Die Würfel sind gefallen
Mit dem deutlichen Sieg der «Allianz für Deutschland» bei den Volkskammer-Wahlen am 18. März 1990 endete die eigenständige Geschichte der DDR.
Die «Allianz für Deutschland» konnte einen triumphalen Erfolg verbuchen. Die CDU-Ost erringt 40,8 Prozent der Stimmen und damit 163 der 400 Mandate in der neugewählten Volkskammer. Die Bündnispartner in der «Allianz für Deutschland» blieben davon weit entfernt: die Deutsche Soziale Union (DSU) erreichte 6,3 Prozent und 25 Sitze, der Demokratische Aufbruch (DA) 0,9 Prozent und 4 Mandate. Zweitstärkste Kraft wurde die SPD mit 21,9 Prozent (88 Mandate). Die PDS bestand in ihrem Wahlkampf auf der Eigenständigkeit des Weges der DDR (und sei es einer mit dem Ergebnis einer Vereinigung beider deutscher Staaten) und erreichte immerhin 16,4 Prozent der Stimmen und damit 66 Mandate. Die Vereinigte Linke, die gemeinsam mit den NELKEN zur Wahl antrat, hatten ja bereits die Schritte der Regierung Modrow, die in eine schnelle Vereinigung führen könnten, abgelehnt. Mit dieser konsequenten Haltung erreichten sie noch ein Mandat.
Das Gefühl wird zur materiellen Gewalt. Das Volk hat die deutsche Einheit mit allen Konsequenzen gewählt. Da half es auch nicht, das neue Oben an seine Bekenntnisse zu einem eigenständigen Weg der DDR oder zur Erneuerung des Sozialismus aus dem Herbst 1989 zu erinnern.
Bereits 8 Tage vor der Wahl hatte Manfred Kossok in dem bereits angeführten Artikel die Situation recht gut beschrieben:
«Spätestens seit dem 13. Februar 1990 ist die DDR ein Staat auf Zeit. Der Abschied in Raten hat begonnen. Zugleich hat die Wende in der Wende den Charakter der Umwälzung von grundauf verändert: Ende der heroischen Illusion der Oktobertage als Revolution im und für den Sozialismus. Die Revolution hatte die richtigen Verlierer, aber wird sie auch die richtigen Sieger haben? Bestimmend wird jetzt die national-restaurative Tendenz. Thermidor ist angesagt. Die Revolution verläßt ihre Geschöpfe. An die Stelle des Dialogs treten Konfrontation und Ausgrenzung. Nicht Konsens, sondern Polarisierung gibt den Ton an. Die Freiheit des Andersdenkenden und das Bekenntnis zu einer Koalition der Vernunft gehören der Vergangenheit an. Gegen die Wellen nationaler Emotion hat die sanfte Gewalt der Vernunft vorerst keine Chance.»
Wie zur Bestätigung erklärte Volker Rühe in seinem Kommentar zu den Wahlergebnissen:
«…ich sehe das Ganze als einen Erfolg für die Demokratie. Und hier in der DDR - sicherlich ein Erfolg für die Allianzparteien. Wir sind persönlich sehr glücklich über die Zustimmung für Helmut Kohl...
[Frage:] Eine Volksabstimmung oder eine neue Verfassung oder deren Ausarbeitung schließen Sie also aus?
Wir sind ohnehin gegen plebiszitäre Entscheidungen. Wir haben schlechte Erfahrungen damit gemacht.»
Deutlicher kann man nicht sagen, dass der Wahlsieg der Allianz einer auf Kredit war – die Rückzahlung war die Unterwerfung unter die alt-bundesdeutschen Einheitsvorstellungen.
Dabei nahm die Frage nach der Verfassung des künftigen Staates und nach der Art und Weise seiner Schaffung einen zentralen Platz ein. So ist nicht erstaunlich, mit welcher Intensität der Runde Tisch bis zu seinem Ende an einer neuen Verfassung arbeitete. Am 12. März fasste der Zentrale Runde Tisch noch den Beschluss, dass die Arbeitsgruppe "Neue Verfassung der DDR" der Volkskammer im April 1990 einen Verfassungsentwurf übermitteln solle. In dieser Sitzung wandten sich Demokratischer Aufbruch, CDU und SPD gegen diesen Schritt. Richard Schröder von der SPD sagte, so ist überliefert, dass das eingebrachte Papier nicht die Haltung aller Teilnehmer der Arbeitsgruppe widerspiegele. «Er sprach der Arbeitsgruppe die Legitimation ab, dem Volk einen Verfassungsentwurf zur Abstimmung vorzulegen.» Trotzdem wurde der Entwurf am 4. April der Volkskammer übergeben. Die neue Große Koalition lehnte dann am 26.04.90 einen Antrag von Bündnis90/Grünen, das Papier in der Volkskammer überhaupt zu diskutieren, ab.
Lothar de Maizière von der CDU, ab April dann Ministerpräsident, betrachtete als Hauptziel seiner Regierung die Verwirklichung der deutschen Einheit. Er konnte sich dabei durchaus zutreffend als Vollstrecker des Volkswillens betrachten. In einem Bericht über seine Regierungserklärung am 19. April 1990 heißt es:
«Der neue Premier will seinem sozialen und rechtsstaatlichen Credo, mit dem er im Spätherbst 1989 als Rechtsanwalt ins Lager der Politik überwechselte, auf dem zügigen Marsch zur Marktwirtschaft und zur deutschen Vereinigung treu bleiben. Und er geht mit einem recht großen Maß an Selbstbewußtsein ans Werk, das sich wohltuend von manchen Szenen in der Zeit vor der Volkskammerwahl abhebt: "Das Ja zur Einheit ist gesprochen. Über den Weg dahin werden wir ein entscheidendes Wort mitzureden haben."»
Allerdings bedeutete die Festlegung auf einen schnellen Beitritt (keine Vereinigung), dass das Gewicht dieses Wortes doch nicht so groß sein konnte.
(Mit freundlicher Unterstützung der Tageszeitung neues deutschland und ihres online-Archivs)
Über den Rückblick auf 1989/90 sprachen Dagmar Enkelmann, Werner Schulz und Stephan Hilsberg. Prof. Dr. Martin Sabrow eröffnete die Runde mit einem Impuls und moderierte das Gespräch. (Bundesstiftung Aufarbeitung, Podiumsgespräch am 13.3.2020)