Nachricht | International / Transnational - Parteien / Wahlanalysen - Asien Neue Entwicklungen in der KP China und in linken Parteien Europas

Gemeinsame Konferenz des Zentrums für Parteienforschung am Institut für Übersetzung und Kompilation des ZK der KP Chinas und der Rosa Luxemburg Stiftung am 05./06. November 2009 in Peking

In welche Richtung entwickelt sich die Kommunistische Partei Chinas? Welche neuen Tendenzen gibt es in den linken Parteien Europas, insbesondere in Deutschland? Als das Zentrum für Parteienforschung in Peking und die Rosa Luxemburg Stiftung im Herbst 2008 das Thema für ihre gemeinsame jährliche Konferenz für 2009 ausgewählten, war beileibe nicht abzusehen, wie dramatisch sich die deutsche Parteienlandschaft bereits ein Jahr später verändert haben würde. Der aktuelle Bezug zum deutschen Superwahljahr 2009 und die spannende Frage, wie die KP Chinas als regierende Partei auf die veränderte Welt in und nach der Krise reagieren wird, machten den Reiz der diesjährigen Konferenz in Peking aus.

Insgesamt haben an der Veranstaltung am 5. und 6. November 2009 etwa 40 Wissenschaftler, Politiker und Studenten aus China, Deutschland und Frankreich teilgenommen. In 4 Panels wurde über theoretische Fragen des Parteiaufbaus und der Parteientwicklung, Fragen der Entwicklung der innerparteilichen Demokratie in der KP Chinas und der Zusammenarbeit mit den anderen demokratischen Parteien in China sowie theoretische und praktische Probleme der Linken in Deutschland und in Europa diskutiert.

Die Konferenz war hochkarätig besetzt. Francis Wurtz, langjähriger Vorsitzender der Fraktion GUE/NGL im europäischen Parlament sprach über seine Erfahrungen in der gemeinsamen Linksfraktion in Europa. Einer der führenden deutschen Parteienforscher und –theoretiker, Prof. Elmar Wiesendahl von der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, analysierte den Wandel politischer Parteien in Europa im Prozess der gesellschaftlichen Entwicklung. Von deutscher Seite waren naturgemäß die Analyse der Wahlergbisse 2009 und die Schlussfolgerungen daraus der Mittelpunkt der Beiträge. Felix Butzlaff von der Universität Göttingen, Dr. Harald Pätzolt, Mitarbeiter der Bundesgeschäftsstelle der Partei DIE LINKE, Prof. Michael Brie und Cornelia Hildebrandt von der RLS gaben fundierte Einschätzungen dessen, was sich auf dem linken Flügel der deutschen Parteienlandschaft in den vergangenen Jahren getan hat, welche Ursachen diese Veränderungen haben und welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind. Das stieß auf sehr grosses Interesse der chinesischen Teilnehmer, die auch selbst mit sehr kenntnisreichen Beiträgen zur deutschen Parteienlandschaft zu einer lebhaften Diskussion beitrugen.
Spannender hätte der Kontrast zu den Beiträgen der chinesischen Referenten über die Entwicklung der KP Chinas kaum sein können: Da eine von der KP unabhängige Parteienforschung in China noch in den Kinderschuhen steckt, waren es vor allem Vertreter der KP Chinas selbst, die sich mit neuen Entwicklungen in ihrer Partei befassten. Ein Thema war z.B. die Entwicklung der Basisorganisationen der KP. Wie ernsthaft die Partei damit umgeht, zeigten die Beiträge von Prof. Ji Zhengju vom Zentrum für Parteienforschung und Prof. Xu Yaotong von der Nationalen Verwaltungsakademie in Beijing. Prof. Ji wertete eine Feldstudie aus der Provinz Sichuan aus. Er kommt aufgrund der Analyse von erfolgreichen Versuchen mit Wahlen auf den unteren Ebenen in der Provinz zu dem Schluss, dass direkte und geheime Wahlen innerhalb der KP-Grundorganisationen und für die Regierungen auf den unteren Ebenen weiter durchgeführt und ausgeweitet werden müssen. Prof. Xu, der auch an der renommierten Peking Universität forscht und lehrt, bestätigte diese Schlussfolgerung in seinem Beitrag, der unter dem Titel “Zur Entwicklung der innerparteilichen Demokratie in der KP Chinas“ stand.

Dass es dabei auch unterschiedliche Auffassungen gab, ist nur verständlich und widerspiegelt das konkrete Umfeld und die unterschiedlichen Arbeitsaufgaben der Parteien über die auf der Konferenz gesprochen wurde. Grosse Teile der KP Chinas sehen sich auf dem Weg von einer „Revolutions-Partei“ zu einer Regierungspartei, die in China einen „Sozialismus mit chinesischen Besonderheiten“ aufbauen will. Die KP China hat heute ca. 75 Millionen Mitglieder, was in absoluten Zahlen gerechnet, mehr ist als alle europäischen linken Parteien zusammen Mitglieder haben. Verglichen mit der Gesamtbevölkerung Chinas hat die KP aber immer noch deutlich weniger Mitglieder als beispielsweise die SED in der Endzeit der DDR (ca 5% der chinesischen Bevölkerung sind KP-Mitglieder, während 1989 mehr als 11% der DDR-Bürger in der SED waren). Viele westliche Analysten vermuten bereits, dass der Weg der chinesischen KP zu einer reinen Kaderpartei sich stärker an sozialdemokratischen Ideen orientiert bzw. orientieren wird. Tatsächlich gibt es innerhalb der KPCh bereits Diskussionen darüber, wie sozialdemokratisch die Partei werden kann oder sollte. Es wäre zuviel verlangt, dass solche Fragen offen auf einer internationalen Veranstaltung wie dieser diskutiert werden – gibt es doch darüber vor allem auch unter chinesischen Akademikern weit auseinander gehende Auffassungen. Eines wurde jedoch auf der Konferenz sehr deutlich: Die Entwicklungen der europäischen linken Parteien werden in China sehr aufmerksam verfolgt und das vor allem unter dem Gesichtspunkt, welche Lehren und Schlussfolgerungen daraus für die Strategie und Taktik der KP Chinas zu ziehen sind.

So konnte der Leiter des Zentrums für Parteienforschung, Prof. Wang Xuedong, der gleichzeitig stellvertretender Direktor des Instituts für Übersetzung und Kompilation beim ZK der KPChinas ist, von einem vollen Erfolg der Konferenz sprechen. Für die Rosa Luxemburg Stiftung fasste Prof. Michael Brie die Konferenz als überaus aufschlussreich und für die europäischen Gäste sehr lehrreich zusammen. Es gab und gibt nicht allzu viele Gelegenheiten, derart offen und konstruktiv mit den chinesischen Freunden die unterschiedlichen Arbeitsbedingungen, Erfahrungen, Aufgaben und Ziele ihre Parteien zu diskutieren und sich darüber auszutauschen. Darin liegt der eigentliche Sinn und Wert dieser Konferenz.

17.11.2009
Dr. Lutz Pohle, Leiter des Büros der RLS in Beijing (im Aufbau)