Mitte März verhängte Ecuador drastische Maßnahmen, um die Verbreitung von COVID19 einzudämmen. Sie wurden seither mehrmals verschärft: komplette Grenzschließung, Telearbeit, in allen nicht lebenswichtigen Sektoren, Einkaufen nur an bestimmten Tagen, und inzwischen im ganzen Land komplette Ausgangssperre ab 14 Uhr. Das schwache Gesundheitssystem und die steigende Zahl der Infizierten machten die Maßnahmen dringend notwendig.
Ferdinand Muggenthaler leitet das Regionalbüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Quito.
Es ist zu früh, als dass die Maßnahmen Wirkung zeigen könnten: In diesen zwei Wochen ist die Zahl der Toten im Land von Null auf 60 gestiegen. Im Vergleich zu den Zahlen aus Europa scheint das wenig. Aber Ecuador ist ein kleines Land. Diese Zahlen machen es in Lateinamerika zu dem Staat mit den meisten Covid19-Toten im Verhältnis zur Bevölkerung.
Einkauf von medizinischem Material wegen Korruptionsvorwürfen gestoppt
Die Zahlen steigen weiter und das Gesundheitssystem ist schon jetzt überfordert. Gleich am Anfang der Krise protestierten Krankenschwestern und Pfleger, Ärzte und Ärztinnen, weil sie nicht die nötige Schutzausrüstung hatten. Dazu kommt eine schwache Zentralregierung, die mitten in der Krise die Gesundheitsministerin austauschen musste. Sie hatte unhaltbare Versprechungen gemacht. Und die staatliche Krankenversicherung stoppte am 28. März vorläufig den Einkauf von medizinischen Material wegen Korruptionsvorwürfen, der Rechnungshof ermittelt.
In der Hauptstadt Quito ist es trotzdem relativ ruhig und die Notversorgung scheint halbwegs zu funktionieren. Aber in Guayas, der vor allem betroffenen Provinz an der Küste, herrschen jetzt schon chaotische Zustände. Krankenwagen fahren von einer Klinik zur nächsten und werden überall abgewiesen. Manche laden ihre kranken Angehörigen auf Pickups, und klappern ebenfalls vergeblich alle möglichen Krankenhäuser ab. Andere berichten von Angehörigen, die zu Hause gestorben sind, nicht unbedingt am Virus, und es niemand gibt, der sie abholt. Deshalb liegt der Verdacht nahe, dass die Zahl der Covid19-Toten größer ist, als offiziell angegeben. Die Regierung hat in der Region den Ausnahmezustand verhängt, in den Straßen patrouillieren Soldaten, um die Ausgangssperre zu überwachen. Indígena-Gemeinden auf dem Land, wo die medizinische Versorgung noch schlechter ist, verbarrikadieren die Zugänge zu ihren Dörfern mit Baumstämmen.
Extreme Ungleichheiten
Das Virus ist ein Gleichmacher, es kann jeden und jede infizieren. Aber die Pandemie bringt auch die extremen Ungleichheiten zwischen den Menschen ans Licht. In Ecuador und weltweit. In Ecuador kamen die ersten Fälle, soweit bekannt, aus der Mittel- und Oberschicht. Die Bürgermeisterin von Guayaquil ist infiziert, ein Hotspot sind die Gated Communities in der Kleinstadt Samborondón, abgeschottet von der armen Bevölkerungsmehrheit. Dort wurde in den ersten Tagen der Ausgangssperre noch Golf gespielt und Partys gefeiert.
Dagegen treffen die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus die Unterschicht am härtesten. Nach der jüngsten offiziellen Statistik hat nur die Hälfte der Erwachsenen einen festen Job. Die andere Hälfte arbeitet im informellen Sektor. Sie verkaufen z.B. Obst, Blumen oder Zigaretten auf Märkten und auf der Straße – inzwischen auch Masken in allen Farben und Formen. Sie können nicht auf Homeoffice umstellen und die meisten von ihnen haben keine Rücklagen. Entsprechend gab es schon Zusammenstöße mit der Polizei, die die Hygienemaßnahmen auf Märkten durchsetzen wollte.
Zwar hat die Regierung für arme Familien einen kleinen Zuschuss von 60 Dollar beschlossen und es gibt inzwischen zahlreiche Spendeninitiativen, die Lebensmittelpakete verteilen. Aber selbst, wenn diese Lebensmittelspenden ankommen: Die Ausgangssperre trifft Familien, die sich zum Beispiel zu acht drei Zimmer teilen, hart.
Exporteinnahmen brechen weg, Kredite werden teurer
Dabei sind die Maßnahmen der physischen Distanzierung in Ecuador vielleicht noch dringender als in Deutschland, damit das Gesundheitssystem nicht völlig zusammenbricht. Die Zahl der Betten in der Intensivmedizin veranschaulicht das: Bei der letzten Zählung gab es in Ecuador etwas über 1000 Betten in Intensivstationen. Das sind 0,7 pro 100.000 Einwohner*innen. In Deutschland sind es fünfmal so viel. Dazu kommt, dass die Krise Ecuador auch wirtschaftlich ganz anders trifft. Die Exporteinnahmen brechen weg. Der schon vor der Pandemie marode ecuadorianische Staatshaushalt ist stark von den Öleinnahmen abhängig. Während der Krise ist auch der Ölpreis eingebrochen. Bisher bedient Ecuador trotzdem seine Auslandsschulden, in der Hoffnung neue Kredite zu bekommen. Aber zu welchem Preis?
Auch Deutschland nimmt für sein gigantisches Rettungspaket Schulden auf. Aber deutsche zehnjährige Staatsanleihen erwirtschaften im Moment Negativzinsen von minus 0,48. Ecuador musste für seine Staatsanleihen zuletzt Zinsen von 9,5 Prozent bezahlen. Eine kleine, bittere Illustration der verrückten und unbarmherzigen Realität der Finanzmärkte.
In Ecuador hat die Regierung immerhin verfügt, dass während der Krise niemandem Wasser, Strom und Telefon abgestellt werden darf, auch denjenigen nicht, die jetzt ihre Rechnungen nicht bezahlen können. Auf internationaler Ebene wäre das Mindeste, dass Ecuador seinen Schuldendienst ohne Schaden aussetzen kann. Wenn jetzt ein Land wie Ecuador seine Schulden bedienen muss, bedeutet das unmittelbar: mehr Tote.