„Wir werden sie jagen“: die wütende Kampfansage von AfD-Chef Alexander Gauland in Richtung Angela Merkel nach der letzten Bundestagswahl hat mit der ausländerfeindlichen Menschenjagd in Chemniz eine weitere Bedeutung erhalten. Dass ein Zusammenhang zwischen den „Brand-Sätzen“ der Spitzenfunktionäre der „Alternative für Deutschland“ und rechter Gewalt bestehe, daran ließ der Hamburger Soziologe und Faschismusforscher Anton Rühle, zu Gast beim Linken Forum Paderborn, keinen Zweifel. Seinen detailierten Ausführungen zur Parteien- und Ideologiegeschichte der AfD folgte ein zahlreiches, zum guten Teil junges Publikum in der Cafetería der Kulturwerkstatt.
„Während in der Gründerzeit der AfD der völkische Rassismus noch keine nennenswerte Rolle spielte, trat dieser mit dem so genannten Erfurter Programm im März 2015 immer mehr in den Vordergrund“, analysierte Rühle die Entwicklungsrichtung der Partei. Von einem Verbund „neoliberaler Hardliner“ um den Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke habe sich die Partei spätestens nach dem Rücktritt der Karrierefrau Frauke Petry vom Parteivorsitz zu einer ultranationalistischen und fremdenfeindlichen Gruppierung gewandelt. „Die Idee einer ‚Rettung der deutschen Nation‘, wie sie der Höcke-Flügel vertritt, ist verbunden mit einer dezidiert ausländerfeindlichen Haltung“, so Rühle. Überfremdungsängste, besonders in Regionen, in denen kaum „Fremde“ lebten, würden gezielt ideologisch ausgenutzt.
Am Beispiel des Politikwissenschaftlers Jörg Meuthen, seit 2015 einer der Bundessprecher der Partei, verdeutlichte Rühle die dramatische Rechtsentwicklung. Meuthen habe zur Zeit der Parteigründung 2013 zunächst die Lucke-Strömung repräsentiert und gegen Fremdenhass und Antisemitismus eindeutig Stellung bezogen. „Heute toleriert Meuthen Positionen der völkischen Rechten in der Partei“, so Rühle. Beim so genannten „Kyffhäuser Treffen“, einem Vernetzungsforum der „Neuen Rechten“, trete Meuthen mittlerweile gemeinsam mit dem in der rechten Szene einschlägig bekannten Aktivisten und Publizisten Götz Kubischek auf. Zudem unterstüze Meuthen eine starke Anbindung seiner Partei an die offen islam- und fremdenfeindliche Organisation „Pegida“.
Rühle fragte, worin sich die Ideologie der „Neuen Rechten“ vom historischen Nationalsozialismus unterscheide. Vordenker der „Neuen Rechten“ wie Alain de Benoist und Armin Mohler hätten seinerzeit den Bruch mit dem faschistischen Vernichtungsrassismus proklamiert und an seine Stelle den harmloser klingenden Begriff des „Ethnopluralismus“ gesetzt. „Die Betonung kultureller Unterschiede schließt in dieser Sicht jede rassische Vermischung, die zwangsläufig ins Chaos führt, aus“, so Rühle. Multikulturalismus sei der erklärte Feind und Werte würden nach dieser Ideologie niemals universell gelten. Götz Kubitschek begreife seine Publizistik, die über diverse Medien tief in AfD-Kreise ihre Wirkung entfalte, als in dieser Traditionslinie stehend.
Rühle zitierte in diesem Zusammenhang den Historiker und Oxford-Professor Roger Griffin, der eine Begriffsbestimmung des Faschismus‘ versucht habe: Faschistisches Gedankengut sei danach gekennzeichnet durch einen radikalen Nationalismus, verbunden mit der Idee einer „mythischen Wiedergeburt der Nation“. Er bediene sich populistischer Stilmittel und einer pseudoreligiösen Sakralität. „Argumente versagen bei Menschen mit solch einem geschlossenen Weltbild“, betonte der Soziologe. Es komme darauf an, den Funktionären der AfD und neurechten Aktivisten die Resonanzräume zu entziehen und der Selbststilisierung als „Opfer“ entgegenzuwirken, auch mit Mitteln des zivilen Ungehorsams. Solcher Strategie mochten viele im Publikum beipflichten.
Carsten Schmitt