Diese absolut empfehlenswerte Publikation ist anlässlich der Veranstaltung «Wiedersehen in TUNIX! Eine Revision der Berliner Projektekultur», die Anfang Dezember 2018 stattfand, erschienen (mehr). Sie versucht, neben einer historischen Rückschau die Vorstellung, und auch die Praxis des «Projektes» angesichts der heutigen gesellschaftlichen Zustände kritisch zu reflektieren.
Vom 27. bis 29. Januar 1978, zehn Jahre nach «1968» und vier Monate nach der Repressionswelle des Deutschen Herbstes, treffen sich über 20.000 (!!) undogmatische Linke auf dem legendären Tunix-Kongress an der Technischen Universität in West-Berlin. Sie sind der Einladung zu einem «Treffen all derer, denen es stinkt in diesem, unserem Lande», gefolgt – gemäß der Parole: «Wir hauen alle ab! Zum Strand von TUNIX!». In einer Atmosphäre von Diskussion, Aktion und Party finden lebhafte Debatten statt, u.a. zu alternativer Energiegewinnung, selbstverwalteten Jugendzentren, Neonazis in der Bundesrepublik, Feminismus und Ökologie, ‚neuer‘ Theorie aus Frankreich (wie Foucault oder Guattari), zum Überleben im Stadtteil, zu linken Buchhandlungen und Kneipen.
Das Treffen in Berlin war ein Nährboden für neue Projektformen, hier verstetigt sich die Kritik an linken patriarchalen Politikmodellen. Es wird die Abkehr von einem Politikmodell, das die Veränderung auf den Zeitraum nach der Revolution verschiebt, gefordert. Nun geht es um erreichbare Ziele, und eine Emanzipation im Alltag, durchaus in revolutionärer Absicht. Der Begriff des Projekts steht dabei für Vernetzung, Beweglichkeit und Selbstbestimmung. Die emanzipatorischen Ansätze umfassen die Kritik an den etablierten Institutionen, den Wunsch nach Befreiung aus den als eng empfundenen, eigenen politischen Strukturen und den Aufbau neuer Handlungs(spiel)räume gleichermaßen. In der Rückschau kann festgehalten werden, dass in den Jahren nach Tunix sowohl eine grüne Partei, aber auch die Autonomen entstehen, und im breiten Feld dazwischen die vielen Betriebe und Einrichtungen der alternativen und selbstverwalteten Ökonomien, die die Bundesrepublik bis heute mitprägen. Seither hat sich der Projektbegriff jedoch verändert – das «Projekt» selbst ist als Arbeits- und Organisationsform zum dominanten neoliberalen Leitbild geworden, das kritikwürdige prekäre Arbeitsverhältnisse mit einschließt.
Das Buch enthält Texte von u.a. Felix Klopotek/Ulrich Bröckling, Jana König, Sibylle Plogstedt, Sven Reichardt, Thomas Seibert und Michael Sontheimer. Neben den historischen Texten und faksimilierten Dokumenten ist die Stärke des Buches die theoretische Auslotung der widersprüchlichen Prozesse von Subjektivierung und Flexibilisierung von Arbeit - von 1978 bis heute.
Anina Falasca, Annette Maechtel, Heimo Lattner (Hrsg.): Wiedersehen in TUNIX! Ein Handbuch zur Berliner Projektekultur (Berliner Hefte zu Geschichte und Gegenwart der Stadt Nr. 7), Berlin 2018, ISBN 978-3-946674-06-1, 160 Seiten, 7 EUR; sowie ISBN 978-3-947295-23-4 (ePub), ISBN 978-3-947295-24-1 (PDF), je 3,99 EUR. Über Buchhandel oder www.berlinerhefte.de