Nachricht | Golfstaaten - Israel - Palästina / Jordanien - Krieg in Israel/Palästina Katar und der Gaza-Krieg

Der Golfstaat muss seine Beziehungen zur Hamas überprüfen, um seinen Einfluss als regionaler Netzwerker und Vermittler zu wahren

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Der palästinensische Premierminister Mohammed Ishtayeh beim 21. Doha-Forum in Doha, Katar, 10.12.2023. Motto: «Building Shared Futures»
Katar versteht sich als einflussreiche, neutrale Mittelmacht der internationalen Politik, dessen Selbstbewusstsein und Selbständigkeit in einer multipolaren Weltordnung gewachsen ist. Der palästinensische Premierminister Mohammed Ishtayeh beim 21. Doha-Forum in Doha, Katar, 10.12.2023. Motto: «Building Shared Futures», Foto: IMAGO / APAimages

Die aktuelle massive Eskalation von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen in Westasien hat Katar wieder ins internationale Scheinwerferlicht gerückt. Das kleine Emirat verfügt seit spätestens 2012 über enge Beziehungen zur palästinensischen Hamas; seit 2017 lebt der Anführer der Hamas-Auslandsfraktion Ismail Haniyeh in der Hauptstadt Doha. Bereits 2006 vermittelte Katar – allerdings erfolglos – zwischen Hamas und Fatah. 2009 sowie 2014 fungierte Doha erneut als Mediator im Nahostkonflikt. So konnte Katar diese Netzwerke nutzen, um sich als effizienter Vermittler bei der Freilassung einiger von der Hamas im Oktober 2023 entführten Geiseln zu präsentieren. Dafür richtet Katar regelmäßige Verhandlungsrunden in Doha aus, an denen u.a. der Direktor des israelischen Geheimdienstes Mossad, David Barnea, sowie sein US-Amtskollege, CIA-Chef William Burns, teilnehmen. Viele Vertreter*innen der internationalen Gemeinschaft wie US-Präsident Joe Biden oder die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock dankten Katar für das konstruktive Engagement bei den Verhandlungen zwischen Hamas und Israel. Weiterhin setzt sich Katar seit Beginn des Gaza-Krieges für eine diplomatische Lösung ein und fordert die Zwei-Staaten-Lösung: «Das Gesamtbild, einschließlich der Aufforderung an die internationale Gemeinschaft, Israel zu einem zeitnahen und unumkehrbaren Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung zu bewegen, kann nicht ignoriert werden», betonte der katarische Emir Tamim bin Hamad Al Thani.

Dr. Sebastian Sons ist promovierter Islamwissenschaftler und arbeitet am Forschungsinstitut CARPO zu den arabischen Golfmonarchien. Sein aktuelles Buch «Die neuen Herrscher am Golf und ihr Streben nach globalem Einfluss» ist 2023 im Dietz-Verlag erschienen.

Katars unverzichtbare Netzwerke

Keinem anderen regionalen Akteur ist es in den letzten Jahren besser gelungen, sich über die Kommunikationskanäle zu Gruppen wie der Hamas oder auch den afghanischen Taliban für die internationale Gemeinschaft unersetzlich zu machen. Diese Netzwerke sind integraler Bestandteil der katarischen Strategie, Gesprächskanäle zu «Schmuddelkindern» wie der Hamas zu unterhalten, mit denen es andere Akteure der internationalen Politik ablehnen, direkt zu verhandeln, um Lösungen zu finden. Katar hat es in den letzten Jahrzehnten perfektioniert, als Mediator, Vermittler und Plattform zu fungieren und sich mit «hyperaktiver Diplomatie» als Krisenmanager einen guten Ruf zu erarbeiten.

Dies zeigten u.a. die Verhandlungen zwischen den USA und den afghanischen Taliban, die 2020 in Doha stattfanden. Nach dem Rückzug der USA und der anderen Alliierten aus Afghanistan 2021 hatte Katar 58.000 Geflüchteten die Möglichkeit geboten, das Land nach der Machtübernahme der Taliban zu verlassen und die notwendige Unterstützung zur Verfügung gestellt. Bereits 2012 hatten die Taliban ein Verbindungsbüro in Doha eröffnet. In weiteren Konflikten wie im Libanon 2008 oder zwischen Sudan und Eritrea verhandelte Katar diplomatische Annäherungen und kultivierte das Image eines ehrlichen Maklers. Im August 2022 kam mit tatkräftiger Unterstützung Katars die Verhandlungslösung zwischen dem militärischen Übergangsrat und 40 Oppositionsparteien im Tschad zustande. Gegenüber Israel verfolgte Katar in den vergangenen Jahren eine Politik, die von offener Ablehnung einer möglichen Normalisierung bei gleichzeitigem Interesse an einer pragmatisch-informellen Zusammenarbeit geprägt ist. 1996 eröffnete Israel sogar eine Handelsmission in Katar – erste Etappen auf dem Weg zu einer konzilianteren Israel-Politik in den Golfstaaten. Im Anschluss kühlten sich die katarisch-israelischen Beziehungen jedoch ab und führten zur Schließung des Büros nach der israelischen Blockade des Gaza-Streifens ab 2007. Doha blieb auch im Zuge der Normalisierungsabkommen zwischen Israel auf der einen sowie den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Bahrain auf der anderen Seite 2020 eher ein skeptischer Beobachter.

Unabhängigkeit und Schutz durch Beziehungen zu allen Parteien

Katar versteht sich somit trotz seiner geringen demographischen Größe als einflussreiche Mittelmacht der internationalen Politik, dessen Selbstbewusstsein und Selbständigkeit in einer multipolaren Weltordnung weiter gewachsen ist. Als Akteur, der zu allen Parteien – Iran und den USA, Hamas und den Taliban, China und Europa – enge politische und teilweise wirtschaftliche Beziehungen unterhält, versucht es, in einer Welt der Krisen externe Bedrohungen abzuwehren und «Mono-Abhängigkeiten» von wenigen Partnern zu vermeiden. Diese «Politik der pragmatischen Zurückhaltung» ist traditionell auch als Schutzschild in einer fragilen Region zu betrachten, in der Katar immer wieder von regionalen Rivalen bedroht wird.

Das zeigte nicht zuletzt die sogenannte «Golf-Krise» von 2017 bis 2021, in der das «Blockadequartett» Saudi-Arabien, die VAE, Bahrain und Ägypten das im Zuge der «Arabischen Aufstände» 2010/2011 zu einflussreich und mächtig gewordene Katar isolierte. Aus dieser prekären Situation konnte sich Katar erfolgreich befreien, ohne die historische Anbindung an die USA aufzugeben. Mit der Türkei wurden Verträge geschlossen, um die Nahrungsmittelversorgung sicherzustellen, während gleichzeitig 5.000 türkische Soldaten in Katar stationiert wurden. Iran öffnete seinen Luftraum für katarische Flugzeuge. Internationale Partner aus Europa und den USA sahen die Blockade als geschäftsschädigendes Abenteuer und hielten an den Beziehungen mit Katar fest.

Bereits 2003 gelang es dem damaligen Emir Hamad, die US-Regierung davon zu überzeugen, ihren wichtigsten Truppenstützpunkt aus Saudi-Arabien ins katarische Al Udaid zu verlegen – ein Prestigeerfolg für das kleine Katar. 2022 wurde Katar von den USA zum wichtigen Nicht-Mitglied der NATO ernannt. Außerdem unterstützte Katar die USA mit mehr als 8 Mrd. USD für militärische Einsätze in Afghanistan, Irak und Syrien zwischen 2002 und 2019. Gleichzeitig unterhält Katar trotz seiner pro-westlichen Anbindung pragmatische Beziehungen zu Iran, was erneut als Ausdruck der katarischen Balancepolitik gewertet werden kann. Immerhin teilen sich beide Staaten ein gemeinsames Gasfeld. Daneben bestehen enge Wirtschaftsbeziehungen zu China sowie zu anderen asiatischen Ländern. So befinden sich die sechs wichtigsten Abnehmerländer katarischer Güter in Asien (Japan: 18,6%, Südkorea: 15,6%, China: 12,4%, Indien: 12,2%, Singapur: 7,6%, Thailand: 3,9%). Vor diesem Hintergrund setzt das Engagement im Gaza-Krieg den traditionellen Kurs Katars in der internationalen Diplomatie fort.

Umstrittene Finanzhilfen nach Gaza

Dieses Vorgehen birgt aber auch Risiken: So wird geschätzt, dass Katar seit 2007 etwa 2 Milliarden US-Dollar an finanzieller Unterstützung bzw. 30 Millionen US-Dollar pro Jahr für die Bezahlung von Gehältern in Gaza geleistet haben soll, davon der Hauptteil an die Hamas. Unter anderem in Israel wird Katar deshalb als Förderer des Terrorismus kritisiert. Katarische Vertreter verneinen jedoch eine explizite Unterstützung der Hamas und betonen, dass ihr Engagement in Gaza stets mit den USA abgestimmt war und von Israel kontrolliert wurde.

Nach Beginn des Krieges fließt aus Katar u.a. in Abstimmung mit Frankreich weiter humanitäre Hilfe nach Gaza. Damit möchte die katarische Führung nicht nur Solidarität mit den palästinensischen Opfern des Krieges zeigen, sondern auch ein Zeichen an die internationale Gemeinschaft senden, weiterhin ein verlässlicher Partner zu sein. Insbesondere katarische Hilfsorganisationen haben in den letzten Jahren regelmäßig Projekte vor allem in Gaza implementiert. Dazu gehörten u.a. Qatar Charity oder die philanthropische Wohlfahrtsorganisation Education Above All (EAA), die von der Mutter des jetzigen Emirs Sheikha Mossa al-Misnad geleitet wird. Zwar kam es insbesondere gegenüber Qatar Charity immer wieder zu Vorwürfen, islamistische Gruppierungen zu unterstützen. Das hielt die UN und andere nationale Hilfsorganisationen allerdings nicht von einer Zusammenarbeit ab. EAA engagiert sich insbesondere mit ihrem 2009 gegründeten Programm Al Fakhoora für junge Menschen in Gaza, bietet Online-Trainings und Stipendienformate an und kooperiert mit dem UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA). 2022 unterstützte Katar die UNRWA mit insgesamt 10,5 Millionen US-Dollar und lag damit auf Platz 20 aller internationalen Unterstützer. Saudi-Arabien als weitere Golfmonarchien rangierten mit 27 Millionen US-Dollar auf Platz 3 und Kuwait mit 12 Millionen US-Dollar auf Platz 19. Im März sagte Katar Hilfsleistungen in Höhe von 25 Millionen US-Dollar an UNRWA zu.

Katar und die Nähe zur Hamas

Dennoch ist Katar aufgrund der Nähe zur Hamas in die internationale Kritik geraten. So wird der Führung um Emir Tamim bin Hamad Al Thani vorgeworfen, von den Angriffsplänen der Hamas im Vorfeld gewusst haben zu können. Auch dies wird von katarischen Offiziellen vehement bestritten. Weiterhin unterstützte Katar seit den «Arabischen Aufständen» 2010/2011 immer wieder islamistische Gruppierungen wie die Muslimbrüder in Ägypten, die Ennahda in Tunesien oder eben auch die Hamas. Zwar ist die ehemals ideologische Nähe einer nüchternen Kosten-Nutzen-Kalkulation gewichen. Dennoch fürchten einige Beobachter in informellen Gesprächen weiterhin eine versteckte Agenda Katars, um unter dem Deckmantel von humanitären Hilfsleistungen den Islamismus zu fördern. Während Katar auch trotz der Anschläge vom 7. Oktober die Hamas als notwendiges Übel betrachtet und möglicherweise in ihr auch einen politischen Akteur in einem Nachkriegs-Szenario sieht, lehnen die VAE eine solche Sichtweise strikt ab. In Abu Dhabi herrscht seinen vielen Jahren eine teilweise schon obsessive Sorge vor dem destabilisierenden Einfluss islamistischer Gruppierungen in der Region Westasiens. Katars Vorgehen wird deswegen mit einer gewissen Skepsis beäugt wird.

Krisendiplomatie mit Grenzen

Deswegen muss Katar abwägen, wie hoch der zu zahlende Preis für die eigene «Mit-jedem-reden»-Politik sein könnte: Die Kritik erhöht den Druck auf die Führung in Doha, ihre Beziehungen zur Hamas zu hinterfragen. Immerhin wird in Katar wie in anderen Golfstaaten daran gezweifelt, dass Israel die Hamas gänzlich zerschlagen kann. Dennoch wird es darauf ankommen, innerhalb der Golfstaaten eine geeinte Position zu finden. Bislang fungiert Katar eher als Helfer in der Not, konnte aber kaum Einfluss auf die Entwicklung langfristiger Lösungen nehmen. Zwar ist Doha in regelmäßigen Gesprächen mit den USA, mit Ägypten, Saudi-Arabien, Jordanien und den VAE beteiligt, um die katastrophale Situation in Gaza für die Zivilbevölkerung zu lindern und eine Deeskalation zu erreichen.

Katars große Stärke (und teilweise auch Schwäche) hierbei ist allerdings sein Alleinstellungsmerkmal, in Notlagen flexibel agieren und konkrete Ziele wie die Befreiung der Geiseln durch die perfektionierte Pendel- und Krisendiplomatie erreichen zu können. Dieses auf Geben und Nehmen beruhende Vorgehen stößt allerdings bei der Suche nach langfristigen Lösungen an Grenzen. Hierfür braucht es einen regionalen Ansatz, der vor allem vom Schwergewicht Saudi-Arabien entwickelt und moderiert werden muss. Erste Ansätze zu einem konzertierten golfarabischen Vorgehen existieren bereits: So wurde im März publik, dass der Golfkooperationsrat, zu dem neben Katar, Saudi-Arabien und den VAE auch Oman, Kuwait und Bahrain gehören, eine gemeinsame Vision für regionale Sicherheit erlassen hat. Darin wird auch explizit ausgeführt, eine gerechte Lösung für den Nahostkonflikt zu finden, die Zwei-Staaten-Lösung zu realisieren und einen palästinensischen Staat zu gründen. Grundlage dieser Forderung ist die von Saudi-Arabien im Jahr 2002 initiierte Arabische Friedensinitiative, die zeigt, über welchen Einfluss und Richtlinienkompetenz das Königreich für die golfarabische Konsensbildung verfügt.

Katar kann in einem solchen Vorgehen mit den eigenen Netzwerken unterstützen, diesen Prozess aber nicht dominieren. Stattdessen könnte Katar zukünftig als Plattform für Verhandlungen dienen und damit seinen Status als neutraler Vermittler, ähnlich der Schweiz, zementieren. Deswegen wird es Katar daran gelegen sein, auch nach dem Ende des Krieges seine Position als Mittler und Netzwerker zu bewahren, um damit die eigene Legitimation und den außenpolitischen Einfluss zu konsolidieren.