Mitten in der Wahlnacht am vergangene Sonntag (24. Juni), während in vielen Wahllokalen noch Stimmzettel in den Wahlurnen auf ihre Auszählung warteten und die Oberste Wahlbehörde YSK immer noch kein vorläufiges Ergebnis bekannt gegeben hatte, erklärte Recep Tayyip Erdoğan sich selbst zum Sieger der Präsidentschaftswahl und das Regierungslager, bestehend aus der AKP und der rechtsextremen MHP, zum Sieger der Parlamentswahlen in der Türkei. Anschließend gingen die Regierungsanhänger*innen, darunter bewaffnete Personen, im gesamten Land auf die Straßen, um den vermeintlichen Wahlsieg zu feiern.
Damit war die noch nicht vollständige Auszählung der Stimmen hinfällig und jeglicher demokratische Anstrich der Wahl selbst abgekratzt. Die Opposition stand vor dem Dilemma, nun entweder ihre Anhänger*innen ebenfalls zu mobilisieren oder ihre vermeintliche Niederlage hinzunehmen. In dieser Situation erwarteten viele Wähler*innen der Opposition eine öffentliche Äußerung des Präsidentschaftskandidaten Muharrem Ince von der kemalistischen CHP, der wichtigste Gegenspieler von Erdoğan bei der Wahl. Doch Ince äußerte sich nicht. Stattdessen signalisierte die CHP über andere Wege, dass sie die vermeintliche Wahlniederlage anerkennen würde. Anschließend meldete sich die Oberste Wahlbehörde und bestätigte die Äußerungen von Erdoğan. Ince selbst erklärte sich erst bei einer Pressekonferenz am Montag und erkannte seine Wahlniederlage an. Wahlfälschungen habe es zwar gegeben, so Ince, aber nicht in einem Ausmaß, das den Vorsprung von zehn Millionen Stimmen für Erdoğan erklären könne.
Damit endete ein Wahlkampf, in dem die staatlichen und privaten Medien, die mehrheitlich unter der Kontrolle der Erdoğan-Regierung stehen, für den Erfolg des Staatspräsidenten und des Regierungslagers instrumentalisiert wurden. Auch die Stimmabgabe selbst war von zahlreichen Manipulationen, Fälschungen und Einschüchterungsversuchen begleitet. Nicht zuletzt wurde die Arbeit der ausländischen und unabhängigen Wahlbeobachter*innen behindert, einige von ihnen wurden sogar festgenommen.
Der staatlichen Nachrichtenagentur AA zufolge lauten die vorläufigen offiziellen Wahlergebnisse wie folgt:
Kandidaten zur Präsidentschaftswahl | Stimmanteile in Prozent |
---|---|
Recep Tayyip Erdoğan | 52,6% |
Muharrem Ince | 30,6% |
Selahattin Demirtas | 8,4% |
Meral Aksener | 7,3% |
Parteien bei der Parlamentswahl | Stimmanteile in Prozent |
---|---|
AKP | 42,6% |
MHP | 11,1% |
CHP | 22,6% |
IYI | 9,6% |
Saadet | 1,6% |
HDP | 11,7% |
Das Regierungslager erhält damit im Parlament mit 53 Prozent eine Mehrheit, während die Oppositionsliste bei 33,9 Prozent landet. Zwei Entwicklungen sind im Regierungslager jedoch auffällig: Während die AKP im Vergleich zu den letzten Parlamentswahlen im November 2015, 6,9 Prozent ihrer Stimmen verlor, konnte die MHP, entgegen aller Prognosen, fast die Stimmenanteile vom November 2015 erreichen. Dies ist insofern überraschend, weil sich seit den letzten Wahlen ein nennenswerter Flügel der MHP abgespalten und mit der national-konservativen IYI unter Meral Aksener eine neue Konkurrenzpartei gegründet hatte. Möglicherweise gab es eine Wähler*innenwanderung von der AKP zur MHP.
Für die Oppositionsparteien CHP und die IYI sind die offiziell verkündeten Wahlergebnisse eine herbe Enttäuschung. Denn die Wahlkampfveranstaltungen des CHP-Präsidentschaftskandidaten Ince, an denen mehrere Millionen Menschen teilnahmen, hatten große Hoffnungen bei den Kemalist*innen geweckt. Doch die CHP verlor sogar im Vergleich zum November 2015 um 2,7 Prozent. Aber auch die IYI-Partei blieb weit unter den Erwartungen. Dies ist insbesondere bei der Präsidentschaftswahl auffällig. Während Meral Aksener zwischenzeitlich als die Favoritin gehandelt wurde, liegt sie nun an vierter Stelle, noch hinter Selahattin Demirtas, dem Präsidentschaftskandidaten der linken und prokurdischen HDP.
Die HDP wiederum konnte ihre selbstgesteckten Ziele erreichen. Sie hat mit 11,7 Prozent der Stimmen klar die Wahlhürde von zehn Prozent erreicht und legte sogar im Vergleich zu 2015 zu. Allerdings wird sich dieser Erfolg angesichts der Mehrheit des Regierungslagers im Parlament nicht in einen größeren Spielraum für die gesamte Opposition verwandeln lassen. Denn die anderen Oppositionsparteien konnten die in sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllen.