Dokumentation Sorgende Städte

Kommunale Strategien für feministisches Vergesellschaften | Konferenz in Bremen

Information

Veranstaltungsort

Bremen

Zeit

20.01.2023 - 22.01.2023

Themenbereiche

Soziale Bewegungen / Organisierung, Geschlechterverhältnisse

Zugehörige Dateien

«Was sind Sorgende Städte? Und wo kommt das Konzept her?»

Auftaktpanel am Samstag morgen mit Barbara Fried (Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin), Judith Kluthe (Rosa Luxemburg Initiative - Rosa-Luxemburg-Stiftung Bremen), Laura Pérez (Stadträtin für Feminismus, Barcelona en Comú), Mouna Maaroufi (Universität Hamburg, nicht-kommerzieller Stadteilladen Bilgisaray, Berlin )
 

Das Leben ins Zentrum stellen! Diese Forderung feministischer Bewegungen ist so umfassend, wie die eskalierenden Krisen, denen sie begegnen müssen. Mitten in eine Krise der Daseinsvorsorge trifft die Pandemie, gefolgt von Krieg, Inflation und explodierenden Energie- und Lebensmittelkosten. Von der alles überwölbenden Klimakrise, die für viele auch Flucht bedeutet, ganz zu schweigen. Niedrige Löhne, entgrenzte Arbeit und steigende Mieten treffen Frauen in besonderer Weise. Auch, weil sie es sind, die zu Hause kompensieren, was durch kaputt gesparte soziale Infrastrukturen wegbricht. Nicht selten bedeutet hohe Sorgeverantwortung auch Armut und soziale Isolation.

Was lässt sich tun gegen die fortschreitende Inwertsetzung des Lebens? Wie könnte eine Ökonomie aussehen, die das Wohl der Vielen zum Ziel hat und jede Arbeit wertschätzt? Wie müssen Institutionen aussehen, in denen wir demokratisch darüber entscheiden, wie Sorgearbeit organisiert werden kann, und alle Bedürfnisse zu ihrem Recht kommt? Und wie lassen sich sowohl konkrete Verbesserungen im Alltag erreichen als auch eine grundlegende Gesellschaftsveränderung einleiten? Eine Strategie für das Heute und das Morgen. 

All das wurde zwischen dem 20. und 22. Januar auf der Konferenz diskutiert. Es ging um feministische Vergesellschaftung, um kommunale Strategien gegen die Care-Krise und um Einstiegsprojekte in eine sozialistisch-feministische Zukunft.

Wir dokumentieren ausgewählte Teile der Konferenz.

Konferenzbericht

Vom 20. bis 22. Januar fand in Bremen die Konferenz «Sorgende Städte – Kommunale Strategien für feministisches Vergesellschaften» statt. Die ca. 200 Konferenzteilnehmer*innen waren altersmäßig bunt gemischt und kamen aus unterschiedlichen care-politischen Feldern: Viele waren aus Bremen, anderen waren nicht nur aus dem deutsprachigen Ausland, sondern von weither angereist; es waren Beschäftigte da und Gewerkschafter*innen, genauso wie Wissenschafter*innen und Menschen aus queer-feministitischen Bewegungen – viele waren von den feministischen Streiks inspiriert und entspechend organisiert, aber es gab auch linke Stadträt*innen, Lokalpolitiker*innen oder Beschäftigte in kommunalen Verwaltungen, schließlich waren auch ein paar Leute aus Care Revolution-Gruppen da, die sich Anstöße für ihre Tätigkeit vor Ort holen wollten.

Ziel dieser Konferenz war es, Ansatzpunkte zu diskutieren, wie sich Care-Aufgaben in gesellschaftliche Verantwortung überführen lassen, mit denen gegenwärtig Unternehmen Profit machen oder mit denen Menschen in Privathaushalten, faktisch insbesondere Frauen, allein gelassen werden. Es ging den Veranstalter*innen also um eine doppelte Entprivatisierung und Vergesellschaftung von Care: Weg von Profitmacherei und raus aus privater Vereinzelung, in kollektive Verfügung. Wichtig war dabei, dass Vergesellschaftung nicht als Verstaatlichung begriffen werden sollte. Alle diejenigen, deren Lebensumstände von der kommunalen Care-Infrastruktur – Krankenhäuser, Kitas, Nachbarschaftszentren – , aber auch von Rahmenbedingungen wie Zugang zu Bussen oder Wohnraum betroffen sind, sollen mitentscheiden und mitgestalten können. Dass dieser Prozess die Care-Einrichtungen ebenso wie die Sorge-Beziehungen und die Menschen in ihnen verändern wird, war ebenfalls Thema der Konferenz.

Hier achtete das Vorbereitungsteam dankenswerterweise darauf, in den drei Themensträngen der Konferenz die Verbindung zwischen Analyse und Ausloten der politischen Handlungsoptionen herzustellen. Die Strängen behandelten

  • selbstorganisierte, kollektive Sorgekonzepte,
  • Anforderungen an einen demokratischen Vergesellschaftungsprozess, damit er nicht zu einer paternalistischen Maßnahme staatlicher Versorgung führt,
  • und Anti-Privatisierung im Sinne von Konzepten, wie renditeorientierte Unternehmen tatsächlich aus den Care-Bereichen herauszudrängen wären.

Neben der Suche nach gut begründeten Strategien ging es immer auch um die Verbindung von Aktivismus aus den sozialen Bewegungen heraus und Kommunalpolitik. Dahinter stand der Drang, Konzepte nicht für den luftleeren Raum oder die akademische Reputation zu entwerfen, sondern zu gesellschaftlicher Emanzipation und besseren Lebensbedingungen beizutragen. Für mich war dies das Schönste an der Konferenz: Dieser ernsthafte Wunsch, nach gangbaren Wegen zu besseren Bedingungen für Menschen mit umfangreichen Sorgeaufgaben und zu gesellschaftlicher Emanzipation zugleich beizutragen. Das beinhaltete auch die Bereitschaft, Szenegrenzen zu überschreiten – zumindest erstmal gedanklich. Wie nötig das ist, wurde insbesondere beim Abschlusspanel ausführlich diskutiert. Mit Ausnahme der Veranstaltung am Freitagabend zur Altenpflege, die sehr auf Handlungsoptionen der Kommunalpolitik orientiert war, ging dieses Konzept wirklich auf.

Ein Highlight waren die Erzählungen von Aktivistinnen aus Barcelona und insbesondere aus Rosario (Argentinien), wo die Bewegungen selbst den Schritt in die Politik gingen und dabei versuchten, ihre Verankerung in den Stadtteilen beizubehalten. Was aus Rosario berichtet wurde – über die gemeinsame Bestimmung des Bedarfs in Befragungen, Diskussion in Versammlungen und strategischen Entscheidungen bis zur politischen Durchsetzung und dem gleichzeitigen Wachsen von Solidarität – war sehr inspirierend. Zugleich aber auch etwas frustrierend: Wir sind von diesem Niveau strategisch durchdachter und bewegungsorientierter Lokalpolitik noch so weit entfernt; so erlebten wir die potentielle Kraft genauso wie die gegenwärtige Hilflosigkeit, die die Care-Politik durchzieht. Aber Gegenstand der Diskussionen waren eben Strategien und Werkzeuge, daran etwas zu ändern: Organizing, Mapping, ein lernender und solidarischer Umgang miteinander und vieles mehr. Der Beweis des Puddings besteht im Essen: In Berlin und Bremen werden Versuche unter der Überschrift der ‚sorgenden Stadt‘ unternommen. Aber auch die Aktivist*innen etwa aus Frauen*-/feministischer Streik- oder Care Revolution-Gruppen können Anregungen und Kontakte mitnehmen.

Matthias Neumann, Netzwerk Care Revolution, Februar 2023

Du hast Fragen zu dem Projekt «Sorgende Städte»? Dann schaue Dich auf der Webseite um oder schreibe uns eine E-mail an sorgende-stadt@rosalux.org

Videoaufzeichnungen

Feministisch Vergesellschaften

Panel-Aufzeichnungen der Konferenz «Sorgende Städte» vom 20. bis 22. Januar in Bremen

Was sind Sorgende Städte?

Details

Wir schauen auf das Konzept der Sorgenden Stadt, das im Kontext eines feministischen Munizipalismus in Spanien entstanden ist. Was bedeutet es, Sorgearbeit und Sorgeverhältnisse zu demokratisieren und zu vergesellschaften? Wie lassen sich kommunale Care-Politiken davon anleiten? Welche Einstiegsprojekte in eine geschlechtergerechte Transformation und für eine Gesellschaft der Vielen existieren bereits oder müssen entwickelt werden? Und welche Rolle spielt dabei der städtische Raum?

Unsere Gäste:

Laura Pérez, Stadträtin für Feminismus, Barcelona en Comú
Barbara Fried, Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin
Mouna Maaroufi, Universität Hamburg, nicht-kommerzieller Stadteilladen Bilgisaray, Berlin

Moderation: Judith Kluthe, Rosa Luxemburg Initiative - Rosa-Luxemburg-Stiftung Bremen

Auftaktpanel der Konferenz «Sorgende Städte Kommunale Strategien für feministisches Vergesellschaften» vom 20. - 22. Januar 2023 in Bremen.

Sorgearbeit zwischen Community-Kapitalismus und Caring Communities

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Fallstricke und Potenziale selbstorganisierter Care-Strukturen Sorgearbeit muss raus aus dem privaten Bereich, rein in gesellschaftliche Verantwortung. Aber was heißt das für die viele unentlohnte Sorgearbeit in den Haushalten? Welche Rolle können selbstorganisierte Netzwerke und Nachbarschaften spielen? Können so neue Infrastrukturen entstehen, die nicht nur die Lücken der öffentlichen Daseinvorsorge stopfen und zu zugespitzter Ausbeutung führen? Liegt hier eine Chance für Einsprüche gegen heteronormative Lebensmodellen? Und wie könnte staatliche Unterstützung so gestaltet werden, dass Selbstorganisation und Teilhabe keine neuen Zugangshürden aufbauen?

Mit:

Mike Laufenberg, Universität Jena
Sarah Schilliger, Universität Bern, Wissenschaftlicher Beirat der Rosa-Luxemburg-Stiftung
Tine Haubner, Universität Jena - Videobeitrag
Moderation: Barbara Fried, Rosa-Luxemburg-Stiftung

Dieser Workshop fand im Rahmen der Konferenz «Sorgende Städte Kommunale Strategien für feministisches Vergesellschaften» vom 20. - 22. Januar 2023 in Bremen statt.

Sorgezentren als lokale Impulse für eine Transformation der Sorgeverhältnisse

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In diesem Podium geht es um die Frage nach einer Schnittstelle zwischen öffentlicher Sorgeinfrastruktur und Selbstorganisation. Die Gäste diskutieren am Beispiel von kommunalen Sorgezentren, welche Bedingungen für eine erfolgreiche Umverteilung von Sorgearbeit gegeben sein müssen. Wie können Sorgezentren auf aktuelle Bedürfnisse antworten und gleichzeitig Ausgangspunkt für eine Transformation von Sorgeverhältnissen sein?

Mit:
Lucía Morale, Barcelona en Comú, Büroleiterin von Laura Perez - Bürgermeisterin für Feminismus
Rosario Olivares, Koordinatorin des kommunalen Care-Plans in Santiago de Chile
Charlotte Schmitz, AK Gesundheit Die LINKE Bremen, Bürgerschaftskandidatin 2023

Moderation: Alex Wischnewski, Rosa-Luxemburg-Stiftung

Dieser Workshop fand im Rahmen der Konferenz «Sorgende Städte Kommunale Strategien für feministisches Vergesellschaften» vom 20. - 22. Januar 2023 in Bremen.

Gemeinsam Sorgearbeit vergesellschaften – wie wir Kämpfe verbinden

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Wie gelingt es uns, an unterschiedlichen Orten und in unterschiedlichen Projekten für eine gemeinsame
Vision zu kämpfen? Wie können Strategien aussehen, die die Fragmentierungen der Klasse überwinden?

Mit:

Caren Tepp, Cidudad Futura, Rosario/Argentinien
Tashy Endres, Architektin & Organizerin, Deutsche Wohnen&Co Enteignen, ehem. Kotti&Co
Teresa Gärtner, feministischer Streik Jena
Doris Achelwilm, DIE LINKE Bremen
Moderation: Sofia Heuser, DIE LINKE Bremen & Alex Wischneswki, Rosa-Luxemburg-Stiftung

Abschlusspanel der Konferenz «Sorgende Städte Kommunale Strategien für feministisches Vergesellschaften» vom 20. - 22. Januar 2023 in Bremen.