Gewerkschaften und Umweltbewegung treten zusammen für eine gerechte Mobilitätswende an. Erst jüngst unterzeichneten IG Metall, EVG, ADFC, Allianz pro Schiene und Zukunft Fahrrad eine gemeinsame Erklärung «Verkehrswende braucht Zeitenwende». Dies weist in die richtige Richtung. EVG und verdi koordinierten im März letzten Jahres ihre Streiks. In der Tarifrunde Nahverkehr in diesem Jahr streikten verdi und Fridays for Future bereits das zweite Mal unter dem Motto «#wirfahrenzuammen» für den Ausbau des ÖPNV, gute Arbeitsbedingungen und faire Löhne für die Beschäftigten.
Die Lage ist dringlich: Die Fortschritte im Bereich Mobilitätswende sind viel zu langsam, eine Trendwende bei CO2-Ausstoß des Verkehrs noch längst nicht erreicht, ganz im Gegenteil. Die Zeit läuft davon. Nicht einmal das – immer noch zu teure – «Deutschlandticket» scheint ab 2025 noch gesichert. Es fehlt an Fahrerinnen und Fahrern im Nahverkehr, an Lokführerinnen und Lockführern, aber es mangelt genauso an einer ausreichenden Finanzierung der notwendigen Transformation.
Währenddessen führen die Antriebswende in der Automobilindustrie und die verstärkte Konkurrenz neuer Player aus China oder von Tesla zu einer ausgewachsenen Krise der Beschäftigung. Bisher haben die deutschen Automobilkonzerne auf hochpreisige Modelle mit Verbrennungsmotor gesetzt. Diese Konzernstrategie führen sie gegenwärtig im Elektrosegment fort. Dabei produzieren sie keine kleinen E-Autos oder Busse, sondern bevorzugt große, schwere, hoch motorisierte E-SUV. Diese sind kapital-, aber nicht gleichsam arbeitsintensiv. Und so geht die Umstellung auf E-Autos mit deutlichen Beschäftigungsverlusten einher, insbesondere bei den Zulieferern. Ganz zu schweigen von den Auswirkungen in Ländern in Afrika oder Lateinamerika, von Chile bis Kongo, wo die hohen Rohstoffbedarfe der Industrieländer zu sozialen und ökologische Krisen führen.
In Einzelfällen gelingt in Betreiben die Konversion hin zu anderen Produkten, z.B. Wärmepumpen – meist auf Druck der Gewerkschaften. Für die Transformation und Konversion der Produktion braucht es mehr gezielte staatliche Unterstützung, gebunden an Gute Arbeit, Tarifbindung, ein ökologisch nachhaltiges Geschäftsmodell und eine öffentliche Beteiligung.
Daneben sind auch weitreichende Perspektiven gefragt: Daher braucht es große Investitionen für den Ausbau des Nahverkehrs wie des Schienenverkehrs, für Gute Arbeit und für jede und jeden bezahlbare Fahrpreise. Die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form blockiert dabei den Weg in eine Transformation für die Zukunft. Um diese zu realisieren, sollten auch die einkommensstärksten Haushalte wieder mehr an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligt werden, etwa über eine Vermögenssteuer und/oder konsequentere Übergewinnsteuern. Eine Verschiebung vom Individual- auf den öffentlichen Verkehr hierzulande würde auch den Rohstoffbedarf senken und mehr globale Gerechtigkeit mit sich bringen.
Doch es bedarf auch einer anderen sozial-ökologischen Industriepolitik: Denn für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs braucht es eine entsprechende Produktion von Schienenfahrzeugen, E-Bussen, Straßenbahnen, E-Bikes etc. Eine Produktion, die zu einem erheblichen Teil in Deutschland gehalten werden sollte. Die erwähnte Erklärung von Gewerkschaften und Umweltinitiativen fordert u.a. eine «Mindestwertschöpfungsquote von 50 Prozent […] in Deutschland bei der Fahrzeugbeschaffung öffentlicher Verkehrsunternehmen». Dies erfordert Planungssicherheit für Unternehmen, aber auch ein Eingreifen der öffentlichen Hand, wenn private Unternehmen nicht mehr Willens sind, Standorte in der Bus- oder Schienenfahrzeugindustrie zu erhalten und für die Transformation fit zu machen. Studien (z.B. «Spurwechsel» 2022 der Rosa-Luxemburg-Stiftung oder von M-Five/Frauenhofer Institut 2020) belegen, welch hohes Beschäftigungspotenzial dort zu heben wäre, mit tariflich hohen Standards. Dabei gilt für uns: Eine alternative sozial-ökologische Industriepolitik verfolgt auch das Ziel von Abrüstung und Rüstungskonversion.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieses Ratschlages, Vertreter und Vertreterinnen aus verschiedenen Betrieben und Gewerkschaften, Umwelt- und Klimaaktivist*innen sowie kritische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erklären, künftig nach gemeinsamen Initiativen und gemeinsamen Praxisformen zu suchen, Forderungen und Streikmaßnahmen der Bündnispartner zu unterstützen oder - wo möglich - gemeinsam anzugehen. Erste Erfahrungen und Beispiele gibt es bereits:
#wirfahrenzusammen für zukunftsorientierte und nachhaltige Investitionen in den öffentlichen Verkehr, für #mehrAchtung und gute Arbeit und einen #fairWandel mit Perspektiven für eine industrielle Produktion für die Mobilitätswende.
Heiko Balsmeyer, Verkehrsclub Deutschland (VCD)
Christine Behle, stellvertretende Bundesvorsitzende ver.di
Antje Blöcker, Industriesoziologin, Universität Bochum
Ulrich Brand, Universität Wien
Carsten Büchling, VW-Betriebsrat (IGM), Kassel
Cedric Büchling - insorgiamo.de / ex:GKN Soli, Frankfurt/M
Mario Candeias, Politologe, Rosa-Luxemburg-Stiftung, ver.di-Mitglied, Berlin
Judith Dellheim, Politökonomin, Senior Fellow RLS, Berlin
Alex Demirovic, Goethe-Universität, Frankfurt am Main/Berlin
Klaus Dörre, Soziologe, Universität Jena
Mathias Ebenau, 1. Bevollmächtigter d. IG Metall Hanau-Fulda
Bettina Ellermann-Cacace, IG Metall Offenbach
Karsten Färber, Die Linke KV Goslar
Axel Gerntke, eh. Bevollmächtigter IG Metall Wiesbaden-Limburg, eh. MdL Die Linke Hessen
Gruppe „Klasse&Klima“
Achim Heier, Attac, Bremen
Matthias Fritz, eh. Betriebsrat Mahle
Franziska Heinisch, Fridays for Future, Berlin
Lars Hirsekorn, Betriebsrat VW (IGM) Braunschweig
Marvin Hopp, Universität Göttingen
Benjamin Hornung, Gewerkschaftssekretär IG Metall Kassel
Andreas Klepp, GEW / Vorstand Rosa-Luxemburg-Stiftung Niedersachsen
Jürgen Klippert, IG Metall, Kassel
Hans Koebrich, IG Metall Berlin
Rhonda Koch, Universität Basel / Fridays for Future
Bernhard Knierim, Bahn für alle + (Bring the night trains) back on track!, Werder (Havel)
Stephan Krull, eh VW-Betriebsrat, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Hamburg
Hans Lawitzke, Europäischer Ford Betriebsrat (EFB)
Sabine Leidig, Die LINKE Stadtverordnete Kassel / Vorstand ISM
Paul Michel, Netzwerk Ökosozialismus, Schwäbisch-Hall
Stefan Nagel, Produktionsfachkraft Automobilindustrie, Vertrauenkörper (IGM) bei BMW Leipzig und Mitglied im Vorstand DIE LINKE.Sachsen
Theresa Pfaff, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)
Matthias Pippert, Gewerkschaftssekretär für Verkehrspolitik, Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG)
Saida Ressel, NELA. Next Economy Lab, Bochum
Bernd Riexinger, MdB Die Linke, Stuttgart
Rainer Rilling, Soziologe, Senior Fellow RLS, Marburg
Tobi Rosswog, AMSEL44 und VerkehrsWendestadt Wolfsburg
Jan Rübke, ver.di Mitglied, #wirfahrenzusammen Hamburg
Thomas Sablowski, Politologe, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin
Robert Sadowsky, eh. Geschäftsführer IG Metall Gelsenkirchen
Nina Schlosser, Politökonomin, Transformationskolleg der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin der Universität Wien und der RLS, Mitglied bei Die Linke
Johannes Schulten, Journalist, Berlin
Astrid Seegert, Soziologin, Berlin
Knut-Sören Steinkopf, Gewerkschaftssekretär ver.di Bundesverwaltung
Carl Waßmuth, Bahn für Alle + für Gemeingut in BürgerInnenhand, Berlin
Florian Wilde, Referent für internationale Gewerkschaftspolitik, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Hamburg
Maximilian Wilken, communia e.V., Berlin
Markus Wissen, Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin
Janine Wissler, Co-Vorsitzende Die Linke
Florian Witte, Betriebsrat DB Cargo, EVG, Mainz
Fanny Zeise, Referentin für gewerkschaftliche Erneuerung, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin