Nachricht | Rahr /Sergijenko (Hrsg.): Der 8. Mai, Berlin 2020

Wenig bekannte Zeitzeugenberichte zu einer einzigartigen Erzählung verarbeitet

Information

Der Titel lautet «Geschichte eines Tages» – es sind eigentlich Geschichten, die von den beiden Herausgebern aus Publikationen von 1946 an bis heute zusammengetragen, mit Fotografien des Tages illustriert und wohltuend kommentarlos neu publiziert worden sind. Die Wirkung ist eine elementar packende – egal ob man/frau die Bilder anschaut oder die Erzählungen liest. Es sind Texte von Frauen und Männern, Deutschen und Russen, die ihre Erlebnisse an diesem Tag, ihr Erleben dieses Tages beschreiben – in unterschiedlichen Ländern, aus unterschiedlicher Perspektive, als Sieger und Besiegte.

«Die Herausgeber haben Texte versammelt, die sich vielleicht nicht immer durch literarische Qualität, aber stets durch Unmittelbarkeit, durch Glaubwürdigkeit, überraschende Perspektiven und immer durch Fokussierung auf diesen Tag, auf dieses Ereignis der Befreiung auszeichnen» heißt es zu Recht im Vorwort (S. 7). Gerade die Unmittelbarkeit dieser Berichte macht ihre Faszination aus, gerade Menschen, die wie die Rezensentin diesen Tag nicht selbst miterlebt haben, fühlen sich hineingezogen in die Atmosphäre, atmen, leiden und freuen sich mit den jeweiligen Protagonist*innen.

Dem Band ist ein Nachwort des Historikers Alexander Rahr beigefügt, in dem er nicht die erzählten Geschichten, sondern diesen historischen Tag würdigt und gleichzeitig davor warnt, Geschichte als Waffe zu benutzen (siehe S. 203). Diese Mahnung ist aktueller denn je, denn der historische Streit, «ob der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung oder der neuen Knechtschaft ist, spaltet West und Ost» nach wie vor. Möge sich die Hoffnung der Herausgeber erfüllen, dass diese Reflexion über den 8. Mai helfe, die Konfrontationen zu glätten (S. 218). Die Entscheidung des Landes Berlin, ihn 2020 als Feiertag zu begehen, könnte ein Schritt dazu sein.

Außerdem hervorhebenswert ist die liebevolle Gestaltung des Buches: Hardcover mit einem Foto der Bronzestatue von Zurab Tsereteli «Denkmal für Stalin, Roosevelt und Churchill» (d.h. einer Plastik, die auf der Krim steht!), einem Lesebändchen (leider eine Seltenheit geworden), passende Schrifttypen, ja und den, dies sei nochmals betont, sehr passend ausgewählten Originalfotos. Für mich wäre dieses Buch meine Wahl für den Leser*innenpreis der Leipziger Buchmesse gewesen (den es leider ebenso wenig gibt wie diese Veranstaltung im März 2020). Möge das Buch trotzdem einen breiten Leser*innenkreis finden und zu Diskussionen und Engagement in den Auseinandersetzungen unserer Zeit anregen!

Alexander Rahr und Wladimir Sergijenko (Hrsg.): Der 8. Mai. Geschichte eines Tages; Verlag Das neue Berlin, Berlin 2020, 221 S., 22 EUR (e-book 16,99 EUR)