Nachricht | Geschichte - Afrika - Westafrika Vergessene Frauen

Ein Seminar in Praia diskutiert die Geschichte afrikanischer Befreiungsbewegungen.

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Auf Einladung der Fundação Amilcar Cabral und der Rosa Luxemburg Stiftung Westafrika trafen sich HistorikerInnen aus Afrika, Europa und Lateinamerika, um in Praia, der Hauptstadt der Kapverden, über die Beteiligung von Frauen in den Befreiungsbewegungen in den portugiesischsprachigen Staaten Afrikas zu diskutieren. Das zweitägige Seminar (16.–17. März 2018) begann mit der Präsentation des Fotobandes Mosambik 1975-85 von Moira Forjaz, die als Fotografin in Mosambik vor und nach der Unabhängigkeit arbeitete. Die Bilder in ihrem 2015 veröffentlichten preisgekrönten Buch, eröffnen einen intimen Blick zurück, auf die Zeit des Aufbruchs der jungen Nation. Die Menschen und ihr Leben in den ersten zehn Jahren nach Ende des Kolonialismus stehen im Mittelpunkt ihrer Bilder.

Michel Cahen von der Universität Bordeaux nahm in seinem Vortrag zu Nationalen Befreiungsbewegungen, Nationalismus und Antikolonialismus in den ehemaligen portugiesischen Kolonien in gewisser Weise, den von Moira Forjaz in ihren Bildern gesponnenen Faden auf, als er über die Schwierigkeiten der jungen Staaten sprach, sich nach der Unabhängigkeit als Nationen zu festigen. Mosambik, Guinea-Bissau und Angola sind für Cahen keine Nationalstaaten im europäischen Sinn, da sie es, wie schon der Kolonialstaat zuvor, aufgrund ihrer institutionellen und wirtschaftlichen Schwächen nicht vermochten, eine nationale Identität auszubilden. Die nationalen Befreiungsbewegungen, die ihre Länder in den 1960er und 1970er Jahren von Portugal befreiten,  bezeichnet Cahen daher als antikoloniale Bewegungen.

Auf den Kapverden nahm der Kolonialismus eine andere Entwicklung als auf dem afrikanischen Kontinent, da es hier keine einheimische Bevölkerung vor der Inbesitznahme durch Portugal gab. Portugal übte über die koloniale Gesellschaft der Kapverden, deren Bewohner vor allem als Sklaven aus Westafrika auf die Insel gekommen waren, eine ungleich größere Kontrolle aus, als in den Kolonien auf dem Kontinent, wo die einheimischen Gesellschaften ihre Traditionen trotz des portugiesischen Kolonialismus erhalten konnten. In Angola, Guinea-Bissau und Mosambik blieben Assimilation und Modernisierung der einheimischen Gesellschaften randständig, wohingegen die Einheimischen auf den Kapverden zu Beginn des 20. Jahrhundert die portugiesische Staatsbürgerschaft erhielten.

Angela Coutinho ging in ihrem Vortrag auf die Beteiligung kapverdischer Frauen in der Befreiungsbewegung ein, deren Geschichte weitgehend vergessen wurde. Coutinho von der Universität Lissabon untersuchte die Beteiligung von Frauen im kapverdischen Untergrund der 1960er und 1970er Jahre. Der bewaffnete Befreiungskampf der PAIGC mit Amilcar Cabral an der Spitze, der 1973 bei einem von Portugal unterstützten Putsch ermordet wurde, konzentrierte sich damals auf Guinea Bissau. Aber auch auf den Kapverden war die PAIGC aktiv, denn für Cabral war der Befreiungskampf in erster Linie politisch, denn die junge Nation sollte auf die Unabhängigkeit vorbereitet sein. Die Beteiligung von Frauen am Befreiungskampf war für Cabral daher eine Selbstverständlichkeit. Dass diese Frauen und ihr Beitrag zur Befreiung der Kapverden in Vergessenheit geriet, bedauerte auch Ligia Fonseca, die First Lady der Kapverden, die am Seminar teilnahm und es als wichtigen Impulsgeber zur Aufarbeitung dieser Phase der Geschichte der Kapverden bezeichnete. Nun müssten weitere Initiativen folgen, um insbesondere die junge Generation über die Geschichte ihres Landes zu informieren, so Frau Fonseca.

Margarida Paredes von der Universität de Bahia in Brasilien wandte sich in ihrem Vortrag der Beteiligung von Frauen in Angola am bewaffneten Kampf zu. Paredes, die als Portugiesin in den 1960er und 1970er Jahren selber auf Seiten der MPLA für Angolas Unabhängigkeit von Portugal kämpfte, sprach vor allem die Schwierigkeiten der Frauen an, als Guerilleras von den Männern akzeptiert zu werden. Für viele Soldaten gehörten die Frauen damals nicht an die Front. Frauen sollten dienen nicht kämpfen. Frauen vertraute man daher nur minderwertige Waffen an, denn das richtige Kämpfen sollte den Männer vorbehalten bleiben. Die militärische, aber auch die politische Führung blieb in Angola trotz aller Beteiligung von Frauen in Männerhand.

Der bewaffnete Kampf brachte in Angola, Mosambik und Guinea Bissau die Geschlechterrollen in den traditionellen Gesellschaften in Bewegung. Für Frauen war die Beteiligung am bewaffneten Kampf eine Form der Selbstbestimmung. Nicht zuletzt ermöglichten die Befreiungsbewegung einigen Frauen sogar Reisen in damals befreundete Länder, wie die DDR und Bulgarien, wo sie mit ganz anderen Geschlechterrollen in Kontakt kamen als zu Hause. Heute erlebe Angola, so Paredes, auch wegen des wachsenden Einflusses von evangelikalen Kirchen eine Retraditionalisierung der Geschlechterrollen. Frauen werden heute in Angola wieder zurück an den Herd gedrängt.

Isabel Casimiro von der Universität Maputo in Mosambik sprach in ihrem Vortrag über die frauenpolitischen Ansichten der politischen Führung der Befreiungsbewegung FRELI?O in Mosambik. Für Samora Machel, der damalige Anführer und erste Präsident Mosambiks, war die Gleichberechtigung von Frauen kein Thema. Mit feministischen Ideen verband er vor allem verrückte Frauen, die ihre BHs verbrennen, so Casimiro. Die Geschlechterrollen blieben in der Befreiungsbewegung FRELIMO traditionell. In der offiziellen Geschichtsschreibung nehmen Frauen in Mosambik trotz ihrer Beteiligung am bewaffneten Kampf nur eine Nebenrolle ein. Junge Menschen wissen über die Beteiligung der Frauen in der Befreiungsbewegung FRELIMO leider kaum Bescheid.

Immer wieder entbrannten zwischen den Präsentationen teils emotionale Diskussionen der fast 100 anwesenden Gäste aus Politik und Zivilgesellschaft, die sich bei der Initiatorin der Veranstaltung Angela Coutinho und den beiden Organisationen bedankten. Neben der Rolle der Frauen in den Befreiungsbewegungen wurde unter den Gästen auch über die Rolle der Frau heute auf den Kapverden diskutiert. Denn gegenwärtig wird über ein Gesetz beraten, dass die paritätische Besetzung politischer und öffentlicher Positionen durchsetzen soll.

Weiterführende Informationen:

Ângela Sofia Benoliel Coutinho: The Participation of Cape Verdean Women in the National Liberation Movement of Cape Verde and Guinea-Bissau, 1956-1974: The PioneersRosa Luxembrg Stiftung West Africa