Nachricht | Parteien / Wahlanalysen - Staat / Demokratie - International / Transnational - Europa - Westeuropa - Osteuropa Halbvoll, halbleer. Eine kurze Wahlanalyse aus Polen.

Die Wahlen zu den Körperschaften der Selbstverwaltung am 21. Oktober 2018.

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Holger Politt,

Foto: Holger Politt

Die Wahlen zu den Körperschaften der Selbstverwaltung auf der Regional- und Lokalebene am 21. Oktober 2018 haben in Polen zu Ergebnissen geführt, die allgemein erwartet wurden. Auch deshalb behaupteten hinterher fast alle Seiten, sie hätten gewonnen. Die Wahlen wurden zudem als eine erste wichtige Bestandsaufnahme gehandelt über die dreijährige Regierungszeit der von Jarosław Kaczyński angeführten Nationalkonservativen (PiS), da die regelmäßigen Umfrageergebnisse zu schwankend oder ungenau sind.

Außerdem läuteten die jetzigen Wahlen einen wahren Marathon an Wahlgängen ein, denn im Frühjahr 2019 folgen die Wahlen zum Europäischen Parlament, im Herbst 2019 die Parlamentswahlen und schließlich im Frühjahr 2020 die Direktwahl des Staats-präsidenten.

Auch wenn zwischen den Ebenen der Zentralregierung und der sogenannten Selbstverwaltung in den einzelnen Wojewodschaften, Kreisen, Städten und Gemeinden erhebliche Unterschiede bestehen, liegen nun Ergebnisse vor, die das bestehende Kräfteverhältnis zwischen den politischen Lagern zuverlässig abbilden.

Für die Nationalkonservativen war es ein Test darüber, ob sie in einem Jahr darauf hoffen dürfen, die Alleinregierung verteidigen zu können. Am Wahlabend sagte Kaczyński, diese Möglichkeit sei eindrucksvoll bestätigt worden, aber die Partei müsse künftig noch härter arbeiten.

Und für das breit aufgestellte Lager der Verteidiger der geltenden Verfassung, denn die regierenden Nationalkonservativen wollen die Verfassung von 1997 durch eine andere, ihnen gemäße ersetzen, ging es darum, die in den öffentlichen Auseinandersetzungen der letzten Jahre gewonnene Stärke auf der Straße nun erstmals an der Wahlurne unter Beweis zu stellen.

Am Wahlabend sagten deshalb führende Oppositionspolitiker, der geplante Angriff der Kaczyński-Leute auf die Selbstverwaltungsstrukturen sei erfolgreich gestoppt worden. In sechs Punkten sei nun versucht, ein wenig Licht in das Dunkel des Wahlergebnisses zu bringen.

Eins

Von den 16 Landtagen auf der Ebene der Wojewodschaften werden die Nationalkonservativen künftig in sechs allein regieren können – zweifellos ein Erfolg, den bislang taten sie es in einem einzigen dieser kleinen Parlamente. In einer weiteren Wojewodschaft könnten sie künftig auch regieren, falls sie einen Koalitionspartner finden. Demzufolge wird aber mindestens in neun Wojewodschaftsvertretungen weiterhin das Verfassungslager das Sagen haben – allen voran die bürgerlich-liberale Opposition, unterstützt meistens von den moderaten Agrariern der PSL und weiteren kleineren Koalitionären. Auch dies ist zweifellos ein Erfolg, auch wenn das bürgerlich-liberale Lager nur noch in einer einzigen Wojewodschaft alleine regieren kann.

Wichtig ist neben dem unmittelbaren Stimmenergebnis für die eigenen Liste die Koalitionsfähigkeit, die im Verfassungslager eindeutig größer ist als bei den Nationalkonservativen. Wenn Kaczyński von der weiteren harten Arbeit spricht, so meint er neben den erhofften Stimmengewinnen die gestärkte Koalitionsfähigkeit, die aber nach heutigem Stand reine Fiktion ist, denn aus dem Verfassungslager will niemand mit den Nationalkonservativen zusammengehen. So bliebe dem Kaczyński-Lager allein der Schulterschluss mit dem rechtsradikalen-rechtspopulistischen Lager, das aber bei diesen Wahlen eher enttäuschend abgeschnitten hat. Zu gerne würde Kaczyński aber dieses Lager neutralisieren oder in Teilen auch vereinnahmen, weil seine Zielrichtung eigentlich in die Mitte der Gesellschaft zielt, denn dort – nicht an den Rändern – werden nächstes Jahre die Wahlen gewonnen oder verloren.

Zwei

In allgemeinen Zahlen ausgedrückt bleibt zu konstatieren, dass die Nationalkonser-vativen landesweit gemessen unter 35 Prozent an abgegebenen Stimmen geblieben sind, was eindeutig unter den Erwartungen liegt. In einzelnen Umfragen hatten die Kaczyński-Leute sich zuletzt sogar über Werte von 40 Prozent erfreuen können, was die Hoffnung nährte, im nächsten Herbst wieder als strahlender Sieger vom Platz gehen und die Alleinregierung fortsetzen zu können.

Die Ernüchterung am Wahlabend war insbesondere Kaczyński anzusehen, der unabhängig von der Zahl der gewonnenen Wojewodschaften sofort wusste, wie schwer es nun werden wird, in der verbleibenden Jahresfrist den klaren Rückstand zu den erhofften und gebrauchten Werten wettzumachen.

Und die liberal-bürgerliche Liste, die mit Abstand stärkste Kraft im Verfassungslager, blieb landesweit gemessen knapp unter 30 Prozent der abgegebenen Stimmen. Mit den anderen Kräften im Verfassungslager wird der Rückstand zur Kaczyński-Partei aber schnell wettgemacht und diese schließlich deutlich überrundet.

Anders gesagt: Wären es Parlamentswahlen gewesen, hätten die Nationalkonservativen gegenüber dem Verfassungslager klar verloren und wären auf die Oppositionsbank verwiesen worden.

Drei

Im Wahlkampf hatte Kaczyński den Ministerpräsidenten vorgeschickt, um in der Provinz die moderaten Agrarier mit allen erdenklichen Mitteln zu schlagen. Das ist nicht gelungen, auch wenn die PSL gegenüber den letzten Selbstverwaltungswahlen im Herbst 2014 knapp sieben Prozentpunkte verlor, die fast ausschließlich den National-konservativen zugutekamen. Mit dieser Beute sind die Alleinregierungen in nun fünf weiteren Wojewodschaften zu erklären. Und doch erreichten die Agrarier mit landesweit 13 Prozent einen hervorragenden Wert, den ihnen nach der aggressiven PiS-Kampagne in der Provinz und den letzten Umfragewerten kaum jemand noch zugetraut hatte.

Da Ministerpräsident Mateusz Morawiecki mit seinen häufig aus der Luft gegriffenen Angriffen gegen die PSL viel Porzellan zerschlagen hat, ist kaum noch davon auszugehen, dass nach den nächsten Parlamentswahlen PiS und die PSL an ihrer gemeinsamen konservativen Schnittmenge zusammenfinden können. Kaczyński hat das Risiko gewählt, wollte die PSL handstreichartig beerben wie einst die Samoobrona, nun hat er in den ländlichen Räumen einen entschiedenen Gegner, der seine Krallen gezeigt hat und künftig wieder gestärkt ins Rennen gehen wird.

Die Agrarier sind ein wichtiger Teil des Verfassungslagers, viele Beobachter sprechen jetzt sogar davon, dass sie überhaupt die Demokratie in Polen gerettet hätten.

Vier

Unterhalb der Wojewodschaftsebene interessierten aus gesamtpolnischer Sicht am ehesten die Wahlergebnisse in den Großstädten. Insbesondere der Wahlausgang in Warschau wurde von Kaczyński in den Rang einer Chefsache erhoben, war doch hier Zwillingsbruder Lech Kaczyński von 2002 bis 2005 Stadtpräsident und gewann von dieser Position aus im Herbst 2005 knapp das Rennen um das Amt des Staatspräsi-denten gegen Donald Tusk.

In diesem Jahr hatte Kaczyńskis Kandidat indes keine Chance, verlor bereits in der ersten Runde das Rennen um das Rathaus der Hauptstadt, weil der Vertreter der liberal-bürgerlichen Liste die erforderliche absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhielt. Diese Niederlage symbolisiert das insgesamt schwache Abschneiden der Kaczyński-Partei in den großen Städten Polens. Auch dies bewerten Beobachter als ein ungünstiges Ohmen für die große Wahlschlacht im kommenden Jahr.

Fünf

Einzig die linksgerichteten und linksliberalen Kräfte sprechen offen von einer Nieder-lage, die sie erlitten hätten. Nur die Linksdemokraten der SLD konnten überhaupt wertvolle Sitze in den Wojewodschaftsparlamenten erringen, allerdings sind es in den 16 Wojewodschaftsvertetungen insgesamt ganze elf Sitze. Eine enttäuschende Zahl, wenn die vorrangegangenen Wahlen zugrunde gelegt werden. Allerdings ist die SLD erstmals angetreten, ohne im Zentralparlament vertreten zu sein. So gesehen scheinen die 6,6 Prozent der abgegebenen Stimmen, die landesweit bemessen für die Liste zu Buche stehen, kein allzu schlechter Wert zu sein.

Hinzu kommt eine frappierende Zahl, die hier angeführt sei. Das Wahlrecht begünstigt eindeutig die großen, stimmenstarken Listen, benachteiligt demzufolge die schwächeren Gruppierungen. Um eines der begehrten Mandate in den Landtagen auf Wojewodschaftsebene zu erlangen, genügten für die Nationalkonservativen knapp 21.000 abgegebene Stimmen, während die SLD dafür aber knapp 93.000 Stimmen brauchte, also das Vierfache an Zahl. Diese Spielregeln sind nicht von den National-demokraten erfunden worden, sie gelten seit langem, doch sie verweisen in der gegebenen Situation auf einen zusätzlichen Hoffnungsfunken.

Sechs

Laut Meinungsforschern werden nächstes Jahr für linksgerichtete und linksliberale Gruppierungen maximal fünfzehn, wahrscheinlich zehn Prozent der abgegebenen Stimmen zu verzeichnen sein. Wenn daraus die entsprechenden Parlamentssitze ent-springen, wären nach Lage der Dinge alle Vorstellungen der Kaczyński-Partei, die Alleinregierung fortsetzen zu können, nur noch Makulatur. Selbst Kaczyński hat seine Parteileute bereits darauf hingewiesen.

Die eigentliche Herausforderung besteht folglich darin, aus diesem Potential tatsächlich in einem Jahr die entsprechenden Parlamentssitze münzen zu können. Bei den jetzigen Wahlen trat neben den Linksdemokraten auch die Liste der Partei Razem an, schnitt landesweit bemessen mit deutlich unter zwei Prozent der abgegebenen Stimmen aber eher enttäuschend ab. Zwar wurden in einigen Großstädten interessante Wahlbündnisse geschlossen, die hier und dort sogar kleinere Achtungserfolge zu verbuchen hatten, aber die Situation ist ernster, als es sich führende Parteistrategen bislang eingestehen wollten.

Zugleich lauert nun Robert Biedroń im Hintergrund, der bei diesen Wahlen noch nicht mit einer eigenen Liste angetreten war. Er hatte auf die Chance verzichtet, sein Präsidenten-Amt in Słupsk zu verteidigen, um rechtzeitig vor dem schwierigen Wahljahr 2019 landesweit agieren zu können. Den Verlockungen aus dem liberal-bürgerlichen Spektrum hat er bislang standgehalten – er will eine Liste des Fortschritts aufbauen, die er als Stärkung des linken und linksliberalen Spektrums versteht.

Damit würde es in einem Jahr wenigstens drei Listen geben, die um die knappen Stimmen im linken bzw. linksliberalen Bereich buhlen werden.

Die Alternative wäre eine gemeinsame Liste, die tatsächlich in der Lage wäre, zehn oder gar fünfzehn Prozent der abgegebenen Wählerstimmen auf sich zu ziehen. Ansonsten droht diesem für den Ausgang der Wahlen in einem Jahr so wichtigen Wählerspektrum der Fluch der verlorenen Stimme, wenn die vom Gesetz vorgesehenen Prozenthürden nicht genommen werden. Die Auswirkungen für das Land liegen auf der Hand, denn es drohte in diesem Fall eine Wiederholung der Situation von 2015.