Nach einem schrillen Wahlkampf steht fest: Das rechtsnationalistische Lager konnte seine Mehrheit verteidigen, und Premierminister Benjamin Netanjahu wird weiter die Regierung führen können. Bestätigt wurde damit auch der weitere Abbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die Ausweitung jüdischer Vorrechte innerhalb Israels und in den besetzten Palästinensergebieten – und damit ein klares Nein zur Zweistaatenlösung, und im Schatten dieser ethnonationalistischen, illiberalen Zuschreibungen ein Weiter-so einer harschen neoliberalen und Austeritätspolitik.
Mit 65 zu 55, nach 67 zu 53 bei den letzten Wahlen, bleiben Koalitions- und Oppositionslager insgesamt fast gleich groß. Innerhalb beider Lager gab es jedoch beträchtliche Bewegung. Im rechten konnte Likud mithilfe eines fulminanten Endspurts des Wahlkampfgenies Netanjahu auf Kosten seiner rechtsradikalen Bündnispartner 36 (2015: 30) Sitze erringen. Während die anderen Rechtsaußenparteien folglich Federn lassen mussten, hat es die offen rassistische «Union der rechten Parteien» in die Knesset geschafft. Sie steht für die Annexion der Westbank, die ‹Unterstützung› der Auswanderung von Palästinenser*innen und die ‹Wiederaneignung› des Tempelbergs und spielt mit der Idee des Aufbaus des dritten Tempels.
Eine verwandelte Opposition
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums kam es zu einer dramatischeren Verschiebung. Mit sechs Sitzen stürzte die Arbeitspartei, die über Jahrzehnte die Geschicke der israelischen Politik bestimmt hatten, ab – trotz aller Zugeständnisse an den herrschenden nationalistischen Hegemonialdiskurs. Damit erreichten die Sozialdemokraten das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte.
Hauptopposition ist ab sofort die neugegründete Liste Blau-Weiß, die auf Anhieb 35 Mandate gewinnen konnte, von denen fünf von Generälen besetzt werden. Ihr gemeinsamer Nenner war die Abwahl Netanjahus, und in ihren Reihen befinden sich Arbeitspartei-nahe Politiker*innen neben ausgesprochen rechten Politiker*innen wie der ehemalige Likud-Verteidigungsminister Mosche Jaalon oder Annexionsunterstützer Yoaz Händel. Die Liste wird von Benjamin «Benny» Gantz geführt, der sich im Wahlkampf damit brüstete, blutiger gegen den abgeriegelten Gazastreifen vorgegangen zu sein als Netanjahu, als er Generalstabschef war und versprochen hatte, sich nicht aus dem Jordantal und Ostjerusalem zurückzuziehen, was de facto eine Absage an einen lebensfähigen Palästinenserstaat darstellt.
Die linke Meretz, die für einen historischen Kompromiss mit den Palästinenser*innen, soziale Gerechtigkeit und eine progressive Geschlechter-, Verkehrs- und Umweltpolitik steht, konnte zwar keine neuen jüdischen Öffentlichkeiten jenseits ihrer schwindenden europäisch-stämmigen bildungsbürgerlichen Stammwähler*innen in den Kibbuzim oder im wohlhabenden Norden Tel Avivs gewinnen. Doch Stimmengewinne bei der palästinensischen Minderheit verhalfen ihr dazu, vier (2015: fünf) Sitze zu erringen.
Möglich war dies auch, weil sich die Gemeinsame Liste abgespalten hatte, ein Zusammenschluss der Parteien, die die palästinensischen Staatsbürger*innen Israels vertreten, ungeachtet sehr unterschiedlicher politischer Positionen – von sozialistischen über liberale bis zu islamisch-konservativen. 2015 wurde sie mit 13 Sitzen die drittgrößte Knesset-Fraktion. Die zwei getrennten Listen, die jetzt zur Wahl standen, erreichten gemeinsam beträchtlich weniger Stimmen als 2015. Während die Liste, an der die sozialistische Chadasch/Al-Dschabha, politische Heimat von Tausenden jüdischen Wähler*innen und vor allem radikalen anti- und nicht zionistischen Linken, maßgeblich beteiligt ist, sechs Sitze errang, erreichte die zweite Liste lediglich vier. Hauptursache hierfür war ein dramatischer Rückgang der Wahlbeteiligung um mehr als zehn auf etwa 50 Prozent. Zu Wahlenthaltung und -boykott führte nicht nur die Enttäuschung über das Ende der Gemeinsamen Liste, sondern im stärkeren Maß das Gefühl der Ohnmacht und der Hoffnungslosigkeit unter den palästinensischen Staatsbürger*innen in Israel. Diese mussten nicht nur zusehen, wie die Gemeinsame Liste während der auslaufenden Legislaturperiode aus dem politischen Spiel ausgeschlossen wurde, sondern auch noch während des Wahlkampfs erleben, wie das rechte Lager gegen sie hetzt, während Blau-Weiß sie als Aussätzige behandelte und jede Zusammenarbeit ausschloss. Dies alles kulminierte in einer besonders perfiden Likud-Kampagne am Wahltag, als 1.300 Kameras und Aufnahmegeräte in arabischen Wahllokalen platziert wurden, was fatal an Methoden erinnert, mit denen Afroamerikaner*innen an der Wahrnehmung ihres Wahlrechts gehindert werden sollten.
Aussichten
Netanjahu hat es also wieder geschafft. Ein Ziel der Koalitionsverhandlungen wird gewiss ein Immunitätsgesetz sein, das ihn vor den drohenden Anklagen in mehreren Korruptionsfällen schützt. Die Kosten hierfür könnten hoch sein: Die Rechtsextremen, aber auch eine Mehrheit im Likud möchten ein mögliches Annexionsgesetz vereinbaren. Sie können sich dabei auf Netanjahu beziehen, der im Wahlkampf versprochen hatte, die israelischen Siedlungen im Westjordanland zu annektieren.
Diese Wahlen geben mehr als lediglich eine Ahnung, wohin der Weg führt: Es wird keinen Staat Palästina geben. In der besetzten Westbank werden zwei unterschiedliche Rechtssysteme ausgebaut, eins für jüdische Siedler*innen, eins für Palästinenser*innen. Die Vorrechte der jüdischen Bevölkerung sollen ausgeweitet werden zuungunsten der Palästinenser*innen, die in Israel Bürger*innen zweiter Klasse bleiben und in den besetzten Gebieten in dichtgedrängten Enklaven eingepfercht und ohne Staatsbürgerschaft ihr Elend in «autonomen» Gebieten werden verwalten dürfen. Internationaler Widerstand: Fehlanzeige. Schon sickern Details aus Trumps «Jahrhundertdeal» durch, die in eine ähnliche Richtung gehen.
Um das Rad herumzureißen, muss die israelische Opposition wahrnehmen, dass sie nur dann erfolgreich sein wird, wenn sie die Anbiederung an die rechtsnationalistische Hegemonie durch die Aufstellung einer echten Alternative samt einer echten Partnerschaft mit den Palästinenser*innen ersetzt. Um sie dabei zu ermächtigen, bedarf es mehr Solidarität und einer klaren Positionierung seitens des progressiven Lagers weltweit – auch bei uns in der Bundesrepublik.