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Die erste Präsidentschaftsdebatte war ein erneuter Tiefpunkt in der politischen Kultur der USA.

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Donald Trump gestikuliert während der ersten Präsidentschaftsdebatte am Dienstag, 29. September 2020, an der Case Western University und der Cleveland Clinic in Cleveland, Ohio. picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Julio Cortez

Das war ein erneuter Tiefpunkt in der politischen Kultur der Vereinigten Staaten. Seit der ersten Fernsehdebatte zwischen Nixon und Kennedy 1960 hatten die Teams der Kandidaten sich vorab auf Regeln geeinigt, so auch diesmal. Donald Trump ignorierte sie am laufenden Band und machte die Debatte über weite Teile zu einem qualvollen Chaos für Zuschauer*innen, die an politischen Argumenten interessiert waren.

Andreas Günther leitet das Regionalbüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in New York.

Eines kann man mit Sicherheit sagen: Den härtesten Job an diesem Abend hatte keiner der beiden Kandidaten, sondern der Moderator. Mehrfach musste Fox-Frontmann Chris Wallace sich energisch durchsetzen. Donald Trump beschwerte sich recht früh, er sei nicht gekommen, um mit dem Moderator, sondern mit Joe Biden zu diskutieren. Tatsächlich war er an keinerlei Debatte interessiert.

Die Nervosität dürfte zuvor in beiden Kampagnenlagern groß gewesen sein, zumindest bei denen, die einen realistischen Blick auf ihren Kandidaten bewahrt haben. Würde Donald Trump mit seiner in den letzten Tagen zunehmenden Polarisierung zu weit gehen und moderate Konservative verschrecken? Würde es ihm gelingen, genug von den ca. 10% unentschiedenen Wählern überzeugen, um seinen Rückstand von durchschnittlich 8 Prozent auf Joe Biden in den landesweiten Umfragen aufzuholen? Würde Joe Biden es schaffen, dem Publikum Trumps Versagen in der Pandemie so klar vor Augen zu führen, dass sie ihre Wahlentscheidung überdenken? Würde er Trump mit dem gerade bekannt gewordenen Fakt treffen können, dass dieser im Jahr seiner Wahl und im ersten Jahr seiner Präsidentschaft gerade mal 750 US-Dollar Einkommenssteuer gezahlt hatte? Und vor allem, würde es Biden, der in der Vergangenheit immer wieder über Versprecher und Fettnäpfchen gestolpert war, es schaffen, nicht nur diese Hürden zu umschiffen, sondern eben auch potenzielle Wähler zu mobilisieren?

Denn darauf wird es trotz aller Bemühungen um Unentschiedene und Wechselwähler*innen ankommen: Werden die Kandidaten in diesem zutiefst polarisierten Land ihre Basis möglichst umfassen mobilisieren können? Das war Hillary Clinton 2016 nicht gelungen, und bis zu diesem Tage hatte es auch Joe Biden nicht geschafft, das Bild eines inspirierenden, mobilisierenden Kandidaten zu vermitteln. Donald Trump dagegen bot seiner Basis, was sie hören wollte – unabhängig vom Wahrheitsgehalt. Biden konnte nur darauf hoffen, dass der Rest des Wahlvolks sich unangenehm berührt ab- und ihm zuwendet.

Diese Hoffnung könnte sich mit diesem Abend erfüllen. Er setzte zwar gelegentlich einen groben Keil auf einen groben Klotz und nannte Trump «Lügner» und «Clown», versuchte aber zwischenzeitlich möglichst oft direkt zur Kamera, also zu den Wähler*innen zu sprechen und so etwas wie ein politisches Programm zu entwickeln. Gerade bei Themen wie Krankenversicherung, racial justice und Klimapolitik konnte dabei den Eindruck eines Politikers erzeugen, der einen Plan hat.

Obwohl das, was er sagte, beim linken Flügel der Demokraten und insbesondere den Unterstützer*innen seines Vorwahlkonkurrenten Bernie Sanders eher Enttäuschung hervorrufen dürfte (er favorisierte eine halbherzige und wahrscheinlich wenig wirksame «public option» bei der Krankenversicherung, distanzierte sich vom Green New Deal und war sehr zurückhaltend, wenngleich damit wahrscheinlich realistisch, in der Frage der Polizeifinanzierung), versuchte Trump bei jeder Gelegenheit, ihn als Geisel der radikalen Linken darzustellen.

Der wiederum bekam die härtesten Fragen vom Moderator von seinem (nun möglicherweise ehemaligen) Lieblingssender Fox gestellt: Die Einkommenssteuer 2016 und 2017 («Millionen»), die Distanzierung von «White Supremacists» (Die Linken und vor allem «die Antifa» sind viel schlimmer).

Der skandalöseste, wenn auch nicht überraschende Moment aber kam am Schluss: Donald Trump weigerte sich nicht nur, klar zu sagen, ob er darauf verzichten werde, sich zum Sieger zu erklären, bevor ein belastbares Auszählungsergebnis vorliegt, was angesichts der zu erwartenden hohen Zahl von Briefwahlstimmen Tage dauern dürfte, und seine Anhänger so lange zur Zurückhaltung mahnen, sondern nutzte auch diese Gelegenheit wieder, um in der Sache durch nichts gerechtfertigt und mit unbestätigten Räuberpistolen illustriert, Zweifel an der Legitimität der Briefwahl und damit der Wahl insgesamt zu säen. Und so bleibt, neben der Frage, ob dieses Format angesichts eines Kandidaten, der sich an keine Regeln zu halten bereit ist, fortgeführt werden kann, vor allem eins: Die Sorge, ob es am Ende dieses Jahres im Falle einer Wahlniederlage von Donald Trump einen friedlichen Machtwechsel geben wird.