Die aktuelle «Corona-Krise» zwingt die Gesellschaft in relative Isolation. Das betrifft auch den kulturellen Sektor. So sollte in Berlin am 26. März 2020 ursprünglich die Hannah-Arendt-Ausstellung im Deutschen Historischen Museum (DHM) eröffnet werden, doch aufgrund der allgemeinen Einschränkungen des öffentlichen Lebens zum Schutz vor einer zu schnellen Verbreitung des pandemischen Virus war das nicht möglich. Praktischerweise hat das DHM durch sein Konzept «Lebendiges Museum Online (LeMO)» bereits reichlich Erfahrung auf dem Gebiet der Digitalisierung von Ausstellungskonzepten und transferierte die Eröffnung kurzerhand in einen Web-Launch.1 26 Bild- und 5 Audiodateien laden dazu ein, sich über Leben und Werk der Philosophin zumindest soweit zu informieren, dass man einen ersten Einblick in die kuratierte Ausstellung bekommen kann, die hoffentlich zu einem späteren Zeitpunkt doch noch gezeigt wird.
Riccardo Altieri ist Doktorand an der Universität Potsdam und Mitglied des Gesprächskreises Geschichteder Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Der israelische Journalist Amos Elon hat einmal sinngemäß gesagt, dass man das 20. Jahrhundert nicht ohne Hannah Arendt begreifen könne. Mit ihren beiden zentralen Theoremen zur «Banalität des Bösen» und der «totalen Herrschaft» wies sie ihren Standpunkt aus, wie «das Zeitalter der Extreme» (Eric Hobsbawm) zu deuten sei. Kennzeichnend war für beide Sichtweisen, dass sie stets großen Widerspruch hervorriefen. Bezeichnete sie mit der «Banalität des Bösen» den Habitus Adolf Eichmanns, den sie für «realitätsfern» und «schier gedankenlos» hielt,2 so lieferte sie mit ihrem Hauptwerk «Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft» (1955) eine der frühesten Grundlagen der Totalitarismusforschung. In Antisemitismus, Imperialismus und totaler Herrschaft sah sie Gemeinsamkeiten der nationalsozialistischen und der stalinistischen Diktatur. Dabei wäre es verkürzt, ihr hier ein Verhaften in der Hufeisen-Theorie vorzuwerfen, vielmehr liefert sie gewissermaßen die linken Gegenargumente für die Thesen Ernst Noltes, die zum sogenannten Historikerstreit geführt hatten.3 Hannah Arendt war demgegenüber in erster Linie Ideologiekritikerin. Dabei attestiert sie grundsätzlich jeder Weltanschauung, dass sie durch Korrumpierung in eine totalitäre Struktur entfremdet werden könne. Zum Zeitpunkt ihrer Aufzeichnung sei dies aber nur im Nationalsozialismus und im Stalinismus der Fall gewesen.4
Die Tafeln des Ausstellungsraumes versprechen interessante Einblicke in die Vita der jüdischen Philosophin, die aus Deutschland in die USA ausgewandert war und ihr Exil zu einer neuen Heimat werden ließ. Ein zentrales Element werden dann die Hörcollagen sein, die durch die Ausstellung begleiten. Sie wurden von rbbKultur realisiert und können auszugsweise online angehört werden. Dort geht es beispielsweise um Arendts Rahel-Varnhagen-Biographie und ihren Austausch mit Walter Benjamin darüber, aber auch um die «Eichmann-Kontroverse» oder die Studierendenproteste von 1968. Das Angebot des DHM auf seiner Website zur Hannah-Arendt-Ausstellung wird sukzessive aktualisiert und mit neuen Inhalten befüllt. Es lohnt sich also, immer wieder vorbeizuschauen, stets in der Hoffnung, dass die physische Ausstellung bald eröffnet werden kann. Und wem das zu lange dauert, dem sei der Film «Hannah Arendt. Ihr Denken veränderte die Welt» (2012) von Margarethe von Trotta mit Barbara Sukowa in der Hauptrolle ans Herz gelegt.
1 Vgl. Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert, in: Deutsches Historisches Museum, https://www.dhm.de/ausstellungen/hannah-arendt-und-das-20-jahrhundert.html, 27.03.2020.
2 Hannah Arendt, Vorrede, in: Dies., Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München/Zürich 2007, 2. Auflage [Erstauflage 1964], S. 49-68, hier S. 57. Vgl. ferner Marie Luise Knott, Verlernen. Denkwege bei Hannah Arendt, Berlin 2011, S. 13-35.
3 Vgl. Ernst Nolte, Der Faschismus in seiner Epoche, Action francaise – Italienischer Faschismus – Nationalsozialismus, München 1984.
4 Vgl. Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, München/Zürich 2008, 12. Auflage, S. 706.