100 Jahre alt wäre Peter Weiss, der Schriftsteller und Maler, am 8. November 2016 geworden. An «Die Ästhetik des Widerstands», das in den 1970ern erschienene «Jahrhundertwerk», wie Heiner Müller es einmal bezeichnete, wurde aus diesem Anlass auf Festivals vielerorten, in unzähligen Würdigungen und in mehreren Lesemarathons erinnert, so auch bei der von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und dem Peter-Weiss-Haus Rostock organisierten Marathonlesung Ende 2016.
Am 11. Februar, nur gut drei Monate später, jährt sich der 100. Geburtstag des am 11. März 2012 in Frankfurt/Main verstorbenen Ernesto Kroch. Auf seinem Grabstein steht neben seinen Lebensdaten nur «Ernesto Kroch - Widerstandskämpfer». Das hatte er sich so gewünscht. Und eben genau das war der als Kind liberaler jüdischer Eltern am 11. Februar 1917 in Breslau geborene Ernst. Zeit seines langen und doch auch zu kurzen Lebens war er unermüdlich bis zuletzt ein Kämpfer für ein solidarisches Miteinander, eine gerechtere Gesellschaft und ein überzeugter Antifaschist.
Dabei war und blieb er Marxist und er verstand es immer, sein soziales und politisches Engagement mit einer künstlerischen, ästhetischen Praxis zu verknüpfen. Seine Lebensgeschichte ist die Geschichte eines doppelten Exils. Schon früh kam er in seiner Heimat Breslau mit linker Politik in Berührung, schon als Jugendlicher schloss er sich der anti-stalinistischen «Kommunistischen Partei Deutschlands - Opposition» (KPO) an. Diese Gruppe wurde 1934 von der Gestapo zerschlagen und der damals 17jährige Ernst Kroch wurde im November 1934 zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Am 9. Mai 1936, dem Tag seiner Entlassung, wurde er unmittelbar in «Schutzhaft» genommen und in das Konzentrationslager Lichtenburg überstellt. Nach einem dreiviertel Jahr wurde seine Freilassung unter der Auflage angeordnet, Nazi-Deutschland innerhalb von zehn Tagen zu verlassen. Seine Eltern konnten ihm ein Visum für Jugoslawien besorgen. Als dieses Ende 1938 ablief und ihm eine Abschiebung nach Deutschland drohte, gelang ihm über Frankreich und Italien die Flucht nach Südamerika. Seine Eltern dagegen wollten zunächst ihre Heimat nicht verlassen, als sie sich im Herbst 1941 dann doch entschlossen zu fliehen, war es zu spät. Sein Vater Ludwig Kroch kam in Theresienstadt ums Leben und seine Mutter Elly Kroch wurde von dort nach Auschwitz deportiert und ermordet. Ernst Kroch selbst kam Weihnachten 1938 in Uruguay an und hier wurde aus Ernst Ernesto, seine «Heimat im Exil» hatte begonnen.
In Montevideo fand er Arbeit als Metallarbeiter (eine Arbeit, die er sein ganzes Erwerbsleben ausführte), wurde Mitglied der kommunistischen Partei, engagierte sich in der uruguayischen Metallarbeitergewerkschaft und war 1964 an der Gründung des «Kulturinstituts Uruguay - DDR» beteiligt, aus dem kurz darauf die Casa Bertolt Brecht hervorging. 1973 putschten dann auch in Uruguay die Militärs, Parteien und Gewerkschaften wurden verboten, das Parlament wurde aufgelöst. Und auch für die Casa Brecht kam das Aus. Ernesto und seine Tochter Elly waren dabei, als die Militärs das Haus in Beschlag nahmen. Zunächst konnte der Gewerkschafter Ernesto seine politische Arbeit in Uruguay im Untergrund weiterführen, sein Sohn Peter wurde allerdings jahrelang eingekerkert. 1982 musste auch Ernesto für drei Jahre nach Frankfurt am Main fliehen. In seine Heimat Deutschland kam er als politischer Flüchtling zurück. «Heimat im Exil, Exil in der Heimat» nannte er seine 1990 erschienene Autobiographie (Der 2004 neu überarbeitete Lebensbericht steht auf der Seite www.ernesto-kroch.com zum freien Download bereit).
1985 kehrte er zusammen mit Eva Weil, seiner Lebensgefährtin, die er nach dem Tod seiner Frau kennengelernt hatte, als Eva Weil sich als Vertreterin von amnesty international um seinen inhaftierten Sohn Peter kümmerte, nach dem Ende der Militärdiktatur nach Uruguay zurück. Die Casa Bertolt Brecht konnte, unterstützt von der Botschaft der DDR, ein Jahr später wieder öffnen. Und sie wurde neben seiner Stadtteilarbeit und der Unterstützung der linken Stadtregierung von Montevideo ab 1990 zu einem seiner wichtigsten politischen Projekte. Das Haus wurde zu einem Kommunikations- und Bildungszentrum, zu einem Austauschort für uruguayische und europäische Linke. Für sein lebenslanges praktisches politisches Engagement verlieh ihm Montevideo im Jahre 2007 zu seinem 90. Geburtstag die Ehrenbürgerschaft. Bis zu seinem Tod im Jahr 2012 engagierte sich Ernesto Kroch mit seinen Kontakten zu deutschen politischen Stiftungen und Organisationen einerseits und seinen Verbindungen zur uruguayischen Linken andererseits für den Dialog und öffnete das Haus nach innen und nach außen. Bis heute steht die u.a. von der Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützte Projektarbeit der Casa Brecht für diesen Ansatz, auch wenn die Integrationsfigur Ernesto Kroch nicht mehr da ist. Neben der Politik war für den Metallarbeiter Ernesto Kroch immer auch die Literatur seine große Leidenschaft. Geschrieben hatte er schon immer, so Texte für die Zeitung der uruguayischen Metallarbeitergewerkschaft oder seit 1963 als Lateinamerikakorrespondent der «Weltbühne». Im Exil in Frankfurt in den 1980er Jahren begann er aber auch damit, Erzählungen zu schreiben, später auch den Roman «Wo auch immer…», für den sich aber leider in Deutschland kein Verlag fand. Insgesamt veröffentlichte er neun Bücher, drei davon sind auf Deutsch erschienen, sechs auf Spanisch in Uruguay. Bis zu seinem Tod, nach kurzer schwerer Krankheit im März 2007, war Ernesto Kroch auch in Deutschland, wohin er und seine Frau Eva Weil seit den 1990er Jahren im europäischen Sommer kamen, unermüdlich in seinem Engagement: Vorträge vor Schulklassen, Lesungen, Diskussionen mit GewerkschafterInnen oder alljährlich die Attac-Sommerakademie standen auf seinem Programm.
Bildung und Kultur, Politik und Kunst waren für den Metallarbeiter, Gewerkschafter, Aktivisten, Widerstandskämpfer und Schriftsteller Ernesto Kroch die unersetzliche Basis in seinem Leben und unabdingbar dafür, das politische Bewusstsein zu schärfen. Seine Ästhetik des Widerstands.