Nachricht | Westafrika Mali: Nach dem Putsch ist vor der Wahl?

Drei Jahre unter Präsident Assimi Goïta: Bilanz von Claus-Dieter König

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Portrait von Assimi Goïta, Interimspräsident der malischen Militärregierung
Wird die Militärregierung in Mali unter Putschist Assimi Goïta ihre Macht auf Dauer festigen können? Foto: picture alliance/dpa/TASS | Vladimir Smirnov

Vor drei Jahren, am 24. Mai 2021, putschte Hauptmann Assimi Goïta zum zweiten Mal. Nach dem ersten Putsch im August 2020 hatte er sich – angesichts des Drucks der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS – noch mit der Position des Vizepräsidenten begnügt. Als die Regierung des zivilen Präsidenten Bah N’Daw dann bei einer Kabinettsumbildung die Militärs nicht in dem von Goïta gewünschten Umfang berücksichtigte, kam es zum erneuten Staatsstreich.

Die westliche Berichterstattung beschränkt sich derzeit auf die Frage, ob Goïta seine Macht auf Dauer stellen und bei einer möglichen Präsidentschaftswahl kandidieren will. Auch wenn das durchaus möglich scheint, verstellt dieser Zugang den analytischen Blick auf die Intentionen und Ergebnisse seines Regierungshandelns, um die es in diesem Beitrag gehen soll.

Die «Ehre der Armee»

Malis Armee wurde jahrzehntelang kaum ernst genommen. In der Regierungszeit von Amadou Toumani Touré (2002 bis 2012) war sie schlecht ausgerüstet und unterbezahlt, was eine mangelnde Einsatzbereitschaft zur Folge hatte. Im März 2012 demonstrierten Frauen von in der Garnisonsstadt stationierten Soldaten, weil ihre Partner ohne hinreichende Bewaffnung und Verpflegung in die Kämpfe gegen bewaffnete Aufständische im Norden des Landes geschickt wurden. Vor diesem Hintergrund lässt sich nachvollziehen, warum die Soldaten es oftmals vorzogen, den Feind nicht zu konfrontieren, sondern sich zurückzuziehen. Die Unzufriedenheit der Soldaten führte im selben Jahr schließlich zur Machtübernahme des Militärs.

Nach einem Aufstand separatistischer und dschihadistischer Gruppen hatten bereits im Januar 2012 die Militärinterventionen Frankreichs und der UN-Stabilisierungsmission MINUSMA (an der auch die Bundeswehr beteiligt war) begonnen, die die malische Regierung und das Friedensabkommen von Algier schützen sollten. Die darauffolgenden Jahre wurden in Mali indes als nationale Demütigung empfunden. Denn die malischen Soldaten waren den ausländischen Truppen untergeordnet und mussten sich von den französischen Kolleg*innen ihre Einsatzorte vorschreiben lassen. Die Region Kidal – wo die Separatisten der Tuareg, geführt von der Befreiungsbewegung MNLA, die Kontrolle übernommen hatten – durfte von der malischen Armee gar nicht betreten werden. Es gibt sogar Berichte, dass malische Soldaten die Waffen, die ihnen von der französischen Armee zur Verfügung gestellt wurden, nach Rückkehr in die Kasernen direkt wieder abgeben mussten. Die Kontrolle über den malischen Luftraum oblag ebenfalls Frankreich.

Aufgrund dieser Erfahrungen ist es die Leitlinie der Militärregierung Goïtas, die «Würde der Armee» wiederherzustellen. Aus diesem Grund schätzt sie die Zusammenarbeit mit Russland, denn mit dem russischen Afrikakorps agieren die malischen Streitkräfte gleichberechtigt im Feld. Ausrüstung wird ohne Gängelei zur Verfügung gestellt, und Mali kontrolliert seinen Luftraum selbst.

Besonders symbolträchtig war in diesem Zusammenhang im November 2023 die Einnahme von Kidal, ebenjener Stadt im Norden, die lange von separatistischen Gruppen kontrolliert wurde. Seitdem wird die Stadt von der Regierungsarmee kontrolliert. Über zehn Jahre hatte das Militär die Stadt nicht einmal betreten können – nun hat es seine Stärke bewiesen.

Das Primat des Militärischen

Die «Ehre der Armee» zu verteidigen, bedeutet für die Goïta-Regierung allerdings zugleich, jede Kritik an deren Vorgehen hart zu sanktionieren. Wer die hohe Zahl ziviler Opfer der Operationen oder die fehlende Achtung von Menschenrechten – durch malische wie durch russische Truppen – kritisiert, sieht sich der Repression ausgesetzt. Prominentestes Opfer dieser Repression ist der Vorsitzende der linken Partei SADI, Oumar Mariko, der inzwischen im Exil lebt.

Die Unterdrückung kritischer Perspektiven erschwert auch eine unabhängige Einschätzung der medial immer wieder verkündeten Erfolge der malischen Armee. Es gibt allerdings beispielsweise Berichte darüber, dass große Überlandstraßen wieder genutzt werden können, was darauf hindeutet, dass die Sicherheitslage sich verbessert hat. Dennoch ist das Land von einer dauerhaften Stabilität noch weit entfernt.

Die Regierung setzt beim Kampf gegen bewaffnete (und teilweise dschihadistische) Gruppen voll aufs Militär. Hauptpfeiler ihrer Strategie ist der militärische Erfolg, die «Neutralisierung» (also Tötung) möglichst vieler Kämpfer. Dabei werden allzu oft auch hohe zivile Verluste hingenommen und weitere Menschenrechte verletzt.

Die Priorität des Militärischen erklärt auch die Gründung der Allianz der Staaten des Sahel (AES), zu der sich Burkina Faso, Mali und Niger im September 2023 zusammenschlossen. Zuvor konnten sich bewaffnete Gruppen der Verfolgung einfach dadurch entziehen, dass sie eine Landesgrenze überquerten. Zur Zusammenarbeit der Allianz gehört, dass Streitkräfte in allen drei Staaten agieren können, also beispielsweise das malische Militär Gruppen bis nach Niger verfolgen kann. Dadurch konnten die Rückzugsmöglichkeiten für die bewaffneten Gruppen in den Grenzgebieten verringert werden, was, Partnern der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Bamako zufolge, zu den jüngeren militärischen Erfolgen wesentlich beitrug.

Gleichzeitig blockiert das Primat des Militärischen das Zustandekommen von Friedensabkommen. Denn während auf lokaler Ebene durchaus immer wieder mal Wege zum Waffenstillstand zwischen sich bekämpfenden Gruppen ausgelotet wurden, bleiben Verhandlungen auf nationaler Ebene ausgeschlossen. Hier fokussiert man einzig darauf, den militärischen Sieg zu erringen.

In diesem Zusammenhang ist auch die Aufkündigung des Abkommens von Algier durch die Regierung Anfang dieses Jahres zu sehen. Das Abkommen zwischen der Regierung und einem Bündnis separatistischer Gruppen aus Malis Norden war 2015 unter starkem Druck ausländischer Akteure –ECOWAS, EU und Frankreich – zustande gekommen. Seine Umsetzung war jedoch von beiden Seiten verschleppt worden. Seit 2023 viele der beteiligten Gruppen wieder ihre Waffen gegen die Regierung erhoben, galt es als gescheitert.

Die Aufkündigung des Abkommens von Algier bedeutet allerdings auch eine Absage an die Forderungen nach Autonomie, die einige der bewaffneten Gruppen im Norden erheben. Wie auf diese Weise langfristig Stabilität und Frieden im Land geschaffen werden sollen, bleibt offen. Denn eine effektive Kontrolle über jeden Winkel des Landes durch die malische Armee und die mit ihnen kooperierenden Truppen scheint kaum möglich.

Dauerhafte Stabilität kann nur erreicht werden, wenn man einen Dialog aufnimmt und die tiefer liegenden Konfliktursachen angeht, nämlich Armut und Perspektivlosigkeit. Diese betreffen insbesondere den Norden des Landes, der seit der französischen Kolonialzeit marginalisiert und zudem von den Folgen der Erderhitzung besonders betroffen ist. Kleinbäuer*innen und Viehzüchter*innen benötigen einen gesicherten Zugang zu (Weide-)Land, Wasser und anderen Produktionsmitteln sowie staatlich geförderte Verkaufs- und Vermarktungskanäle. Zudem fehlen funktionierende und korruptionsfreie Leistungen der Daseinsvorsorge (Gesundheit, Bildung, öffentliche Sicherheit) und der Organisation des Gemeinwesens (Verwaltung, Justiz, Polizei). Dies aber kann die Militärregierung alleine nicht leisten; hierzu müsste sie vielmehr mit den Gewerkschaften, den Organisationen der Landwirt*innen und den zahlreichen Basisorganisationen in den Gemeinden konstruktiv zusammenarbeiten.

Eine Frage der Souveränität?

Die Goïta-Regierung wendet sich seit ihrer Machtübernahme entschieden gegen ausländische Einflussnahme auf die eigene Politik. Ein wichtiger und im Land durchaus populärer Schritt war dabei der Bruch mit Frankreich. Außenminister Abdoulaye Diop hat wiederholt betont, dass die Beziehungen wiederaufgenommen werden könnten, wenn Frankreich endlich die Souveränität Malis respektiere – was als Verweis auf die frühere Unterordnung der malischen Streitkräfte zu verstehen ist. Der Bruch mit der ECOWAS folgt einer ähnlichen Logik: Denn auch die Sanktionen der Wirtschaftsgemeinschaft – die den Zweck verfolgten, Mali auf Neuwahlen zu verpflichten – wurden als massiver Eingriff in die nationale Souveränität aufgefasst.

Die Regierung betont demgegenüber, dass die Zusammenarbeit mit Russland sich von jener mit Frankreich und der UN-Stabilisierungsmission MINUSMA dadurch unterscheide, dass Moskau die Souveränität Malis respektiere. Und in der Tat enthält sich das russische Afrikakorps bekanntlich jeder Kritik an ihren Partnern, auch wenn es sich dabei um Putsch-Regierungen handelt – und erwartet umgekehrt dasselbe, nicht zuletzt mit Blick auf den Angriffskrieg in der Ukraine.

Zugleich will man in Bamako über die Kosten der russischen Unterstützung ungern sprechen. Dafür gibt es einen handfesten Grund: Denn das Afrikakorps hat inzwischen die wichtigste Goldmine des Landes übernommen und verdient am Verkauf des dort geförderten Goldes – vermutlich ohne jegliche Kontrolle durch malische Behörden. Der das US-Afrikakommando führende General beziffert den monatlichen Mittelabfluss in Richtung Russland auf etwa zehn Millionen US-Dollar.

All dem Getöse von Souveränität zum Trotz hat die Regierung bislang jedoch wenig unternommen, um die wirtschaftliche und monetäre Eigenständigkeit voranzubringen. Konkrete Schritte, wie beispielsweise die Ersetzung des neokolonialen CFA-Franc durch eine eigene Währung, lassen sich nicht erkennen. Die bekannte Globalisierungskritikerin Aminata Traoré kritisiert außerdem, dass ein Umbau der Wirtschaftspolitik – weg von neokolonialen Abhängigkeiten, hin zum Aufbau einer eigenen Industrie – bislang im Wesentlichen ausbleibt. Eine Wirtschaftspolitik, die sich dezidiert an den Interessen der Arbeitenden orientiert und diese in der Landwirtschaft, der Viehzucht, im Bergbau sowie im informellen Sektor stärkt, ist jedenfalls nicht in Sicht.

Der Kampf gegen die «politische Klasse»

Die von der Militärregierung forcierte Ablehnung parteipolitischer Akteure, der sogenannten «politischen Klasse», trifft allerdings in weiten Teilen der Bevölkerung Malis auf Zustimmung. Und in der Tat: Wenn eine ausbeutende Klasse dadurch definiert wird, dass sie sich das von anderen erzeugte Mehrprodukt aneignet, dann trifft diese Definition durchaus zu. Gewählte Regierungen haben in Mali in den letzten Jahrzehnten keine positive Bilanz hinterlassen. Es ging ihnen immer vorrangig um die eigene Bereicherung, anstatt um das Wohl des Landes.

Dies spiegelt sich auch in der jährlichen Umfrage Malimètre wider, in der die politischen Einstellungen der Bevölkerung Malis abgefragt werden. Lediglich 16 Prozent der Befragten zeigen sich zufrieden bzw. eher zufrieden mit den politischen Parteien, aber 98 Prozent mit Präsident Goïta. Während Parteipolitiker*innen ein rasches Ende der so genannten Übergangsregierung fordern, bewerten 87 Prozent der Befragten den Aufschub der Wahlen als richtige Entscheidung.

Die Regierung Goïta erhöht derweil den Druck auf die politischen Parteien. Im April dieses Jahres wurde ihnen durch ein Dekret jegliche Betätigung untersagt; zuvor war bereits die Afrikanische Sozialdemokratische Partei (PDSA) gänzlich verboten worden. Mit einer Klage gegen die linke Partei SADI hatte die Regierung vor Gericht allerdings keinen Erfolg. Darüber hinaus wurden auch Organisationen der Zivilgesellschaft, darunter die Vereinigung der Schüler*innen und Studierenden, zu Jahresbeginn verboten. Dies ist ein Indikator dafür, dass die Militärregierung sich keineswegs nur gegen die «politische Klasse» wendet, sondern insgesamt die Repression verstärkt, um ihre eigene Machtposition zu festigen.

Die im Juni 2023 per Referendum angenommene neue Verfassung sieht die Ausweitung der Kompetenzen des – künftig wieder zu wählenden – Präsidenten vor, darunter die Entscheidungsbefugnis zur Auflösung des Parlaments. Damit ermöglicht sie dem Präsidenten de facto eine autoritäre Regierungsführung. Zudem gewährt die Verfassung der Armee ein Mitbestimmungsrecht bei der wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen Entwicklung. Goïta dürfte sich voraussichtlich selbst zur Wahl stellen, um als gewählter Präsident weiterregieren zu können.

Einen «starken Mann» an der Spitze des Landes befürworten allerdings viele Malier*innen. Sie erhoffen sich von einer autoritären Regierung vor allem ein konsequenteres Vorgehen gegen Korruption und eine Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage.

Eine Frage der Demokratie

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob der im Mai abgeschlossene «intermalische Dialog» der Bevölkerung tatsächlich demokratische Beteiligung ermöglichte. Es war der zweite Prozess dieser Art seit 2020; beide bezogen nicht nur die nationale, sondern auch die lokale Ebene in den Dialog ein. Das propagierte Ziel war, dass alle Malier*innen über die Zukunft des Landes mitbestimmen können. Der zusammenfassende Bericht soll als Grundlage für das Handeln der Regierung dienen.

Von Teilnehmer*innen gibt es unterschiedliche Reaktionen auf den Dialogprozess. Während manche enthusiastisch von einer offenen Atmosphäre berichteten, konstatierten andere die Abwesenheit armer Menschen und die eklatante Unterrepräsentanz von Frauen bei den Zusammenkünften. Sie kritisieren überdies, dass aus dem Prozess Empfehlungen hervorgingen, die die Militärregierung nutzen könne, um ihre Herrschaft auf Dauer zu stellen. Ihnen zufolge ist das Ziel des Prozesses weniger die demokratische Willensbildung, als die Mobilisierung von Unterstützung durch die Bevölkerung, die sich gegenwärtig nicht über Parteien oder andere politische Gruppen artikulieren kann.

Ein lebhafter, inklusiver und freier politischer Diskurs bleibt jedoch ein notwendiger Bestandteil einer Strategie für den Frieden. Er ist zudem die Voraussetzung dafür, dass der Neuaufbau einer Demokratie, die nicht durch die politische Klasse ausgehöhlt wird, gelingen kann. Staatlich organisierte Diskussionsräume, wie sie der Dialog ermöglicht hat, reichen dazu nicht aus. Es bedarf freier Medien. Aber die Regierung verbietet stattdessen ausländische Radiosender und blutet die in Mali wichtigen kommunalen und gemeinnützigen Radios durch die Streichung der Subventionen aus.

Eine Demokratie bedarf außerdem starker Organisationen der Interessenvertretung, vor allem für und durch die arbeitende Bevölkerung. Diese Menschen sind das wirtschaftliche Rückgrat des Landes. Ihre freie Meinungsäußerung wird durch das Dekret jedoch ebenfalls massiv eingeschränkt. Und da nicht klar definiert wird, was überhaupt als «politisches Handeln» gilt, erlaubt das Dekret willkürliche Unterdrückung und erzeugt auf diese Weise ein Klima, in dem eine unabhängige Interessenvertretung kaum mehr möglich ist. Eine dezidiert an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientierte Politik aber bedarf einer solchen Interessenvertretung – und braucht einen offenen und freien Diskurs wie die Luft zum Atmen.

Davon aber scheint Mali nach drei Jahren unter Präsident Goïta noch weit entfernt.