Exxon Trial mit Ken Henshaw

«People versus ExxonMobile»

Bill McKibben, 350.org, und Naomi Klein befragen RLS-Delegationsmitglied Ken Henshaw als Klimazeugen im einem nachgestellten «Prozess» gegen ExxonMobil

« Die Lebenserwartung im Niger-Delta liegt zwischen 43 und 46. Ich bin jetzt 39 ... ich habe wirklich Angst. »

Während des «Prozesses» wurden Klimazeugen aus verschiedenen Teilen der Welt befragt. Die Veranstaltung wurde von den Organisatoren aufgezeichnet. Wir verlinken die Aufzeichnung an dieser Stelle, sobald sie vorliegt.


   

Bill McKibben: Danke, dass du heute hier bist. Kannst du uns kurz sagen, wie du heißt und was du machst?

  • Ken Henshaw: « Ich bin Ken Henshaw, ich arbeite für die NGO Social Action in Nigeria und bin Campaigner für die Berücksichtigung von Umweltrechten. »

McKibben: Nigeria ist ein Land, das über große Ölvorkommen verfügt. Hat das für Wohlstand in der gesamten Bevölkerung gesorgt?

  • « Absolut nicht. »

McKibben: Wie ist das möglich? Kannst du das erklären?

  • « Bis vor Kurzem war Nigeria der sechstgrößte Ölexporteur der Welt. Die einzigen Leute im Land aber, die durch die Ölindustrie reich geworden sind, ist eine Clique aus Politikern und Ölkonzernen. »

McKibben: Das kann nicht sein - zumindest nicht, wenn man den Worten auf der Homepage von Exxon Mobile Nigeria Glauben schenken darf. Dort heißt es: 'Wir sind davon überzeugt, dass wir mehr tun müssen, als nur Energie zu fördern. Es geht auch darum, mithilfe von Erziehung menschliches Kapital zu entwickeln, um so eine Grundlage für die Gestaltung der Zukunft zu legen. Deines Wissens nach: Ist das das, was die Arbeit von Exxon in Nigeria ausmacht?

  • « Absolut nicht wahr. Die meisten Leute im Niger-Delta haben das auch sicher nie gelesen, was da auf der Website steht. »

McKibben: In Nigeria gibt es schon lange einen sehr engen Zusammenhang zwischen der Ölförderung und dem Auftreten von Menschenrechtsverletzungen. Kannst du uns kurz die Geschichte von Ken Saro-Wiwa erzählen?

  • « Ich glaube, es war am 10 November 1995. Ich war gerade auf dem Weg zur Beerdigung meiner Großmutter. Während der Trauerfeier kam jemand zu mir und sagte: Ken Saro-Wiwa wurde gehängt.

    Er war verhaftet worden und eigentlich warteten wir darauf, dass Anklage gegen ihn erhoben wird. Aber die Militärdiktatur wollte nicht warten; die Geschäfte sollten weiterlaufen. Ken wurde beschuldigt, vier Menschen aus dem Ogoniland umgebracht zu haben. In Wahrheit aber war Ken von der Ölindustrie erpresst worden, weil er die "Bewegung für das Überleben der Ogonis" ins Leben gerufen hatte, um Gerechtigkeit für sein Volk einzufordern.

    Das Ogoniland ist ein Gebiet, in dem seit 40 Jahren ohne Unterbrechung Öl gefördert wird - und es ist gleichzeitig eine der ärmsten Gegenden in Nigeria. Die Umwelt in der Region ist absolut verseucht, die Lebensgrundlagen sind zerstört. Die Leute dort sind vor allem Bauern und Fischer, aber das Land gibt nichts mehr her und die Flüsse sind völlig verschmutzt. Die Flüsse sind praktisch tot - ich weiß nicht, ob jemand hier im Saal mal einen toten Fluss gesehen hat? Da gibt es nichts mehr, die Fische sind verschwunden, da lebt nichts mehr.

    Dagegen hat Ken protestiert. Er hat Leute mobilisiert, Aktionen organisiert. Die Ölindustrie - allen voran Shell - hat gemerkt, dass das die Aufmerksamkeit auf ihre Aktivitäten lenkt. Sie mussten die Ölförderung im Ogoniland stoppen. Genau dafür hat ihn die Militärdiktatur gehängt. »

McKibben: Von Afrika wird behauptet, dass es der Kontinent ist, der bislang am stärksten unter den Folgen des Klimawandels zu leiden hat. Hast du diese Effekte der Erderwärmung schon wahrgenommen?

  • « Ja, das habe ich. »

McKibben: Kannst du sie für uns beschreiben?

« Im Niger-Delta, dort, wo ich lebe, gab es 2012 krasse Überschwemmungen. Das Meer ist angestiegen und hat Häuser weggeschwemmt und ganze Ernten vernichtet... »

McKibben: ... sie konnten auch nichts mehr anbauen?

  • « Nein, absolut nicht. Und selbst die, die etwas angepflanzt hatten, konnten es am Ende nicht ernten. Das Meer ist angestiegen, alles wurde weggeschwemmt, einfach komplett weggeschwemmt. Leute mussten ihre Häuser verlassen... »

McKibben: ...weil der Regen so stark war...

« Ja, der Regen war unheimlich stark und die Flut kam. Das Niger-Delta liegt direkt am Atlantik, der Meeresspiegel steigt... Ich haben mit einem 72 Jahre alten Mann gesprochen, der mir gesagt hat, dass er so etwas im seinem ganzen Leben noch nie erlebt hat. Niemals zuvor.

Und es geht noch weiter: Nigeria gilt heute als ein Land, wo der Terrorismus blüht. Zum Beispiel Boko Haram. Nun: Boko Haram befindet sich in einer Gegend Nigerias, die überhaupt nicht dafür bekannt ist, dass es dort Fundamentalismus gibt. Die Gegend liegt aber auch am Tschadsee. In den letzten zehn Jahren ist der See auf ein Zwanzigstel seiner Größe geschrumpft. Dieser See war die Quelle für Bewässerung der gesamten Region. Er war der Ort, wo das Vieh trinken konnte. Von diesem See hat die Landwirtschaft gelebt und er hat die ganze Region mit Fisch versorgt.

Mit dem Schrumpfen des Sees sind die Leute immer verzweifelter geworden, sie sind verarmt, sie wurden kriminell. Gewalt und Fundamentalismus nahmen zu, weil es einfach war, die Leute zu rekrutieren. Das Erstarken von Boko Haram hat direkt mit dem Klimawandel zu tun. »

McKibben: Die gesamte Region leidet ja unter extremster Trockenheit, die es Farmern schwer macht, ihr Vieh noch zu halten. Kennst du Leute, die ihren bisherigen Lebensstil deshalb aufgeben mussten?

  • « Ja, mehrere. Im Norden des Landes, wo die Dürre der Normalzustand geworden ist, und auch im Niger-Delta, wo man nicht mehr fischen kann. Dort kann man nicht mehr gut leben. Ja, ich kenne viele, die deshalb jetzt anders leben müssen als bisher. »

Bill McKibben: Exxon-Chef Rex Tillerson hat auf dem letzten Jahrestreffen des Konzerns gesagt: 'Wenn der Klimawandel irgendwo auf der Welt das Wetter verändern würde, werden wir technologische Möglichkeiten finden, uns daran anzupassen. Haben die Leute bei dir im Land Wege gefunden, wie sie sich an Dürren und Fluten anpassen können?

  • « Nein, das hat niemand. Als wir 2012 die krassen Fluten hatten, haben die Ölkonzerne gesagt, dass die Leute in höhere Gegenden umziehen sollen. In welche Gegenden? In welche Häuser? Sie haben nicht einmal Fahrzeuge bereit gestellt, um die Leute wegzubringen. Sie mussten alleine gehen. Es gab keinerlei Unterstützung. »

Bill McKibben: Als der letzte Exxon-Chef seine Stelle verlassen hat, hat er eine Abfindung in Höhe von 400 Millionen Dollar bekommen. Nach deinem besten Wissen: Hat Exxon in Nigeria jemals Leute entschädigt, die wegen der Dürren oder Fluten umziehen mussten?

  • « Absolut nicht. Sie geben ja nicht einmal ihre Verantwortung zu. Die Ölindustrie veröffentlicht monatlich die Daten zum Umfang der Gasabfackelung in Nigeria. Man sieht, dass es bei Exxon mehr statt weniger wird. Anstatt also etwas gegen den Klimawandel zu tun, machen sie einfach mit dem Abfackeln weiter. Auch jetzt in diesem Moment, in dem ich hier spreche. Das wird wahrscheinlich auch so weitergehen. »

Bill McKibben: Danke für deine Zeugenaussage.

  • « Vielen Dank. »

Naomi Klein: Eine Möglichkeit, sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen, besteht darin zu migrieren. Ausgehend von deiner Wahrnehmung, wie Flüchtlinge in Nordamerika und Europa behandelt werden: glaubst du, dass Afrikaner dort willkommen sind, wenn sie aufgrund des Klimawandels gezwungen sind zu emigrieren?

  • « Nein, den Eindruck habe ich nicht, nein, wirklich nicht. Ich habe nicht das Gefühl, dass die Menschen, die schon aus dem Niger-Delta fliehen mussten, hier in Europa willkommen sind. »

Naomi Klein: Was empfindest du, wenn du die Worte des Exxon-Chefs hörst?

  • « Ich fühle mich wirklich schlecht, weil sie nicht berücksichtigen, was die Leute mitmachen müssen. Zum Beispiel hat das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) in dem Community Bodo im Niger-Delta festgestellt, dass die Benzol-Konzentration im Trinkwasser 900 mal höher ist, als sie eigentlich sein dürfte. Die Leute trinken das Wasser immer noch. Das ist das Wasser, in dem sie schwimmen, das sie trinken.

    Die Lebenserwartung im Niger-Delta ist drastisch gesunken. Sie liegt irgendwo zwischen 43 und 46. Wann immer man durch Bodo fährt, sieht man überall Plakate, die sagen, wann wo die nächste Beerdigung stattfindet. Auf jedem Poster steht das Alter der verstorbenen Person. Kaum einer ist älter als 50 geworden. Ich habe wirklich Angst, weil auch ich dieses Wasser immer noch trinke. Ich bin jetzt 39. Wenn die Lebenserwartung zwischen 43 und 46 liegt... ich habe wirklich Angst. »