Die palästinensische Linke bietet heute ein zersplittertes Bild. Die zehn Prozent Wahlstimmen, die die wesentlichen linken Organisationen bei den Parlamentswahlen 2006 erhielten, verpufften durch diese Uneinigkeit. Überhaupt zogen sich viele Anhänger schon vor Jahren zurück, noch Aktive zeigen sich resigniert. Auf Grund der zentralistischen Führungsstrukturen bleibt den lokalen Kadern kaum Handlungsspielraum. Man wartet auf Anweisung von oben, Selbstinitiative wird klein geschrieben. Dieses Klima materialisierte sich in den letzten Wahlen 2006, als einzelne bekannte Linke als Unabhängige antraten und mehr Stimmen als ihre gesamte Organisation erhielten.
Der Unmut ist also kein Geheimnis. Allen ist klar, dass zur Wiederbelebung fortschrittlicher und säkularer Werte die Organisationsstruktur und die Politik der linken Parteien geändert werden müssen. Die Frage ist nur, wie? Die Palästinensische Volkspartei (PPP), die Demokratische Front für die Befreiung Palästinas (DFLP) und die Palästinensische Demokratische Union (FIDA) sind zwar 2006 auf einer gemeinsamen Wahlliste („Die Alternative“) angetreten und haben sich zur Vereinigung ihrer Organisationen selbstverpflichtet. Praktisch ist in dieser Richtung jedoch kaum etwas passiert. Bereits die gemeinsame Liste von 2006 wurde schlicht von den Generalsekretären in Ramallah beschlossen, in den einzelnen Ortsgruppen aber nicht diskutiert. Die Stimmung ist schlecht.
Aber: Palästinensische Linke sehen sich nach Erfahrungen in anderen Ländern um
Sie interessieren sich unter anderem für DIE LINKE in Deutschland, deren positive Entwicklung für sie ein ermutigendes Zeichen ist. Halina Wawzyniak, seit Mai stellvertretende Parteivorsitzende der LINKEN, vermittelte diese Atmosphäre Anfang Juli in Hebron, Ramallah, Nablus und Jenin, als sie in diese vier Städte im palästinensischen Westjordanland besuchte. Unter Vermittlung des RLS-Büros in Ramallah traf sie sich mit lokalen Verantwortlichen von PPP, DFLP und FIDA, die auf dieser Ebene überhaupt erstmals gemeinsam diskutierten Das Treffen wurde vom langjährigen Partner der RLS, dem Palästinensischen Zentrum für Frieden und Demokratie (PCPD) vorbereitet. Die TeilnehmerInnen waren sich schnell einig darüber, dass ihre programmatischen Unterschiede eigentlich minimal sind. Eine gute Vorraussetzung für künftige Zusammenarbeit.
Halina Wawzyniak veranschaulichte die unterschiedlichen politischen Entwicklungen und Milieus von PDS.Linkspartei und WASG und erklärte den Vereinigungsprozess beider Parteien. Wie wurde die Vereinigung organisiert? Wer durfte an den Verhandlungen teilnehmen und wer nicht? Wie bindet man die Bevölkerung ein? So die Fragen, die die TeilnehmerInnen beschäftigten. Die offensichtlich wichtigste war jedoch die nach der Umsetzung der Parteivereinigung vor Ort. „Es braucht lokal gemeinsame Initiativen, ausgerichtet an den sozialen Bedürfnissen der Menschen“, so Halina. „Dazu müssen je nach Umfeld Szenarien zur Umsetzung der Vereinigung entwickelt werden. Und die Menschen finden am besten über soziale Aktivitäten zusammen, Sport, Ausflüge. Wir müssen uns als Menschen kennenlernen.“
Die Strategien der LINKEN, die Frauenquote unter den Politikern zu erhöhen und mehr weibliche Mitglieder zu gewinnen, sorgte in allen besuchten Städten für gute Laune – bei einigen Männern allerdings nur in abgeschwächter Form. Von einer 50 prozentigen Frauenquote und einem Frauenveto können die Frauen in Palästina nur träumen. In der Volkspartei haben sie sich zwar 25 Prozent erkämpft. Auch in der FIDA sind Frauen von Anfang an sehr stark repräsentiert. Nur nützt eine Quote nicht viel, wenn die gesamte Entscheidungsstruktur auf den jeweiligen Generalsekretär ausgerichtet ist.
Probleme und Versäumnisse der palästinensischen Linken
Ein großes Problem ist zudem die von den Linken in den letzten Jahren kaum noch beachtete soziale Frage. Darüber hinaus übernahm die palästinensische Linke in den letzten 20 Jahren mehr und mehr nationale Parolen vom geforderten „Ende der israelischen Besatzung“, dem „Aufbau eines palästinensischen Staates“ und der „Rückkehr der Flüchtlinge“. Diese an sich richtigen Forderungen werden aber auch beispielsweise von der immer noch dominanten Fatah-Bewegung erhoben. Ein eigenes Profil kann sich die Linke mit all diesen Parolen also nicht erarbeiten. Darüber hinaus haben sich auch die Linken und ihre Nichtregierungsorganisationen in den letzten beiden Jahrzehnten zum Großteil auf die Interessen der internationalen Geberorganisationen eingelassen. Deshalb denken viele heute lieber darüber nach, wie sich mit Menschenrechten und Demokratie Geld verdienen lässt anstatt Pläne zur Glättung innenpolitischer und sozialer Wogen zu schmieden, um eine notwendige Voraussetzung zur Entwicklung einer eigenen palästinensischen Verhandlungsposition gegenüber Israel zu schaffen.
In dem Maße, wie Linke mit ihren Ideen und Werten von der Bildfläche verschwunden sind, hat die islamistische Hamas diese Lücke gefüllt. Und die Fatah versuchte im Gegenzug, potenzielle Hamas-WählerInnen mit nacheiferndem Konservatismus an sich zu binden. Das hat nicht funktioniert. Die Leidtragenden sind Frauen und sozial Schwache. Angesichts der zwei nun in Palästina dominierenden konservativen Organisationen – Fatah und Hamas – brauchen die VertreterInnen fortschrittlicher Werte dringend Unterstützung und neue strategische Ideen. Derzeit überlegen progressiv denkende Frauen und Männer in mehreren Foren, wie sie ihre Bewegung wieder stärken könnten. Dabei geht es meist um Mechanismen für organisationsübergreifende linke Zusammenarbeit und um den Aufbau einer Gegenbewegung zur islamisch-konservativen Hegemonie von Hamas und Fatah. Hin zu einem fortschrittlichen Staat Palästina wird die Rosa-Luxemburg-Stiftung diese Ansätze auch weiterhin nach ihren Möglichkeiten unterstützen.
Peter Schäfer ist Leiter des in Aufbau befindlichen Büros der RLS in Ramallah / Palästina.
Nachricht | International / Transnational - Nordafrika »Uns haben gemeinsame Kampagnen zusammengeschweißt«
In Palästina unterstützt die RLS den Vereinigungsprozess linker Parteien. Ein Vorbild dort: DIE LINKE in Deutschland.