Vom 20. bis 22. Januar fand in Bremen die Konferenz «Sorgende Städte – Kommunale Strategien für feministisches Vergesellschaften» statt. Die ca. 200 Konferenzteilnehmer*innen waren altersmäßig bunt gemischt und kamen aus unterschiedlichen care-politischen Feldern: Viele waren aus Bremen, anderen waren nicht nur aus dem deutsprachigen Ausland, sondern von weither angereist; es waren Beschäftigte da und Gewerkschafter*innen, genauso wie Wissenschafter*innen und Menschen aus queer-feministitischen Bewegungen – viele waren von den feministischen Streiks inspiriert und entspechend organisiert, aber es gab auch linke Stadträt*innen, Lokalpolitiker*innen oder Beschäftigte in kommunalen Verwaltungen, schließlich waren auch ein paar Leute aus Care Revolution-Gruppen da, die sich Anstöße für ihre Tätigkeit vor Ort holen wollten.
Ziel dieser Konferenz war es, Ansatzpunkte zu diskutieren, wie sich Care-Aufgaben in gesellschaftliche Verantwortung überführen lassen, mit denen gegenwärtig Unternehmen Profit machen oder mit denen Menschen in Privathaushalten, faktisch insbesondere Frauen, allein gelassen werden. Es ging den Veranstalter*innen also um eine doppelte Entprivatisierung und Vergesellschaftung von Care: Weg von Profitmacherei und raus aus privater Vereinzelung, in kollektive Verfügung. Wichtig war dabei, dass Vergesellschaftung nicht als Verstaatlichung begriffen werden sollte. Alle diejenigen, deren Lebensumstände von der kommunalen Care-Infrastruktur – Krankenhäuser, Kitas, Nachbarschaftszentren – , aber auch von Rahmenbedingungen wie Zugang zu Bussen oder Wohnraum betroffen sind, sollen mitentscheiden und mitgestalten können. Dass dieser Prozess die Care-Einrichtungen ebenso wie die Sorge-Beziehungen und die Menschen in ihnen verändern wird, war ebenfalls Thema der Konferenz.
Hier achtete das Vorbereitungsteam dankenswerterweise darauf, in den drei Themensträngen der Konferenz die Verbindung zwischen Analyse und Ausloten der politischen Handlungsoptionen herzustellen. Die Strängen behandelten
- selbstorganisierte, kollektive Sorgekonzepte,
- Anforderungen an einen demokratischen Vergesellschaftungsprozess, damit er nicht zu einer paternalistischen Maßnahme staatlicher Versorgung führt,
- und Anti-Privatisierung im Sinne von Konzepten, wie renditeorientierte Unternehmen tatsächlich aus den Care-Bereichen herauszudrängen wären.
Neben der Suche nach gut begründeten Strategien ging es immer auch um die Verbindung von Aktivismus aus den sozialen Bewegungen heraus und Kommunalpolitik. Dahinter stand der Drang, Konzepte nicht für den luftleeren Raum oder die akademische Reputation zu entwerfen, sondern zu gesellschaftlicher Emanzipation und besseren Lebensbedingungen beizutragen. Für mich war dies das Schönste an der Konferenz: Dieser ernsthafte Wunsch, nach gangbaren Wegen zu besseren Bedingungen für Menschen mit umfangreichen Sorgeaufgaben und zu gesellschaftlicher Emanzipation zugleich beizutragen. Das beinhaltete auch die Bereitschaft, Szenegrenzen zu überschreiten – zumindest erstmal gedanklich. Wie nötig das ist, wurde insbesondere beim Abschlusspanel ausführlich diskutiert. Mit Ausnahme der Veranstaltung am Freitagabend zur Altenpflege, die sehr auf Handlungsoptionen der Kommunalpolitik orientiert war, ging dieses Konzept wirklich auf.
Ein Highlight waren die Erzählungen von Aktivistinnen aus Barcelona und insbesondere aus Rosario (Argentinien), wo die Bewegungen selbst den Schritt in die Politik gingen und dabei versuchten, ihre Verankerung in den Stadtteilen beizubehalten. Was aus Rosario berichtet wurde – über die gemeinsame Bestimmung des Bedarfs in Befragungen, Diskussion in Versammlungen und strategischen Entscheidungen bis zur politischen Durchsetzung und dem gleichzeitigen Wachsen von Solidarität – war sehr inspirierend. Zugleich aber auch etwas frustrierend: Wir sind von diesem Niveau strategisch durchdachter und bewegungsorientierter Lokalpolitik noch so weit entfernt; so erlebten wir die potentielle Kraft genauso wie die gegenwärtige Hilflosigkeit, die die Care-Politik durchzieht. Aber Gegenstand der Diskussionen waren eben Strategien und Werkzeuge, daran etwas zu ändern: Organizing, Mapping, ein lernender und solidarischer Umgang miteinander und vieles mehr. Der Beweis des Puddings besteht im Essen: In Berlin und Bremen werden Versuche unter der Überschrift der ‚sorgenden Stadt‘ unternommen. Aber auch die Aktivist*innen etwa aus Frauen*-/feministischer Streik- oder Care Revolution-Gruppen können Anregungen und Kontakte mitnehmen.
Matthias Neumann, Netzwerk Care Revolution, Februar 2023