Während noch am Samstag Petrus der Rosa-Luxemburg-Stiftung wohlgesonnen war, schien es der Wettergott am Sonntag gar nicht gut mit den politischen Bildner/innen zu meinen. Schließlich sorgten anhaltender Regen und niedrige Temperaturen dafür, dass kurzfristig umdisponiert werden musste. So fand die Veranstaltung „Alles Mullah oder was? Das Feindbild Islam und seine Folgen“ dann auch nicht auf der Talkbühne des Festes der Linken statt, sondern wurde kurzerhand in die Räumlichkeiten des Kino Babylon verlegt. Da es sich nicht ausschließlich um eine Gesprächsrunde handelte, sondern auch zwei Auszüge aus dem Theaterstück „Kinder der Sonne Deutschlands“ von Schauspielern des JugendtheaterBüros Berlin aufgeführt wurden, wurde doch einiges an Improvisation verlangt. Sowohl Schauspieler als auch Gesprächsteilnehmerinnen ließen sich von den Umständen jedoch nicht beeindrucken. Moderatorin Marwa Al-Radwany begrüßte dann auch fast pünktlich mehr als 60 Gäste in der ausgesprochen gut gefüllten, provisorisch eingerichteten Räumlichkeit. Ausgangspunkt für die Veranstaltung war die zunehmende Islamfeindlichkeit in Deutschland, die basierend auf Zuschreibungen und Ausgrenzung fragwürdige politische Kampagnen und pauschale Verdachtsmomente gegen alle, die als „anders“ wahrgenommen werden, bewirkt. Die Stiftung lud dazu ein, populäre Klischees und deren Realitätsgehalt zu diskutieren und darüber hinaus zu ergründen, wie Linke zum Islam stehen und welche Gegenstrategien zum wachsenden antimuslimischen Rassismus denkbar sind. Mit zugespitzten und durchaus auch provokanten Szenen karikierten Elwin Chalabianlou, Kerim Balli und Mohammed Rmeih vom JugendtheaterBüro Berlin populäre Stereotype und Bilder über Muslime, mal als junge Männer, „muslimisch, männlich und Macho“ im Fitnessstudio und mal als geifernde Hassprediger, die gleich die Steinigung fordern, wenn die Frau im Supermarkt die Milch vergisst. Das Publikum war eingestimmt.
Auf dem Podium stellten sich anschließend mit Lydia Nofal (Projektkoordination im «Netzwerk gegen Diskriminierung von Muslimen» in Berlin), Christine Buchholz (MdB und friedenspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE), Betül Ulusoy (Gründerin der Initiative «MuslimaPride») und Karin Wüsten (Integrationsbeauftragte des Bezirks Berlin-Pankow) Expertinnen aus ganz unterschiedlichen Zusammenhängen der Diskussion. Lydia Nofal gab dem antimuslimischen Rassismus in ihren Beiträgen ein Gesicht. Muslimische Gemeinden haben demnach zunehmend mit Drohungen und Anfeindungen zu kämpfen. Zuletzt arbeiten Rassisten unter anderem mit „ekelhaften Karikaturen“, die sie beispielsweise an Grundschulen senden. Sie beklagte, dass antimuslimischer Rassismus noch immer nicht separat polizeilich erfasst werde. Dabei zählte ihre Organisation 2011 knapp 70 solcher Vorfälle in Berlin. Die Dunkelziffer liege jedoch weitaus höher. Karin Wüsten erinnerte an die Auseinandersetzungen im Zuge des Moschee-Neubaus in Pankow-Heinersdorf 2006. Teilweise fadenscheinige Argumente wurden damals gegen den Bau des muslimischen Gotteshauses vorgetragen. Unter anderem wurde beklagt, dass durch die Kuppel der Moschee der Funkempfang für Handys im Kiez gestört werde. Christine Buchholz verdeutlichte, dass antimuslimischer Rassismus auf den gleichen Ansätzen fuße wie der „herkömmliche“ Rassismus auch. Es werde mit Klischees und Unterstellungen gearbeitet, die eine Gruppe von Menschen pauschal verunglimpfe. Die Behauptung, Muslime befänden sich im Kulturkampf und strebten die „Weltherrschaft“ an, scheint dabei eine konstante Größe zu sein. Sie konstatiert, dass auch die Linke zum Kontext Religion großen Gesprächsbedarf habe. Buchholz plädierte für eine strikte Trennung von Staat und religiösen Institutionen. Derzeit, so ihre Feststellung, gebe es jedoch eine massive Bevorzugung christlicher Kirchen. Unter diesem Gesichtspunkt müsse wenigstens eine Gleichbehandlung aller Religionsgemeinschaften erreicht werden. Betül Ulusoy, unterstrich in ihren Beiträgen, dass der muslimische Glaube keineswegs die Unterdrückung der Frau nach sich ziehe. Demnach handele es sich bei muslimischen Frauen nicht um eine besondere Spezies. Sie könne durchaus emanzipatorisches Gedankengut transportieren und ein Kopftuch tragen. Befragt nach den Möglichkeiten, Vorurteilen und offenem Rassismus zu begegnen, stellte zunächst Karin Wüsten die Notwendigkeit der stetigen Kommunikation in den Vordergrund. In Gegenden, in denen Zuwanderung nicht sichtbar werde, hielte sich Abgrenzung gegenüber dem Unbekannten länger. Deshalb müsse man den Kontakt organisieren. In der Verwaltung ließe sich das auch über die Einstellung muslimischer Mitarbeiter/innen, die auch Publikumskontakt haben, erreichen. Die Politik habe zudem eine besondere Funktion beim Abbau von Ressentiments. In Pankow versuche man das über regelmäßig stattfindende „Politikstammtische statt Stammtischpolitik“ zu organisieren. Christine Buchholz forderte, den Freiheitsbegriff nicht ausschließlich auf die eigene Person zu begrenzen und unterstützte damit die Position Ulusoys. Schließlich gebe es auch etwas wie eine Bringschuld der Mehrheitsgesellschaft gegenüber vermeintlichen Minderheiten. Wenngleich der Dissens im Podium begrenzt blieb, vermochte es die Runde, die Probleme und deren Ursachen klar zu benennen. Deutlich wurde dabei aber auch, dass deren Lösung die Bereitschaft der „Mehrheitsgesellschaft“ voraussetzt.
Axel Krumrey
Veranstaltungsankündigung |
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In Krisenzeiten wächst auch in Deutschland die Abgrenzung gegenüber sozial Benachteiligten sowie Menschen und Lebensweisen, die als „anders“ wahrgenommen werden. JournalistInnen, die nicht müde werden, immer wieder das Bild hinterwäldlerischer Muslime zwischen Burka und „Ehrenmord“ zu zeichnen, medial gehypte Bestseller diverser „Sarrazyniker“ sowie fragwürdige politische Kampagnen der Innenministerien gegen islamistische Splittergruppen, die jedoch Muslime pauschal unter Verdacht stellen, befeuern den ohnehin verbreiteten Rassismus und Sozialdarwinismus. Besonders der Islam wird innenpolitisch wie außenpolitisch zum Feind erklärt und dient als Projektionsfläche für sämtliche unerwünschten Phänomene wie Terrorismus, Fundamentalismus, „Rückständigkeit“, Frauenunterdrückung oder Homophobie. Die Islamdebatte hat dabei nichts mit der Religion zu tun, sondern dient den durch die Krise Verunsicherten vielmehr zur Selbstvergewisserung und zur Abwertung der „Anderen“. Antimuslimischer Rassismus ist bei Weitem nicht mehr nur ein Problem von Muslimen und als Muslime Markierten: Wenn unverbrüchliche Grund- und Freiheitsrechte nicht mehr für alle gelten sollen und die Würde von Menschen angetastet wird, ist die Demokratie in Gefahr.
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