Seit einiger Zeit rumort es in der freien Kunst- und Kulturszene. Der Wandel der berlinspezifischen Standortbedingungen für künstlerisch-kreative Arbeit provoziert soziale Spannungen und Ambivalenzen. Vor dem Hintergrund von Preisauftrieb, Wohn- und Arbeitsraumverknappung und gleichzeitig karger ökonomischer Existenzbedingungen sowie einer stadtpolitischen Vereinnahmung als kultureller Standortfaktor lässt sich ein Politisierungsschub der freien Kultur-Szene Berlins beobachten. Deren Hauptforderung zielt auf die Verbesserung von künstlerischen Arbeits- und Produktionsbedingungen. Eingewoben ist sie in einen programmatischen Konsens, der sich gegen eine Inszenierung als Creative Class sperrt und sich über die Diskrepanz zwischen real existierenden Arbeits- und Produktionsbedingungen und dem Bild vom Künstler als innovativen und flexiblen Unternehmer empört.
In Berlin sind «Die Koalition der freien Szene» Berlin und «Haben und Brauchen » zentrale Akteur_innen, die sich für die Interessen von unabhängigen Kulturschaffenden einsetzen. Der Streit um die «City Tax» und damit der Anteil, den die freie Szene aus der seit 2014 erhobenen Hotelbettensteuer vom Berliner Senat erhält, ist neben Raumfragen ein zentraler Schauplatz der Berliner Initiativen. Hierbei handelt es sich um strategische, aber bundesweit keineswegs um die einzigen Interventionen gegen prekäre Arbeits- und Produktionsbedingungen für künstlerisch-kreative Arbeit. So lassen sich etwa in Hamburg ähnliche Protestinitiativen beobachten. Bereits im Jahr 2008 widersetzte sich dort die Initiative «Not in our Name, Marke Hamburg» einer stadtpolitischen Vereinnahmung von Kulturschaffenden als Imagefaktor. Den Hamburger Aufruf zur Verweigerung «über diese Stadt in Marketing-Kategorien zu sprechen» unterschrieben damals mehrere Hundert Kulturschaffende. Und auch in Hamburg hat sich eine «Koalition der Freien» gegründet, die für angemessene Vergütung und Fördermittel, bezahlbaren Arbeitsraum und dafür streitet, nicht unter dem Etikett «Kreativwirtschaft » als Creative Class subsumiert zu werden. Ein weiteres Beispiel ist «Art But Fair». Ziel dieser Initiative ist es, Künstler untereinander zu solidarisieren und miteinander zu vernetzen sowie einen Prozess zwischen allen am Kulturbetrieb beteiligten sozialen Gruppen anzustoßen, um faire Löhne und Arbeitsbedingungen zu realisieren.
In dieser Veranstaltung haben wir über Intentionen, bisherige Erfolge, Konflikte und Zukunftsaussichten einer neuen Interessenpolitik im Kunst- und Kulturbereich diskutiert. Worum geht es Künstler_innen heute, wenn sie die Gesellschaft kritisieren? Geht es ihnen im Sinne der Sozialkritik um den Kapitalismus als Quelle von Elend, Ungleichheit und Ausbeutung? Oder treten sie ausschließlich für die Freiheit des/ Künstlers/_in ein? Wofür streiten sie? Für mehr soziale Gerechtigkeit oder allein für authentische Arbeit als Vorrecht einer privilegierten sozialen Klasse von Künstler_innen? Wie also verstehen sich die Initiativen? Wollen Sie (wieder) ein Stachel in der Gesellschaft sein und Sozialkritik üben? Sind Künstler also doch «widerständige Subjekte» oder streiten sie ausschließlich für ihre eigenen Interessen und Räume? Wie vernetzt sind die Initiativen untereinander? Bilden sie eine städteübergreifende Gesellschaftskritik oder köchelt jede ihr eigenes Süppchen?
Es diskutierten:
- Julia Lazarus (Künstlerin und eine Sprecherin von «Haben und Brauchen»)
- Sören Fenner (Schauspieler sowie Gründer und geschäftsführender Inhaber von theaterjobs.de, Art but Fair)
- Inga Zimprich/Janine Eisenächer (Flutgraben e. V.)
- Christophe Knoch (Koalition der Freien Szene Berlin)
- Dr. Stacie Stahnke (Mitinitiatorin«Kunst, Krise – feministische Positionen» 2014 sowie «Prekäre Kunst: Protest & Widerstand» 2015, alpha nova & galerie Futura Berlin)
Moderation:
Dr. Alexandra Manske (Soziologin)