Wäre es nach den Sophisten im alten Griechenland gegangen, dann hätte Miloš Zeman ohnehin gewonnen – auch ohne die anschließende Stichwahl. Der Wahlkampf und vor allem die beiden großen Fernsehdebatten in der Woche vor dem entscheidenden Wahlgang am 26. und 27. Januar 2018 haben der sophistischen Regel entsprochen, wonach nur derjenige ein hohes Amt verdiene, der sich auch als fähiger Redner vor einem großen Publikum erwiese.
Nach dem ersten Wahlgang lag Amtsinhaber Zeman zwar deutlich vor seinem stärksten Herausforderer, dem Chemieprofessor Jiří Drahoš - die Aussichten für die Stichwahl waren dennoch nicht rosig. Die meisten der zuvor ausgeschiedenen Kandidaten hatten schnell erklärt, ihre Wähler und Wählerinnen aufzurufen, in der entscheidenden Runde nun den Herausforderer Drahoš zu wählen. Arithmetisch hätte er damit eine Mehrheit gehabt.
Auch die letzten Umfragen vor den beiden Wahltagen sahen Drahoš mit einem vierprozentigen Vorsprung. Doch Zeman hatte bereits nach der ersten Runde verkündet, dass er die Herausforderung annehmen und bis zur letzten Sekunde kämpfen werde, um möglichst viele der unentschlossenen Wählenden von seinem Programm und seiner Person zu überzeugen. Er hoffte auf seine überzeugende politische Erfahrung, die ihn auszeichnete und dem erfolgreichen Chemieprofessor und ehemaligen Direktor der Akademie der Wissenschaften völlig fehlte.
Dieser setzte in der Tat auf so etwas wie eine durch Wissen gestützte Abgeklärtheit, meinte er doch allen Ernstes, er sei im Unterschied zum Amtsinhaber jemand, der erst nachdenke und dann spreche. Die beiden großen Fernsehduelle stießen tatsächlich auf ein großes Interesse, denn die Entscheidung am Wahlabend schien äußerst knapp zu werden. Die meisten Bürgerinnen und Bürger Tschechiens hatten das Gefühl, auf die eigene Stimme komme es an.
Übrigens hatte Amtsinhaber Zeman vor der ersten Runde noch darauf verzichtet, bei den Fernsehdebatten selbst ins öffentliche Rampenlicht zu steigen. Das erhöhte nun zusätzlich den Reiz der beiden Duelle.
Das erste Duell «Tschechien sucht den Präsidenten» führte der Privatsender «Televize Prima» durch. Im Festsaal des Theaters Karlín wurde in der Sitzordnung eine klare Trennung zwischen den Anhängern der beiden Kandidaten bevorzugt. Schnell entstand der Eindruck, dass keiner der beiden Kandidaten anschließend in der Lage wäre, ein «Präsident aller Bürger und Bürgerinnen» im Land zu sein. Beide waren jedoch mit diesem stolzen Anspruch angetreten. Zeman schnitt beim in sich gespaltenen Publikum eindeutig besser ab, sein Herausforderer wirkte verunsichert und lauerte auf Konter.
Man besprach die wichtigsten Themen, die Tschechiens Öffentlichkeit die letzten Monate bewegten. So wurde besonders über die noch nicht erfolgte Regierungsbildung nach den Parlamentswahlen vom Oktober, die Migrationskrise in der EU und Fragen der Sicherheit im Lande diskutiert.
Während der Wahlkampf um den Präsidentschaftsstuhl seinem Höhepunkt zulief, legte Andrej Babiš, der Gewinner der Parlamentswahlen vom Oktober 2017, seinen Posten als Ministerpräsident nieder, weil er eine Vertrauensabstimmung im Parlament verloren hatte. Babiš hatte früh verzichtet, einen eigenen Kandidaten seiner ANO-Partei ins Rennen zu schicken – sein Kandidat war Zeman. Dieser revanchierte sich, erklärte schnell, im Falle eines Sieges, Babiš eine zweite Chance zur Regierungsbildung einzuräumen.
Drahoš hingegen wollte als entschiedener Babiš-Gegner punkten und kündigte an, im Falle seines Sieges eher auf Neuwahlen zu setzen. Auf keinen Fall würde er Babiš eine weitere Chance einräumen. Drahoš spielte die Rolle des Gegners der bisherigen politischen Eliten.
Einen Tag vor dem entscheidenden Wahlgang fand am 25. Januar 2018 die letzte Fernsehdebatte im öffentlich-rechtlichen Fernsehen statt, die diesmal von den gleichermaßen scharf an beide Kandidaten gestellten Fragen der Moderatorin geprägt wurde. Zeman, der für seine überraschenden und durchaus spektakulären Auftritte bekannt ist, schaffte es im Laufe des Abends, seinen Gegner rhetorisch in die Schranken zu weisen. Als Beispiel sei genannt, als Zeman die Frankfurter Allgemeine Zeitung herausholte, in der geschrieben stehe, dass Drahoš die EU-Migrationspolitik unterstütze, während er im Lande auf den Marktplätzen und Veranstaltungssälen doch anderes erkläre. Dem perplexen Drahoš wurde vor laufender Kamera empfohlen, gefälligst die Zeitung zu lesen.
Einen weiteren wichtigen Streitpunkt machte die Außenpolitik, insbesondere die Haltung zu Russland und die Frage der deutsch-tschechischen Beziehungen aus. Zeman zwang seinen Herausforderer auch hier die eigene Sicht auf, denn Drahoš kam nicht umhin, dem Amtsinhaber Zeman zustimmend Joachim Gauck als ein Musterpräsidenten anzuerkennen. Dieser war 2014 der erste deutsche Bundespräsident gewesen, der Prag einen offiziellen Besuch abgestattet hatte, was Zeman natürlich als einen Erfolg seiner Amtsführung herausstellen wollte.
Damals hatte Gauck übrigens die Frage der Vertreibungen aus dem Sudetenland anzusprechen versucht, woraufhin Zeman mit den deutschen Kommunisten konterte, denen er dankbar sei, weil sie sich als erste Hitler entgegengestellt hätten.
In der Stichwahl kam Zeman schließlich auf 51,3 Prozent der abgegebenen Stimmen, während Drahoš 48,63 Prozent erhielt. Die Wahlbeteiligung war mit 66,6 Prozent unerwartet hoch, wozu die beiden Fernsehduelle sicherlich beigetragen haben. Bei über acht Millionen Wahlberechtigten verdankt der alte und neue Staatspräsident der Tschechischen Republik seinen Sieg lediglich 152.184 Stimmen.
Eine offene Frage bleibt, ob Tschechien mit diesem klar geteilten Ergebnis dem Weg anderer Länder folgen wird, in denen sich in den letzten Jahren eine tiefere politische Spaltung in der Gesellschaft vollzogen hat. Eine solche starke Polarisierung bedeutet immer eine besondere Herausforderung für die Demokratie, auch wenn deren Kraftquell im Pluralismus besteht.