Nachricht | Parteien / Wahlanalysen - Europa - Osteuropa - Südosteuropa - Europa links Die slowenische Linke aufbauen

Interview mit Luka Mesec über die Erfolge und Herausforderungen in Osteuropas vielversprechendster linker Partei

Information

Autor

Luka Mesec,

Luka Mesec ist Koordinator (Vorsitzender) der Partei Levica (Die Linke) in Slowenien. Die Partei wurde erst im Sommer 2017 gegründet und geht hervor aus einem seit 2014 im slowenischen Parlament vertretenen Wahlbündnis drei linker Parteien. Bei den Parlamentswahlen im Sommer 2018 konnte Levica über neun Prozent der Stimmen für sich gewinnen und toleriert seit dem Herbst 2018 die liberale Regierungskoalition. Damit gehört sie zu den wenigen neuen linken Parteien in Zentral- und Osteuropa, die in Wahlen erfolgreich sind. Im Gespräch mit Wenke Christoph von der Rosa-Luxemburg-Stiftung berichtet Luka Mesec davon, mit welchen Politikentwürfen das gelungen ist und mit welchen Herausforderungen und Chancen etwa die Tolerierung der Regierung und der Aufbau lokaler Strukturen verbunden sind.
 

Wenke Christoph: Bei den Wahlen in Slowenien vom Juni 2018 konnte Levica Wahlgewinne vermelden und ist damit in Südosteuropa das bisher einzige demokratisch-sozialistische Parteienprojekt, das solche Wahlerfolge feiern kann. Zugleich haben acht weitere Parteien den Einzug ins 90-köpfige Parlament geschafft. Wahlgewinner ist die rechtspopulistische Slowenische Demokratische Partei (SDS) von Janez Janša. Reiht sich Slowenien damit in die Liste der Länder ein, in denen die Rechtspopulisten auf dem Siegeszug sind?

Luka Mesec: Was Levica angeht haben wir unser Ergebnis von sechs Prozent 2014 auf neun Prozent bei den letzten Wahlen deutlich verbessern können. Für unsere Partei sitzen jetzt neun Abgeordnete im Parlament. Erstmals ist es uns sogar gelungen, in einigen Wahlkreisen in größeren Städten wie Ljubljana und Koper die meisten Stimmen zu gewinnen.

Die meisten Stimmen und Wahlkreise konnte allerdings Janez Janšas SDS verbuchen. Die SDS kann man sich als slowenisches Äquivalent zu Orbans Partei Fidesz vorstellen. Vor einem Jahrzehnt gehörte sie noch zu den Mitte-Rechts-Parteien, inzwischen ist sie immer mehr in Richtung der radikalen Rechten abgeglitten. Ihre Alleinstellungsmerkmale: Angst schüren vor Migrant*innen, Nationalismus und Antikommunismus – damit haben sie 25 Prozent der Stimmen gewonnen. Andererseits kann dieses Ergebnis nicht so einfach herhalten für die These eines Rechtsrucks in Slowenien. Nach den Wahlen fand sich die SDS nämlich in der politischen Isolation wieder. Nur zwei weitere im Parlament vertretene Parteien waren bereit mit ihr zu koalieren: die nationalistische Slowenische Nationalpartei (SNS) und die neoliberale Partei Neues Slowenien (NSI).

Das Ergebnis der Parlamentswahlen von 2018 war also einigermaßen paradox: Relativer Gewinner war die radikale Rechte, die Koalitionsbildung verschob die Kräfteverhältnisse aber nach links.

Die liberalen und Zentrumsparteien hatten schon vor der Wahl eine Koalition mit Janša ausgeschlossen. Vier Parteien haben eine Minderheitsregierung gebildet und mit Levica einen Kooperations- bzw. Tolerierungsvertrag ausgehandelt. Wie wurde diese Tolerierung innerhalb von Levica diskutiert?

Das liberale Zentrum ist extrem fragmentiert. Die stärkste Partei unter ihnen – die Partei von Marjan Šarec (LMŠ) – gewann bei den Wahlen lediglich 13 Prozent der Stimmen. Daher war selbst eine Koalition von fünf liberalen Parteien nicht ausreichend, um eine Mehrheitsregierung zu bilden, und sie mussten sich anderswo um Unterstützung bemühen. Eine Zusammenarbeit mit der SDS oder SNS wäre für sie selbstmörderisch, aufgrund deren aggressiver rechter Rhetorik. Also beschlossen sie, mit der NSI und Levica Gespräche über eine mögliche Zusammenarbeit zu führen. Zunächst wollten sie eine Koalition mit der NSI bilden und verhandelten über einen Monat mit der Partei, aber die NSI beschloss letztlich, keine Koalitionsvereinbarung zu unterzeichnen.

Daher lag es an Levica zu entscheiden: die liberale Koalition unterstützen oder das Risiko eingehen, dass es der SDS doch noch gelingt, eine rechte Koalition zu bilden? Unter diesen Vorzeichen haben wir die Verhandlungen aufgenommen. Der Termin für die Wahl des Premierministers drängte und wir hatten weniger als eine Woche Zeit, um mit den anderen vier Parteien einen neuen Koalitionsvertrag zu schmieden. Trotz intensiven Verhandlungen reichten aber die Übereinstimmungen mit den anderen Parteien nicht aus, um in die Koalition einzutreten. Dissens gab es etwa in der Außenpolitik, bei den Verteidigungsausgaben, einigen innenpolitischen Fragen. Es ist uns aber gelungen, eine ganze Reihe progressiver Vorschläge einzubringen und durchzusetzen: Zum Beispiel die Erhöhung des Mindestlohns, die Beendigung von Kürzungsmaßnahmen im Sozialbereich, die Erhöhung der Renten, Maßnahmen gegen Prekarisierung, eine neue öffentliche Wohnungspolitik, eine progressivere Besteuerung.

Deshalb haben wir der Vierparteienkoalition von Marjan Šarec unsere Kooperation angeboten, aber nicht als Koalitionspartner, sondern als Tolerierungspartner einer Minderheitsregierung. Die Koalition war zunächst etwas zurückhaltend gegenüber der Idee, aber am Ende stimmten sie zu.

Meines Wissens wurde der Kooperationsvertrag allerdings nicht unterzeichnet aufgrund von Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf Personalentscheidungen des Premierministers. Auf welcher Grundlage und unter welchen Bedingungen arbeitet Levica mit der Regierung zusammen?

Ja, das stimmt. Die Zusammenarbeit mit der Regierung Šarec war bereits vom ersten Tag an gestört. Das Problem war seine Ernennung von Damir Črnčec (einem ehemaligen Mitarbeiter von Janez Janša mit einer langen Geschichte rassistischer Kommentare auf Twitter) zu einem seiner engsten Berater im Büro des Premierministers. Als Reaktion darauf haben wir die geplante Unterzeichnung des Vertrags abgesagt und gefordert, diese Personalentscheidung rückgängig zu machen. Das ist allerdings nicht geschehen, so dass der Vertrag bisher nicht unterzeichnet wurde.

Wir haben jedoch eine semiformale Kooperation mit der Koalition etabliert und in den letzten sechs Monaten schon drei wichtige Reformen durchsetzen können. Erstens wurde im Parlament ein neues Gesetz über den Mindestlohn verabschiedet, mit dem der Mindestlohn auf 700 Euro angehoben wird. Zweitens wurden alle Kürzungen von Sozialtransfers, die im Rahmen der Krisenpolitik eingeführt wurden, beendet. Und drittens hat die Regierung die Tarifverhandlungen mit den Beschäftigten des öffentlichen Sektors abgeschlossen und die Löhne und Gehälter deutlich erhöht.

Welche Gefahren, aber auch Chancen siehst du strategisch für die Zusammenarbeit von Levica mit der Regierung? Für linke Parteien ist die Regierungsbeteiligung oder Tolerierung ja ein oft kontroverses Thema. Welchen strategischen Ansatz verfolgt Levica in dieser Frage?

Die Gefahr besteht darin, dass die Zusammenarbeit mit der Regierung uns in Bürokratie und endlosen Verhandlungen versinken lässt. Die Herausforderung ist zudem, wie wir uns als Partei von der Regierung und insbesondere von den Sozialdemokraten unterscheiden und erkennbar bleiben. Wir befinden uns durch die Tolerierung in einer Art Nichtangriffspakt mit den Sozialdemokraten, so dass unsere Möglichkeiten öffentlicher Auseinandersetzung und Kritik begrenzt sind.

Auf der anderen Seite liegen die Chancen vor allem in der Möglichkeit der Durchsetzung unserer Politikvorstellungen. Wir arbeiten nun an einer neuen Vereinbarung mit der Regierung für das Jahr 2019, in der Maßnahmen gegen Prekarisierung, eine neue öffentliche Wohnungspolitik, höhere Steuern auf Kapitaleinkommen enthalten sein sollen. Darüber hinaus denken wir über die Förderung von Arbeitnehmerkooperativen, Umweltfragen und Tierschutz nach. Ich sehe erhebliches Potenzial, unsere Wähler*innenbasis mit solchen Politiken zu erweitern.

Lass uns auch zwei weitere Ebenen der Politik besprechen: Erstens, die kommunale Ebene und die Kommunalwahlen, die Ende letzten Jahres stattfanden. Betrachtet man die Gesamtergebnisse, so hat Levica auf kommunaler Ebene nicht so gut abgeschnitten - vielleicht mit Ausnahme von 8,5 Prozent der Stimmen in Ljubljana. Hat Levica Schwierigkeiten, lokale Strukturen und Unterstützung über die urbanen Zentren etwa von Ljubljana hinaus zu entwickeln?

Das Hauptproblem ist, dass wir die letzten vier Jahre im Wesentlichen damit verbracht haben, unsere junge Partei zu konsolidieren. Wir sind 2014 als Bündnis von drei kleinen Parteien in das Parlament eingezogen. Auf diesen Durchbruch folgten drei Jahre der Spaltungen und Konflikte innerhalb des Bündnisses. Erst im Sommer 2017 ist es uns endlich gelungen, uns zu einer Partei, Levica, zusammenzuschließen.

Infolgedessen wird Levica zwar in der nationalen Öffentlichkeit breit wahrgenommen und anerkannt – vor allem aufgrund der parlamentarischen Arbeit der Fraktion in der letzten Wahlperiode. Zugleich haben wir aber eine schwache lokale Basis – weil die langwierigen Prozesse zur Parteifusion einfach viel Zeit und Kraft gefressen haben. Wir sind uns der Schwächen in der Fläche. Unser Hauptziel ist es jetzt ganz klar, mehr Mitglieder zu gewinnen und auf der lokalen Ebene bessere und nachhaltige Strukturen aufzubauen.

Bei den Kommunalwahlen waren in zwei Städten, Nova Gorica und Hrastnik, allerdings auch Bürgermeisterkandidaten, die über lokale progressive Wahlplattformen antraten, erfolgreich. Einer von beiden, Klemen Miklavič, der Bürgermeister von Nova Gorica, ist Mitglied unserer Partei. Marko Funkl in Hrastnik steht uns politisch nahe. In beiden Städten sehe ich vor allem Potenzial darin, transformative Experimente zu starten, etwa in Bezug auf Bürgerhaushalte oder Wohnungsgenossenschaften.

Die Europäische Linke hat Violeta Tomić von Levica zu einer der beiden Spitzenkandidat*innen für die Europawahlen im Mai 2019 gekürt. Mit welchen europapolitischen Schwerpunkten wird sie sich einbringen und auf welche Fragen müssen linke Parteien in Europa heute eine Antwort finden?

Aus unserer Sicht geht es um drei Schlüsselthemen. Zum einen die Demokratie: Wir brauchen demokratischere und inklusivere Entscheidungsmechanismen in der EU. Derzeit werden die Bürger*innen nur bei eigentlich unwichtigen Fragen wie der Zeitumstellung nach ihrer Meinung gefragt. Aber niemand hat die Bürger*innen gefragt, ob sie den Weg der Austeritätspolitik oder den einer gemeinsamen Bearbeitung der europäischen Finanzkrise wünschen. Die Bürger*innen müssen ein Mitspracherecht haben.

Die zweite Herausforderung besteht darin, die Prioritäten der EU umzukehren. Aktuell haben wir eine Union, die auf Binnenmarkt und Fiskalregeln aufbaut. Eine solche Union fordert die Mitgliedstaaten auf, ihre Haushaltsvorschriften um jeden Preis einzuhalten. Ihr ist es gleichzeitig völlig gleichgültig, wenn das zu einem Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit um 30 Prozent führt, wenn alte Menschen wegen Rentenkürzungen hungern oder wenn das Gesundheitssystem eines Landes zusammenbricht. Eine Union, die ihre Bürger*innen so schlecht behandelt, ist untragbar! Die EU sollte genau das Gegenteil sein: Sie sollte das Gemeinwohl und soziale Mindeststandards durchsetzen und nicht blutige Fiskalvorschriften.

Und unsere dritte Priorität ist ein europäischer Green Deal. Wir brauchen ein Investitionsprogramm, das eine gesamteuropäische ökologische Transformation anstößt. Die EU sollte den Aufbau eines europäischen Hochgeschwindigkeitsbahnnetzes und nachhaltiger Verkehrsmittel im Allgemeinen finanzieren. Sie sollte massiv in grüne und kohlenstofffreie Technologien investieren und die Verbreitung solcher Technologien subventionieren. Sie sollte eine globale Führungsrolle im Kampf gegen den Klimawandel übernehmen.

Was wir brauchen ist ein Europa, das aufhört, uns mit Fiskalregeln zu knebeln, und stattdessen die Verbesserung der Lebensqualität und die Erhaltung unseres Planeten für die kommenden Generationen angeht.