Griechenland: Widerstand und Solidarität gegen das Diktat der Märkte
Von Florian Wilde
„Endlich mal eine Veranstaltung mit griechischer Atmosphäre in Deutschland: Mehr Teilnehmer, als eigentlich in den Raum passen“, so beschreibt Margarita, eine in Berlin lebende Griechin, ihren ersten Eindruck der Veranstaltung. Tatsächlich: Die rund 200 TeilnehmerInnen drängeln sich auf den Gängen und sitzen vor dem Podium auf dem Boden des großen Saales im Gewerkschaftshaus der IG Metall in Kreuzberg.
In dem Bemühen, über die Situation in Griechenland zu informieren, die Botschaft dortiger Arbeitskämpfe weiterzutragen und internationale Solidarität mit ihnen zu organisieren, hat die Rosa-Luxemburg-Stiftung zusammen mit Real Democracy Now, einer Gruppe in Berlin lebender griechischer Aktivisten, Streikende aus aktuellen Arbeitskämpfen eingeladen: Konstantina Daskalopulou, Journalistin der linksliberalen Tageszeitung Eleftherotypia (Ελευθεροτυπία), Panagiotis Katsaros, Stahlarbeiter im Stahlwerk Chalyvourgia Elladas, sowie Apostolos Kapsalis, Arbeitsrechtler und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsinstitut des griechischen Gewerkschaftsbundes GSEE. Mit ihnen an diesem Abend auf dem Podium: Dierk Hirschel (ver.di Vorstand, Bereichsleiter Wirtschaftspolitik) und der Sozialwissenschaftler Gregor Kritidis.
Kritides betonte eingangs, nicht Griechenland würde momentan gerettet, wie die Medien behaupten, sondern die Banken, Versicherungen und institutionellen Anleger, die griechische Staatsanleihen halten. Die Rechnung dafür müssen die Arbeitnehmer tragen, während die griechische Oberschicht bereits 200 Mrd. € in die Schweiz und andere Länder geschafft habe. Wie er verwies auch der Stahlarbeiter Katsaros darauf, dass Griechenland zu einem Experimentiertfeld mit Modellcharakter für das restliche Europa geworden sei: Die Kürzungen, die jetzt der griechischen Bevölkerung drohen, werden schon bald auch in Spanien, Italien und irgendwann Deutschland kommen. Katsaros schilderte den Kampf in seinem Stahlwerk, dessen Arbeiter seit 135 Tagen gegen Entlassungen und Lohnkürzungen streiken. Dieser Streik wurde von gewerkschaftlichen Basisgruppen organisiert und musste weitgehend ohne Unterstützung der großen Gewerkschaftsverbände geführt werden, die, so Katsaros, aufgrund ihrer Nähe zur sozialdemokratischen PASOK oft keinen konsequenten Kampf gegen die Politik der Troika in Griechenland führen würden. „Das Kapital wird nicht aufhören, bis alle Arbeitnehmerrechte weltweit platt gewalzt sind. Wir Arbeiter müssen unsere Rechte verteidigen, die wir in Jahrzehnten erkämpft haben!“, so der Stahlarbeiter.
Frau Daskalopulou meinte, in Griechenland gäbe es eine neue Diktatur, „eine Diktatur der Märkte. Die Diktatoren von heute kommen nicht mehr in den Uniformen der Generäle daher, sondern in den Anzügen der Banker.“ Sie schilderte die soziale Verwüstung in Griechenland in Folge der aufgezwungenen Sparmaßnahmen. Athen befinde sich am Rande eines humanitären Notstandes, 250.000 Menschen seien bereits auf Ernährung durch Suppenküchen angewiesen. „Feministinnen der Generation meiner Mutter kämpften für das Recht, keine Kinder bekommen zu müssen. Feministinnen meiner Generation kämpfen heute dafür, noch Kinder kriegen zu können, denn wir können uns aufgrund der neuen Armut keine mehr leisten.“ Sie schilderte den Kampf der JournalistInnen, DruckerInnen und Angestellten ihrer Zeitung, die seit Dezember im Streik sind, täglich auf Versammlungen über den weiteren Verlauf des Streiks beschließen und mittlerweile täglich eine Streikausgabe ihrer Zeitung unter Kontrolle der Beschäftigten herausbringen.
Der Arbeitsrechtler Kapsalis erläuterte die fundamentalen Angriffe auf Gewerkschaftsrechte und die Tarifautonomie, die sich momentan in Griechenland vollziehen. So droht Beschäftigten, die innerhalb von drei Monaten keinen neuen Tarifvertrag schließen, ein automatischer Absturz ihres Lohnes auf das Niveau des jetzt auf 620€ im Monat abgesengten Mindestlohns. Erstmals in der jüngeren griechischen Geschichte gelten nicht mehr gewerkschaftlich ausgehandelte Branchentarifverträge als verbindlich; statt dessen gäbe es nun die Möglichkeit für Arbeitgeber, individuelle Verträge mit den einzelnen Beschäftigten oder Personenvereinigungen abzuschließen und die Gewerkschaften außen vor zu lassen.
Auch Dierk Hirschel sprach von einem historischen Angriff auf die Errungenschaften der europäischen Arbeiterbewegung, der sich zur Zeit in Südeuropa vollziehe, bald aber auch in Deutschland auf die Tagesordnung gesetzt werden würde. Er ging auf das Problem bei der Koordinierung politischer Streiks in Europa ein: „Das Kapital greift immer nur punktuell an und kann so immer aufs neue den Widerstand zersplittern.“ Er plädierte für hohe Tarifforderungen in Deutschland als eine Antwort auf die Krise und als Mittel zum Abbau des deutschen Exportübergewichtes. Die Euro-Krise müsse von den Gewerkschaften in den Betrieben thematisiert werden. Mit seiner Forderung nach einem europäischen Marshallplan mit massiven Investitionen in Griechenland stieß er auf Widerspruch aus dem Publikum: Einigen Gästen erschien diese Forderung als zu wenig kämpferisch und zu staatstragend.
Auf der Veranstaltung konnten über 900 € an Spenden gesammelt werden. Sie sollen, zusammen mit den Spenden, die auf den kommenden Veranstaltungen gesammelt werden, je zur Hälfte den streikenden Stahlarbeitern und den streikenden Journalisten zur Verfügung gestellt werden.
Die Gäste:
- Panagiotis Katsaros, ein Kollege aus dem seit vier Monaten bestreikten Stahlwerk "Elliniki Chalywurgia"
- die Journalistin Konstantina Daskalopoulou aus der Zeitung "Eleftherotypia"
- Professor Apostolos Kapsalis vom wissenschaftlichen Institut der griechischen Gewerkschaften
- Dierk Hirschel (ver.di Vorstand, Betriebsleiter Wirtschaftspolitik)
- Gregor Kritidis (Sozialwissenschaftler)
Pressespiegel:
Kampf ums Überleben. Solidarität aus Spree-Athen, taz 12.03.2012
Arbeiter_innen organisieren sich und ihre Gewerkschaften, Wem gehört die Welt 13.03.2012