunehmend transnationalen Dimension von Flüchtlingsabwehr – etwa durch die EU-«Grenzschutz»-Agentur FRONTEX, die mit immer weiter reichenden Befugnissen ausgestattet wird. Nicht zuletzt bemerkten sie, dass in den ersten sieben Monaten über 1.600 Menschen (nur dokumentierte Fälle) im Mittelmeer ertranken, weil die EU ihre Außengrenzen abschottet.

Nach einem ausführlichen Gespräch mit dem Publikum sprachen sich die Referent_innen in ihren anschließenden Plädoyers dafür aus, die Errungenschaften der Genfer Flüchtlingskonvention beizubehalten, Flucht und Asyl jedoch auch in den Kontext von Migration allgemein zu setzen. Sie forderten neben geregelter Einwanderung in die EU die Entwicklung einer gemeinsamen Asylpolitik, die sich nicht am relativ niedrigen Standard des Asylbewerberleistungsgesetzes der BRD orientiert, denn die Annahme, «Wer in der EU ist, gehört zu den Guten», lasse sich für die wenigsten Mitgliedsländer bestätigen.

Neue RosaLux mit dem Thema «Europa dreht ab: Neue Kämpfe um Migration»