Was macht einen dekolonialen und feministischen Global Green New Deal (GGND) aus? Er bekämpft die Hierarchien und Ungleichheiten, die mit rassistischen, Gender-bezogenen, klassistischen, Kasten-bezogenen und sexualisierten Ungerechtigkeiten verbunden sind. Sie sind ist, die koloniale, neoliberale und kapitalistische Strukturen, Systeme und Diskurse untermauern. Auch der ökologische Kollaps, den wir gegenwärtig im Zusammenhang mit der Klimakrise erleben, ist das Ergebnis eines sehr ungleichen Gesellschaftsvertrages, in dem diese Hierarchien die sozialen und ökonomischen Verhältnisse prägen. Eine dekoloniale Haltung einzunehmen bedeutet, dass wir es nicht hinnehmen, dass wir in einer Welt leben, in der schwarze, braune, weibliche und quere Personen sowie Personen aus der Arbeiterklasse quasi gewaltsam ihrer Würde beraubt werden. Es bedeutet, dass wir die Verbindung zwischen Klimakrise, rassistischer und Gender-bezogener Ausbeutung, internationalen Handelsregimen und Ungleichheit produzierenden ökonomischen Strukturen nicht ignorieren.
Bhumika Muchhala ist Anwältin, Aktivistin und Bildnerin für internationale Finanzarchitektur, feministische Ökonomie und globale ökonomische Gerechtigkeit. Sie hat 20 Jahre Erfahrung in global arbeitenden NGOS, darunter das Third Word Network. Dort hat sie an Recherchen und Kampagnen zu UN-Prozessen mitgearbeitet, u.a. die Sustainable Development Goals, Entwicklungsfinanzierung und die Politik der Bretton Woods-Institutionen. Aktuell macht Bhumika an der New School ihren PhD zum Thema politische Ökonomie globaler Ungerechtigkeit sowie dekolonialer und feministischer Theorie und arbeitet hierzu mit verschiedenen Organisationen zusammen, um ökonomische Gerechtigkeit und Rechte zu befördern.
Feministischer Strukturalismus
Die Feminist Coalition on the Green New Deal hat zum US-amerikanischen Green New Deal einen Appell mit zehn Botschaften erarbeitet. Dieser fordert unter anderem die Bekämpfung institutioneller patriarchaler und rassistischer Strukturen und die Anerkennung von systemimmanenten Unterdrückungsmechanismen. Zusätzlich fordert der Appell, dem Selbstbestimmungsrecht indigener Gemeinschaften sowie deren Rechten insgesamt oberste Priorität einzuräumen. Zu Letzterem gehört auch die rechtsverbindliche Anerkennung indigener Landrechte, deren tatsächliche Durchsetzung, die informierte Einwilligung indigener Personen bei allen sie betreffenden Fragen (engl. Free, Prior and Informed Consent) sowie die Anerkennung der Rechte der Natur. Will man ein anti-patriarchales Fundament für eine dekolonialen und feministischen Global Green New Deal legen schaffen, sind aus feministischer Perspektive drei kritische Punkte zubeachten:
Erstens: Einen feministischen Ansatz einzunehmen bedeutet, Frauen* nicht mehr „bloß“ als Individuen anzusehen, sondern Genderkategorien als ein System anzuerkennen, das Machtbeziehungen strukturiert. Nur solch ein Ansatz ist tatsächlich offen für feministische Antworten auf Klimakrise und Klima-Ungerechtigkeit. Denn beide sind Resultat einer männlich dominierten, fossilen Industrialisierung und Globalisierung, die ihren Ausgang im Globalen Norden genommen haben. Der feministische Ansatz berücksichtigt auch intersektionale Fragen über ökonomische, soziale, kulturelle und personelle Räume hinweg. Hierbei wird der Fokus etwa auf den Zugang von Frauen* zu natürlichen Ressourcen gelegt, auf patriarchale Institutionen und Normen, auf Gender-abhängige öffentliche Rollen sowie auf die Arbeit und das Wissen von Frauen*. Außerdem macht ein feministischer Ansatz deutlich, inwiefern auch Umweltwissenschaften und der gegenwärtige Umgang mit Technologien oftmals Fragen der Gender-Gerechtigkeit verschleiern.
Zweitens: Ein feministischer Ansatz für einen Global Green New Deal berücksichtigt auch den Sektor der Sorgearbeit, d.h. die umfassenden Aktivitäten von Personen, die für andere emotional, sozial, psychologisch oder materiell sorgen. Denn es ist Sorgearbeit, die den Lohnarbeitssektor am Laufen hält und dessen größte Stütze ist. Die Corona-Pandemie hat uns deutlich vor Augen geführt, wie unentbehrlich Sorgearbeit ist. Die Pandemie hat auch klar gemacht, welche Folgen es hat, wenn es – vor allem bedingt durch das Diktat der Sparhaushalte - zu wenig öffentliche Unterstützung für Sorgearbeit gibt. Die feministische Makroökonomie stellt Sorgearbeit in den Mittelpunkt, etwa durch eine Fiskalpolitik, die mehr Geld in die Unterstützung von Frauen* und Kindern steckt. Ein feministischer Global Green New Deal betont die Wichtigkeit von Sorgearbeit als zentralem Prinzip und schafft die internationalen Zwänge ab, die aktuell dafür sorgen, dass Fiskalpolitik öffentliche und Sorgeaufgaben beschneidet.
Drittens: Der feministischer Ansatz für einen Global Green New Deal hat ganz konkret die Menschenrechte sowie sozialen und ökonomischen Rechte von Frauen* im Blick. Maßgebend hierfür müssen die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Convention on the Elimination of Discrimination Against Women, CEDAW) und die Beijing Declaration and Platform for Action sein. Zum Beispiel verpflichtet Artikel 2 der CEDAW Staaten zu einer Politik, die jegliche Diskriminierung von Frauen mit allen geeigneten Mitteln abschafft und die Einhaltung der Prinzipien der Gleichheit und Nicht-Diskriminierung garantiert. Die Beijing-Plattform verpflichtet Staaten in Paragraph 258, die strukturellen Verbindungen zwischen Gender und Umwelt sowie Entwicklung zu analysieren. Besonders herausgestellt werden hierbei die Sektoren Landwirtschaft, Industrie, Fischerei, Forstwirtschaft, eine gesunde Umwelt, Artenvielfalt, Klima, Wasserressourcen und Hygiene.
Ökologischer Kolonialismus
Teil der Geschichte des ökologischen Kolonialismus ist die durch den Staat forcierte, systematische Ausbeutung von Rohstoffen für die Anhäufung von Profiten, darunter Baumwolle, Zucker Holz und Gewürze. Mit dem Aufkommen der Industriellen Revolution seit den frühen 1800er Jahren hat der fossile Kapitalismus die Kohlendioxidemissionen und die Ausbeutung der Umwelt exponentiell gesteigert. Im Herzen der fossilen Ökonomie stehen hierbei die Ausbeutung von Arbeitskraft und die Konzentration der Produktion auf die profitabelsten Bereiche. Umweltschäden wie Luftverschmutzung, Bodenerosion, Wüstenbildung, Abholzung und die Verdrängung von Kleinbäuer*innen durch Monokulturen sind nur ein paar der Beispiele für das zerstörerische Potential der fossilen Wirtschaft. Es ist nicht überraschend, dass die Klimakatastrophe gerade in den Ländern am stärksten spürbar ist, in denen der historische Kolonialismus die natürlichen Ressourcen dezimiert, die Infrastrukturen stark verändert und die traditionellen, die Umwelt respektierenden Lebensweisen beschädigt hat. Und noch immer sind mächtige Konzerne und kolonial geprägte Märkte das Fundament der globalen Wirtschaft. Teil dessen sind koloniale Strategien zur Abschöpfung von Reichtümern, sklavenartige Strukturen und Knetschaftsverhältnisse, Deindustrialisierung und die Schaffung von Rohstoffenklaven.
Deshalb muss sich – Dekaden nachdem die früheren Kolonien ihre Unabhängigkeit als Nationalstaaten erlangt haben – ein antikolonialer Global Green New Deal auch damit befassen, wie die neoliberale Ideologie und Realität mithilfe von internationalen Institutionen und ungerechten Regeln, Politiken und Rechtskonstrukten den Staat dafür missbraucht, dem Markt zu dienen. Denn der Neoliberalismus des 20. Jahrhunderts ruht nicht nur auf den altbekannten politischen Pfeilern von Liberalisierung, Privatisierung und Deregulierung, sondern eben auch auf der Schaffung von makroökonomischen Strukturen und regierenden Institutionen, die Märkte sichern und abschotten – und eben nicht dafür sorgen, den Markt zu liberalisieren, wie es in der offiziellen Rhetorik oft heißt.
Die Produktion von Wissen hinterfragen
Um die hegemoniale Prägung des neoliberalen ökonomischen Denkens zu überwinden, muss ein feministischer und dekolonialer Global Green New Deal auch die Produktion von Wissen hinterfragen. Das setzt ein Bewusstsein dafür voraus, dass die Schaffung von Wissenssystemen ein entscheidender Schlüssel dafür ist, Strukturen ungleicher Machtverteilung durchzusetzen und zu verfestigen. Das dominante neoklassische Modell der Ökonomie ist ja nur eine der vielen möglichen ökonomischen Theorien in einem Spektrum pluraler und heterogener ökonomischer Ideen. Deshalb müssen wir fragen: Wer produziert welches „Wissen“ und welche Interessen stehen dahinter? Wessen Ansichten werden in Büchern dargestellt, und wessen Philosophien, Theoreme und Methoden schaffen es in die Lehrpläne von Schulen und Universitäten? Der Macht/Wissen-Komplex, den Foucault so anschaulich analysiert hat, lässt sich Jahrhundertelang zurückverfolgen. Er spiegelt sich wider in der Auslöschung von nicht-westlichen Wissenssystemen, angetrieben und legitimiert durch das koloniale Narrativ, dass die Anderen „zivilisiert“ und sie zu Moderne, Wissenschaft und Rationalität missioniert werden müssten. In den vergangenen Jahrzehnten ließ sich genau diese Logik in der Ausbildung von Student*innen im Globalen Süden beobachten, wo ein eurozentrisches und neoklassisches ökonomisches Denken dominiert. Sich für einen Pluralismus des Denkens, der Methoden und der Praktiken einzusetzen, ist vielleicht eine der grundlegendsten Aufgaben eines dekolonialen Engagements.
Die Corona-Pandemie macht deutlich, wie wichtig es ist, die Ideologien zu hinterfragen, die das Handeln von Staaten prägen. Aktuell sehen sich die Regierungen am Ruder. Zum ersten Mal seit Generationen lenken sie ihre nationalen Ökonomien als Gesamtheit und sehen sich mit der Aufgabe konfrontiert, das Zusammenspiel von produktivem Sektor, Arbeiter*innenschaft, Firmen, Institutionen und Staaten zu steuern. Was ist hier aus Sicht eines dekolonialen Global Green New Deal entscheidend? Aus dessen Perspektive muss der Staat eine proaktive und entwickelnde Rolle einnehmen, um den Gesellschaftsvertrag zwischen den Menschen aufrechtzuerhalten, Grenzen und Regeln für Märkte zu setzen und eine antirassistische und feministische Verteilung von Ressourcen, Dienstleistungen und Zugangsmöglichkeiten zu garantieren. Die Geschichte zeigt, dass Staaten durchaus effektiv und auf vielen Ebenen in Märkte intervenieren können, um ökonomische Entwicklung zu regulieren und für mehr Gleichheit zu sorgen. Das kann zum Beispiel dadurch geschehen, dass der Staat Eigentümer von zentralen Sektoren wie Industrie und Bankenwesen ist und öffentliche Ressourcen dafür nutzt, die sozialen und ökonomischen Bedürfnisse von Menschen zu befriedigen.
Ein historischer Blick auf die finanziellen Spielräume von Staaten
Eine der zentralen Forderungen eines Global Green New Deal ist die massive Erhöhung der öffentlichen Investitionen in Klimaanpassung, Klimaschutzmaßnahmen, Infrastruktur und öffentliche Dienstleistungen. Die Corona-Pandemie hat zu einer Explosion der Armut in der Welt geführt. Die Weltbank prognostiziert, dass die Auswirkungen der Pandemie bis Ende 2020 mindestens 500 Millionen Menschen in Armut stürzen werden, 60 Millionen hiervon könnten unter die absolute Armutsgrenze sinken. Während die reichsten Länder zur Abfederung der Folgen der Pandemie bislang mehr als 10 Billionen US-Dollar ausgegeben haben, sind die finanziellen Ressourcen der meisten Länder des Globalen Südens weit von dieser Größenordnung entfernt.
Um die ungleichen Ressourcen von Staaten in den Blick zu nehmen, müssen wir die Frage, welche finanziellen Spielräume Staaten haben, zu einer politischen Frage machen und dabei die Geschichte der Abschöpfung von Reichtum aus den heute armen Staaten in den Fokus rücken. Auf der Grundlage von Steuer- und Handelsdaten aus nahezu zwei Jahrhunderten hat die Ökonomin Utsa Patnaik 2018 berechnet, dass Großbritannien zwischen 1765 und 1938 umgerechnet rund 45 Billionen Dollar aus Indien abgeschöpft hat. Zum Vergleich: 45 Billionen Dollar entsprechen, in heutige britische Pfund umgerechnet, dem 17-Fachen des BIP des heutigen Großbritannien. Das ist nicht nur historisch gesehen ein Hohn. Dieser Reichtum hat Kapitel und Vermögen über Europa, Nordamerika und andere Siedlerkolonien verteilt und damit erst die Bedingungen für Industrialisierung und ökonomische Dominanz geschaffen. Asad Rehman von der britischen Organisation War on Want hat dies kürzlich in einem Webinar zu der Aussage “pandemicism is colonialism” veranlasst. Er bringt damit auf den Punkt, dass der Mangel an finanziellen Ressourcen zur Bekämpfung der Epidemie im Globalen Süden direkt mit der Kolonialgeschichte verknüpft ist.
Heute verunmöglichen der Steuermissbrauch von Konzernen und andere Formen illegaler Finanzströme die Umverteilung von Reichtum und schaffen einen Nettotransfer von Reichtum in das Zentrum der drängenden ökonomischen Ungleichheiten – Gender-Ungerechtigkeiten eingeschlossen. Der „Report of the High Level Panel on Illicit Financial Flows from Africa“ von 2015 zeigt auf, dass der afrikanische Kontinent vor allem durch Steuerhinterziehung jährlich mehr als 50 Milliarden Dollar verliert. Um diesen Abfluss von Reichtum zu dekolonialisieren, brauchen wir eine multilaterale Zusammenarbeit sowie eine länderübergreifende Kooperation im Kampf gegen Steuerflucht und Steuerhinterziehung.
Schuldengerechtigkeit
Im Angesicht der Corona-Pandemie wird es keine Gleichheit geben können ohne einen multilateralen Umschuldungsmechanismus und einen sofortigen Schuldenerlass, um der langanhaltenden Schuldenkrise des Globalen Südens zu begegnen. Die Schulden des Südens sind seit der Finanzkrise von 2008 hochgeschnellt, zu einem großen Teil verursacht durch einen Anstieg der Verschuldung im privaten Sektor sowie die Schuldenmaschine Public-Private-Partnerships. Viele der ärmsten Staaten geben bereits mehr Geld für die Bedienung ihrer Schulden aus als für ihre öffentlichen Gesundheitssysteme – und das im Kontext einer Pandemie, in der es um lebensrettenden Dienstleistungen geht. In diesem Sinne kann man sagen: Schulden töten.
Die G20 und der Internationale Währungsfonds haben die Schuldenzahlungen für die ärmsten Staaten temporär ausgesetzt. Bisher haben 46 der 73 ärmsten Staaten einen Aufschub ihrer bilateralen Zahlungsverpflichtungen beantragt, was rund 14 Milliarden Dollar Zahlungsaufschub bedeutet. Allerdings versäumen es die G20 und der Internationale Währungsfonds bislang, derartige Aktivitäten auch für den privaten Sektors anzuordnen, etwa für Banken, Investmentfonds oder multilaterale Entwicklungsbanken wie die Weltbank. Das birgt die Gefahr, dass die ärmsten Staaten ihren knappen finanziellen Mittel dafür aufwenden, den reichsten Investoren in der Welt ihre Schulden zurückzubezahlen, anstatt die Pandemie zu bekämpfen. Währenddessen erhalten Staaten mit mittlerem Einkommen, wo mehr als die Hälfte der Armen in der Welt leben, keinerlei Schuldenerleichterungen. Und was passiert, wenn der Schuldenaufschub 2021 endet? Die Schulden müssten in dem Fall genau dann beglichen werden, wenn es am dringendsten sein wird, die mittelfristigen Auswirkungen der Pandemie zu bewältigen. Das könnte Schuldenkrisen zur Folge haben, die die ökonomischen und sozialen Fortschritte vieler Jahre zunichte machen und Gemeinschaften in einer langfristige Verschuldung stürzen.
Weil ein Schuldenerlass der schnellste Weg ist, um für die knappen Kassen von Regierungen Mittel freizumachen, fordern zivilgesellschaftliche Organisationen eine verpflichtende Teilnahme aller Akteure an einer Schuldenerlassinitiative, an der sich auch private und multilaterale Kreditgeber beteiligen sollen. Aufgabe eines dekolonialen Global Green New Deal muss es deshalb auch sein, die jahrzehntelange Blockadehaltung der reichen Länder zu durchbrechen, einen Rahmen für einen anderen Umgang mit Schulden festzulegen. Dieser muss auf einer nachhaltigen Schuldenbewertung beruhen, die den Bedarf an Klimafinanzierung ebenso berücksichtigt wie die Auswirkungen von Schulden auf die Verletzung von Menschenrechten. Hierfür braucht es eine starke Bewegung für eine globale und sektorübergreifende Kampagne für Schuldengerechtigkeit und gegen Austeritätspolitik. Diese Bewegung muss alle relevanten Akteuren aus den Bereichen Klima, öffentliche Gesundheit und den Gewerkschaften umfassen.
Schluss mit Austerität
Viele machen sich große Sorgen, dass die Pandemie Austeritätspolitiken verstärken und die verlorene Dekade der 1980er Jahre wieder aufleben lassen könnte, die in vielen Staaten und Regionen des Globalen Südens zu strukturellen Anpassungsprogrammen und einer Vervielfältigung privater Kreditprogramme geführt hat. Die Ironie ist: Obwohl die Pandemie so deutlich zeigt, wie ein Rückbau des öffentlichen Sektors zu Armut und einer höheren Sterblichkeit führt, erwartet der Internationale Währungsfonds von den Entwicklungsländern, sobald sich eine leichte Verbesserung des Gesundheitsnotstands zeigt, Sparprogramme umzusetzen, um „die Verschuldungsrate kontinuierlich abzubauen“.
Die strengen Sparprogramme haben gravierende Folgen, zum Beispiel geschwächte öffentliche Gesundheitswesen, ausgehöhlte Bildungssysteme, ein verschlechterter Zugang zu essentiellen sozialen Leistungen, mehr unbezahlte Arbeit im Allgemeinen und weniger Zeit für Frauen* im Besonderen. Denn staatlichen Etatkürzungen fallen meist gerade die Programme und Dienstleistungen zuerst zum Opfer, von denen Frauen*, Kinder, ältere Menschen, eingeschränkte Personen oder psychisch Kranke profitieren – genau die Bevölkerungsgruppen, die am anfälligsten für das Coronavirus sind. Sozialprogramme – eine wesentliche Stützte für das Überleben von marginalisierten und besonders verletzlichen Personengruppen – sind oftmals die ersten Leistungen, die reduziert werden, selbst in den Staaten, die unter extremer Armut leiden.
Wenn die Erholung von der Pandemie gelingen oder es gar mehr finanziellen Schwung für einen Global Green New Deal geben soll, müssen die Normen und Regeln für Haushaltsdisziplin, Staatsverschuldung und makroökonomisches Reporting kritisch unter die Lupe genommen werden. Nur so kann die staatliche Finanzierung öffentlicher Systeme gesichert werden. Um die Finanzstrukturen, so wie sich sich im Laufe der Kolonialgeschichte entwickelt haben, zu dekolonialisieren, müssen wir diejenigen Mechanismen in Frage stellen, die dazu dienen, den Globalen Süden mithilfe von Rating- und Bewerbungsinstrumenten zu disziplinieren. Drei Beispiele hierfür sind die Länderratings von Ratingagenturen, die Economic Report Cards, erstellt vom Internationalen Währungsfonds, sowie die Doing Business Indicators der Weltbank, die Länder dafür belohnen, Arbeitnehmer*innenrechte und weitere Politikbereiche zu deregulieren, um Geschäfte zu erleichtern. Diese Instrumente schaffen ein System aus Signalen und Symbolen, von dem aktuell für Staaten der Zugang zu Kapitel und Investments sowie die Einbindung in die globale Wirtschaft abhängen. Und die Signale und Symbole schaffen Akzeptanz für ein zutiefst ungerechtes Governance-System.
Finanzialisierung oder Nachhaltigkeit?
Während das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen davor warnt, dass die Pandemie bis 2020 mehr als 250 Millionen Menschen in die Hungersnot treiben könnte, haben die acht größten internationalen Nahrungsmittel- und Getränkekonzerne ihren Shareholdern seit dem Start der Pandemie 17,6 Milliarden Dollar ausgezahlt. Darin liegt eine tragische Anklage unseres ungerechten Ernährungssystems, die mehr als deutlich macht, wie sehr der aufgeblähte Finanzsektor und die Macht der Großkonzerne gezügelt werden müssen. Das schließt zum Beispiel Finanztransaktionssteuern, Regeln für den Hochfrequenzhandel und ein globales Verbot von Leerverkäufen ein.
Der Trend zur grünen Finanzialisierung hat Instrumente wie „Green Bonds“, „Debt-For-Nature Swaps“, „Impact Investments“ und ökologische Anlagen zur Kompensation von Kohlendioxid hervorgebracht. Diese Instrumente kommodifizieren und finanzialisieren die Umwelt und tragen dazu bei, dörfliche und indigene Gemeinschaften zu enteignen. Sie erlauben es großen industriellen Konzernen, weiter die Atmosphäre weiter zu verschmutzen und auch weiter Rohstoffe aus dem Boden zu holen – wenn sie denn nur eine relativ kleine Gebühr leisten. Dabei sind die industriellen Großkonzerne die entscheidenden Player. Allein 100 Konzerne sind für 70 Prozent des globalen Kohlendioxidausstoßes verantwortlich.
Um dem zu begegnen, können technologische Lösungen in Kombination mit Marktkräften nicht die Lösung sein. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Beziehungen, die wir mit unserer lebendigen Umwelt wieder entwickeln müssen, von unvorhersehbaren und marktgetriebenen ökonomischen Kennziffern abhängen, die der Geschwindigkeit und dem Ausmaß der gegenwärtigen sozialen Veränderungen und Klimaveränderungen nicht gerecht werden. Indem die gravierenden Gefahren eines sich erhitzenden Planeten fälschlicherweise auf ein technisches Problem reduziert werden, dem man mit einer „grünen Ökonomie“ beikommen möchte, werden Klimakrise und ökologischer Kolonialismus entpolitisiert. Grüne technologische Scheinlösungen verschieben politisch extrem sensible Entscheidungen – darunter Frage der Einhegung oder Expansion von Marktkräften – unter den Deckmantel einer scheinbar neutralen und technischen Mission, die als effektiv, effizient und rational dargestellt wird. Umweltgerechtigkeitsorganisationen haben bereits Alarm geschlagen angesichts der engen Verknüpfung des US-amerikanischen und europäischen Green New Deals mit Ideen einer grünen Finanzialisierung.
Will man hier weiterkommen, lohnt es sich auf das „System von Konsum und Produktion“ zu fokussieren, welches auch im Kern der Agenda 21 und von Ziel 12 der UN Sustainable Development Goals liegt. Es verweist auf die existentiellen planetaren Grenzen insofern, als dass der Globale Norden seinen Konsum und seinen CO2-Fußabdruck reduzieren muss. Nachhaltige Produktion schließt ein, sich politisch auf ein Ende der Subventionen für fossile Energien zu einigen und öffentliche Gelder weg von einer Subventionierung von Großkonzernen und militärisch-industriellem Komplex hin zu öffentlichen Gütern zu lenken. Nachhaltiger Konsum und nachhaltige Produktion schließen notwendigerweise auch die Abkehr von der kapitalistischen und kolonialen Logik von Akkumulation und Expansion ein. Stattdessen brauchen wir Ernährungssicherheit durch eine kleinbäuerliche nachhaltige und biologische Landwirtschaft, unterstützende ökonomische und produktive Systeme wie Sozialversicherungssysteme und ein universelles Grundeinkommen, angemessene Arbeit, die Regeneration natürlicher Lebensgrundlagen sowie antirassistisch und feministisch ausgerichtete demokratische Entscheidungsprozesse.
Klimareparationen
Ein feministischer und dekolonialer Global Green New Deal macht sich auch die seit Langem bestehende Forderung nach Klimareparationen der entwickelten Staaten zum zentralen Anliegen, mit dem diese kompensieren sollen, dass sie über Jahrhunderte für den Großteil der historischen Emissionen und die mit der ökologischen Zerstörung einhergehenden Schäden und Verluste verantwortlich waren und sind. Reparationen als Antwort auf vergangene und gegenwärtige Schäden zu zahlen setzt jedoch demokratische Entscheidungen dazu voraus, wie dieses Geld fließen soll, wie es verwendet wird, und wie diese Mittel von anderen Hilfsgeldern zu unterscheiden sind. Außerdem wichtig ist die Auffüllung des Green Climate Fund, um Klimaschutzmaßen im Einklang mit dem 1.5°-Ziel zu finanzieren und die Verpflichtung der entwickelten Staaten zu erfüllen, bis 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar zur Verfügung zu stellen. Die entwickelten Staaten müssen außerdem ihren "fairen Anteil" beim Kampf gegen die Klimakrise gerecht werden – entsprechend ihrer historischen Rolle bei der Entstehung der Klimakrise.
Ein anderes Menschenbild
Die koloniale Konstruktion des Menschen sieht diesen als ein vernunftbegabtes Individuum an, der sich von der Natur unterscheidet und über dieser steht. Zwei historisch überlieferte Unwahrheiten sind hierbei ausschlaggebend: Erstens, die Natur wird als „unbelebt“ angesehen. Zweitens, Land gilt als „leer“. Was bedeutet das? Wenn das Land „leer“ ist, können indigene und dörfliche Gemeinschaften vertrieben oder ausgemerzt werden. Wenn die Natur „unbelebt“ ist, kann sie grenzenlos ausgebeutet werden. Ein dekoloniales Ethos beinhaltet, sich von dem alten Wissenssystem zu lösen, das noch immer im cartesianischen Paradigma wurzelt und davon ausgeht, dass das Denken vor dem Sein kommt. Es beinhaltet, das Menschsein auf Grundlage der Erkenntnistheorien all derjenigen neu zu denken, die am Rande der jetzigen Gesellschaftlichen leben, vor allem der indigenen Gemeinschaften. Nicht zuletzt steht ein „Gesellschaftsvertrag“ im Herzen der dekolonialen und feministischen Zukunft, der auf einem Bekenntnis zu intersektionaler Gleichheit und Gerechtigkeit basiert. Das schließt einen transformativen Wandel hin zu einer dekolonialen Menschheit ein, die sich aus vielfältigen Lebenswirklichkeiten zusammensetzt, wo Hierarchien und Vormachtstellungen zusammenbrechen und interaktive und voneinander abhängige Lebensweisen sich zu einer neuen Realität formen.