Nachricht | Sozialökologischer Umbau Erfolgsmeldungen aus dem Wendland

Seit der Castor-Transport am Freitag, 7. November, in Frankreich auf die Schienen gesetzt wurde, haben AtomkraftgegnerInnen im Wendland bis zum Montag unermüdlich mit vielen politischen Aktionen und kreativem Protest ihre Empörung gegen die Atomlobby zum Ausdruck gebracht.

Von ihren Erfolgen sind die AktivistInnen selbst ein wenig überrascht – wie die Berichte zeigen, hat die Anti-Atom-Bewegung in diesen Tagen einen neuen Aufschwung genommen: Rund 16.000 TeilnehmerInnen (!) zählte die Demo am Sonnabend in Gorleben (externer Link in neuem Fenster folgtwww.fotobocks.de/fotos/quer08/). Beschauliche Dörfer des ländlichen Raums wie Quickborn, Klein Gusborn oder Grippel verwandelten sich übers Wochenende in Orte von Aufruhr und Widerstand, in denen die unterschiedlichsten Aktionskonzepte zum Tragen kamen. Zahlreiche Aktionen gab es direkt an den Schienen, Aktionen in Baumwipfeln, Trecker-,  Sitzblockaden und doppelte Betonpyramiden auf den Zufahrtsstraßen für den Castor-Transport nach Dannenberg. Durch massenhafte Beteiligung konnte die x-tausenmal-quer-Blockade vor dem Zwischenlager über 48 Stunden gehalten werden (externer Link in neuem Fenster folgtwww.x-tausendmalquer.de/).


Und nicht nur im Wendland wurde protestiert: Trotz aller Hürden, die die Stadt für sie bereithielt, bauten zeitgleich AktivistInnen mitten im Zentrum von Lüneburg einen Anti-Atom Infopark auf (Indymedia berichtete: externer Link in neuem Fenster folgtwww.de.indymedia.org/2003/11/65325.shtml). Mit einem Straßentheater thematisierte die Aktion Kommunikativer Widerstand (kurz AKW) Atompolitik und Castor-Transporte am Samstag in der Lüneburger Innenstadt.

Die Bilanz dieser Tage ist für die AktivistInnen höchst erfreulich, sah es doch in den letzten Jahren danach aus, als würden die Proteste langsam abebben. Das vergangene Wochenende ließ hingegen an die Anfänge der Bewegung zurückdenken.


In den 70ern begann die Bundesregierung, damals SPD unter Helmut Schmidt, das westdeutsche Atomprogramm auszubauen. Als Argument hielt die damalige „Ölkrise“ 1973/74 her. Stromkonzerne und Regierung waren sich einig darüber, dass der Strom  unabhängig von Rohstoffen wie Öl erzeugt werden sollte, oder besser gesagt, es wurde nach einer billigeren und einfacher ausbeutbaren Variante der Stromerzeugung gesucht, da der Zugang zu Öl schwierig war und die Preise hoch lagen. Überlegungen darüber, wie hoch der Preis für diejenigen sein wird, die sich später mit dem Reaktormüll beschäftigen mussten, wurde in der Logik kurzfristiger Nutzen- und Profitmaximierung ausgeblendet. 
Erste Proteste gegen die Atompolitik formierten sich in den Jahren 1974/75 gegen das geplante Atomkraftwerk in Whyl  in Baden-Württemberg, wo AktivistInnen den Bauplatz besetzten. Als Geburtstunde der bundesweiten Anti-Atombewegung gelten die Proteste in Brokdorf bei Hamburg (1976). Das Neue an der sozialen Bewegung war die Verschränkung der Proteste linksradikaler AktivistInnen mit denen großer Teile der Zivilgesellschaft, die nicht organisiert waren. Dabei wurde nicht nur gegen das konkrete Kraftwerk gekämpft, sondern auch gegen die einschlägigen Interessenverbände, gegen Energieversorgungsunternehmen wie NWK, RWE, VEBA u.a. sowie gegen die sich dazu gesellende Regierungspolitik. Viele, die sich an den Kämpfen beteiligten, sahen ihr Handeln in einem größeren politischen Zusammenhang, der die Forderung nach Selbstbestimmung der Willkür und Kontrolle der wirtschaftlich und politisch Mächtigen gegenüberstellte.
Die besonderen Erfolge der Anti-Atombewegung bestehen nicht nur darin, dass sie die damalige  Regierung durch den starken politischen Druck dazu gebracht hat, schließlich das Atomprogramm bedeutend zusammenzustreichen. Sie bestehen vor allem in eben diesem Zusammendenken der Kämpfe: sowohl gegen die konkrete Atomenergie als auch gegen die politischen Verhältnisse, in denen diese eingesetzt wird. Das spätere Abbröckeln der Bewegung, die zum Teil aus den aufreibenden Auseinandersetzungen innerhalb der Bewegung um den Einsatz von Militanz resultierten, sowie aus der Kriminalisierung der Proteste von Staatsseite, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich im Laufe der Bewegungsgeschichte der 70er und 80er Zehntausende als politisch Linke sozialisiert haben, von denen später viele in anderen linken Gruppen aktiv wurden.

In diesem Sinn ist auch das vergangene Protest-Wochenende in Gorleben als Erfolg zu werten. Es  waren viele junge und neue Leute bei den Protesten anzutreffen. Einige von ihnen waren zum ersten Mal mit dabei. Durch die hohe Medienpräsenz wurde der Polizei ein repressives Vorgehen weitgehend erschwert. Im Bereich der Presse hatte es schon im Vorfeld Ärger mit der Polizeidirektion Lüneburg gegeben. Diese hatte sich für den bevorstehenden Castor-Transport erstmalig ein Akkreditierungsverfahren einfallen lassen, nach dem Journalisten und Journalistinnen einen besonderen Ausweis beantragen `konnten´, um uneingeschränkten Zugang zu Pressekonferenzen und Orten des Protests zu bekommen (externer Link in neuem Fenster folgtwww.polizei.niedersachsen.de/castor/start/meldungen_2006/PM01.htm). Der Versuch, hierdurch die Einschränkung derjenigen JournalistInnen zu erwirken, die aus was für Gründen auch immer nicht an diesem Verfahren teilnehmen wollten, wurde vom deutschen Journalistenverbund auch kritisiert (Die tageszeitung berichtete:  externer Link in neuem Fenster folgtwww.taz.de/regional/nord/nord-aktuell/artikel/1/geisterzug-durchs-wendland/).


Um so erfreulicher ist es, festzustellen, dass die Pressearbeit linker AktivistInnen professionell gelaufen ist und zur inhaltlichen Bestimmung der Proteste beitrug:
„SPD, Grüne und Linkspartei fordern wir auf, sich nicht von den Stromkonzernen treiben zu lassen, sondern sich aktiv an einer neuen Anti-Atom-Bewegung zu beteiligen. Im Fünf-Parteien-System reicht es nicht aus, auf parlamentarische Mehrheiten zu hoffen. Niemand kann voraussagen, welche Konstellation nach der nächsten Bundestagswahl regieren wird und welches Ergebnis Koalitionsverhandlungen in Sachen Atomkraft haben werden. Umso wichtiger ist es, gesellschaftlichen Druck zu organisieren. Wir fangen damit an. Die Atomlobby macht seit Monaten viel Getöse. Dabei geht es ihnen nicht um das Allgemeinwohl, sondern darum, ihre Gewinne auf Kosten der Sicherheit der Bevölkerung rund um Reaktoren und Atommüll-Lager weiter zu steigern. Wir werden dabei nicht tatenlos zusehen. Ganz im Gegenteil: Wir nehmen die Aufforderung zum Tanz an.“
(aus einer Presseerklärung am 08. Juli 2008, Zitat: Jochen Stay, Sprecher der Anti-Atom-Organisation X-tausendmal quer,
externer Link in neuem Fenster folgtwww.x-tausendmalquer.de/index.php?option=com_content&task=view&id=714&Itemid=1)
 
Es stellt sich die Frage, warum gerade dieses Mal so viele Menschen sich an den Protesten beteiligt haben. Sicherlich sorgten Ereignisse wie Asse II für einen weiteren Vertrauensverlust in der Bevölkerung. (Im niedersächsischen ehemaligen Salzbergwerk Asse II wurden seit Jahrzehnten ca. 130.000 Fässer schwach und mittelradioaktiver Abfall eingelagert. Bei einer Prüfung wurde diesen Sommer festgestellt, dass seit Jahren unkontrolliert Wasser - etwa 12.000 Liter täglich- in die Grube eindringt.) Allerdings wird Platz 1 der Hitliste „Pleiten, Pech und Pannen“ der AKWs wohl nächstes Jahr wieder an das Kraftwerk Brunsbüttel gehen, das frühestens 2009 zusammen mit Krümmel wieder ans Netz gehen kann (externer Link in neuem Fenster folgtwww.abendblatt.de/daten/2008/10/27/959641.html). Das Kraftwerk des Konzerns Vattenfall verzeichnete 2007 rekordverdächtige 14 meldepflichtige Ereignisse, wurde kurzer Hand außer Betrieb gesetzt, und wird nun hinsichtlich der Landtagswahlen 2009 im Geschwindigkeitsrausch wieder zusammengeschraubt.

Ein weiterer Grund für die hohe Mobilisierungskraft hängt wohl auch mit der Debatte um den Atomausstieg zusammen. Trotz des Gesetzesbeschluss von 2002 zur Abschaltung der Atommeiler nach Ablauf der Reststrommengen beginnt die CDU, erneut Stimmung für den Einsatz von Atomenergie zu machen. (externer Link in neuem Fenster folgtwww.focus.de/politik/deutschland/energie-csu-will-atomausstieg-kippen_aid_317924.html).

Sollte die CDU die Bundestagswahlen 2009 gewinnen wird sie womöglich versuchen, die Restlaufzeiten entgegen bisheriger Vereinbarungen zu verlängern - Gesetze können eben auch jederzeit wieder neu verabschiedet werden. Der sogenannte Atomkonsens, nach dem die Laufzeitenbefristung der AKWs sich noch bis zu 32 Jahre seit Inbetriebnahme erstrecken darf, ist für AtomkraftgegnerInnen ohnehin schon ein fauler Kompromiss. Auch hierfür steht beispielhaft Brunsbüttel - der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Dr. Werner Marnette fordert für das Kraftwerk eine Laufzeitverlängerung von mehr als 22 Jahren. Stichwort Glaubwürdigkeit. Womöglich ist eben diese skeptische Stimmung auf den fruchtbaren Boden mobilisierender Gegenaktivitäten der Bewegung gefallen wie das AntiRa/Klima-Camp in Hamburg (August), Info-Cafés und Schienenspaziergänge etc. Da waren wieder einmal eine Menge Leute am Werk.