Nach «Oben» will ich. Aber Oben ist nicht wirklich oben, sondern in der Mitte. Ich laufe zumeist nach Gefühl, denn es macht riesigen Spaß an diesem bedeckten und etwas nebligen Tag. Als Stadtmensch tut es unheimlich gut, frische Luft einzuatmen und alleine ohne Zeitdruck laufend die Bäume auf sich einwirken zu lassen. Schließlich komme ich nach einem Hin und Her am Oben im «Danni» an. Glücksmoment!
Ercan Ayboga ist Regionalmitarbeiter im Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung Hessen.
Danni ist eine passende Verniedlichung dieses schönen vielfältigen Waldes bei Dannenrod, einem Stadtteil von Homberg (Ohm) irgendwo in Nordmittelhessen. Es ist auch ein Ausdruck der Arbeit, was die vielen «Aktivisti» hier seit einem Jahr investieren. Aktivisti sind die hunderten und zumeist jungen Menschen, welche hier oft monatelang leben und sich dafür Baumhäuser gebaut haben. Dabei haben sie kein Tier getötet oder Pflanzen zerstört. Das ist auch bewusst so, denn sie wollen diesen Wald schützen.
Oben ist einer der vielen «Barrios» aus Baumhäusern im Wald, die entlang der geplanten Trasse der A49 quer durch den Danni gebaut wurden. Diese vor mehreren Jahrzehnten zur Hälfte gebaute Autobahnstrecke von Nord- nach Mittelhessen soll nun fertig gestellt werden. Jahrzehntelang passierte nichts, nun rollen die Maschinen an. Aber Autobahn heißt Asphalt und kein Leben. Das sagen mir auch die Aktivisti von Oben und sind fest entschlossen, so lange wie möglich Widerstand zu leisten.
Heute ist Tag X, die lang angekündigte Räumung durch die Polizei hat begonnen. Wenn sie das schaffen sollten, kann es bis zu einigen Monaten dauern. Das hängt auch davon ab, wie weit es Solidarität in der Gesellschaft und Kritik an der herrschenden Politik gibt. So wie für den Hambi (Hambacher Forst in NRW).
Ich bin zufällig am Tag X im Danni. Es ist traurig, dass die Räumung und damit die Zerstörung des Danni beginnt. Doch es ist auch aufregend. Denn hier leben Menschen in Barrios solidarisch zusammen, um für eine wirklich gute Sache zu kämpfen. Es geht zunächst um das Leben der Tiere und Pflanzen in diesem halbwegs funktionierenden Ökosystem Wald, der relativ wenig bewirtschaftet wurde und einen Mischwaldcharakter hat. In den letzten zweieinhalb Jahren hat es so die als Folge der Klimakrise auftretende Trockenheit recht gut überstanden.
Der Aktivisti Emmi, mit dem ich stundenlange Gespräche am Tag X führte, fährt fort: «Uns geht es natürlich auch um die Klimakrise. Es ist ein Wahnsinn, dass in Zeiten der Klimakrise solch ein ökologisch wertvoller Wald durch die unnütze A49 zerstört werden soll.»
Ich stimme überein und frage, warum es bisher nicht die große Solidarität wie beim Widerstand um den Hambi gibt, der spürbar zum beschlossenen Kohleausstieg beigetragen hat – wenn auch völlig unzureichend mit seinen harmlosen Zielen. «Da ging es um Kohlekraftwerke, die sehr stark zu Treibhausemmissionen und damit der Klimakrise beitragen. Hier geht es um Autobahnen. In einem Staat wie Deutschland, wo für viele das Auto fast heilig ist, ist es schwieriger, sowas in Frage zu stellen. Doch wir müssen die bestehende Mobilitätspolitik in Frage stellen». In der Tat ist eine «klimafreundliche» Gesellschaft ohne eine solidarisch-ökologische Mobilität nicht realisierbar. Der Aussage, dass E-Autos der helle Wahnsinn sind und neue Formen der ökologischen Zerstörung, zumeist im globalen Süden, erzeugen, kann ich nur zustimmen.
Wir stehen vor einer Hebebühne mitten im Wald. Die Polizei ist groß aufmarschiert und will mit solchen Mitteln die Baumhäuser zerstören und ihre Bewohner gegen ihren Willen festnehmen. Eine Aktivisti schwebt zwischen Bäumen über ihrem Baumhaus am nördlichsten Ende des Danni, von wo die Räumung beginnt. Nicht mal 50 m unterhalb fließt ein Bach, welches zum Gleental gehört. Rechts und links davon im Tal sind Wiesen, von wo wir kommen und uns eine vor wenigen Tagen von Aktivisti angebrachte Traverse ansehen. Mehrere Dutzend Polizisten stehen um das Baumhaus, in dem zwei weitere Aktivisti sind. Neben mehreren Menschen mit Kameras, darunter auch Presseleute, stehen auch Menschen in Solidarität mit den Aktivisti. Sie übernachten oft für einige Wochen im Camp bei Dannenrod am Eingang zum Danni. Jeder Mensch, der vor Ort Solidarität zeigen möchte, kann mit eigenem Zelt hierherkommen, wo es eine gewisse Infrastruktur gibt. Das ist eine beeindruckende Solidarität und Vernetzung, die sich in diesem Lande in den letzten Jahren entwickelt hat. Menschen, die seit Jahren politisch engagiert sind und auch Neuinteressierte können sich hier schnell und unbürokratisch einbringen, sich für ein konkretes Ziel einsetzen und auch für wichtige gesellschaftliche Perspektiven agieren. Dabei politisieren sie sich und bilden neue Gruppen oder stärken bestehende Strukturen - vor allem in der Klimagerechtigkeitsbewegung..
Da die Polizei im Auftrag der Regierung(en) handelt, ist es gesetzlich konform. Darauf berufen sich auch die Grünen, die von einem Sachzwang sprechen. Aber ist das moralisch? Nur wenige Menschen werden sich für die Zerstörung dieses Waldes aussprechen, gerade in Zeiten der auch in Europa zunehmenden Klimakrise. Um die Klimakrise zu begrenzen, ist es nicht nur wichtig, die Treibhausemmissionen zu begrenzen, sondern auch Wälder zu schützen und aufzuforsten. Klimaschutz ohne Naturschutz geht nicht!
Im Wald treffe ich immer wieder Menschen aus den umliegenden Dörfern. Sie kommen auch auf uns zu und beschweren sich über die beginnende Räumung. Mehrmals sehe ich, wie sie den Aktivisti in den Barrios Kuchen, Kekse und Schokolade vorbeibringen. Das sei seit Monaten so, sagt auch Mala, die ich kurz spreche. Die meisten Menschen in diesem Gebiet wollen nicht diese Autobahn, die eine der unsinnigsten Autobahnstrecken der BRD zu sein scheint. Deshalb gibt es seit Jahrzehnten Kritik und Klagen und zwei Bürgerinitiativen, die mit den Aktivisti gemeinsame Pressekonferenzen halten. Die Vereinigung «Pro A49» vertritt auch eine Meinung der Menschen in der Region, aber eben nur einer kleinen Minderheit. Darunter sind vor allem Menschen, die Angst um ihre Arbeitsplätze haben. «Alle 10 Menschen, die wir letztens in einer Versammlung von Pro A49 sprachen, sind bei Fritz Winter angestellt. Dies ist ein Unternehmen in Stadtallendorf, was vom Ausbau der A49 direkt profitieren würde», berichtet uns Mala weiter.
Im Gespräch mit Mala fallen mir 50 Meter weiter mehrere Dutzend Setzlinge auf, umgeben von Netzen. Als ich danach frage, bekomme ich die Antwort, dass diese auf einer Freifläche als sogenannte Ausgleichmaßnahme angepflanzt wurden – dies dient zum Beispiel Pro A49 als ein wichtiges Argument. Ich nähere mich ihnen und erkenne, dass zwischen ihnen nur ein Meter Abstand ist. Wenn sie an diesem Standort bleiben sollen, werden die meisten nicht überleben. Es treibt mich die Frage, ob das Anpflanzen von Setzlingen an lichten Stellen im Wald als Ausgleichmaßnahme gelten kann. Lichtungen im Wald tragen doch zur Biodiversität des Waldes insgesamt bei.
Mit Emmi geht es weiter zurück zu seinem Barrio. Wir unterhalten uns über viele Dinge. Unterwegs sehe ich ein hoch hängendes Transparent mit der Aufschrift «Solidarität mit Rojava», was mich natürlich sehr beeindruckt. Rojava – Syrisch-Kurdistan – ist weit weg vom Danni, aber da gibt es seit der Befreiung 2012 eine Diskussion für eine ökologische Gesellschaft und mit den Jahren eine immer stärkere Praxis, und das trotz Embargo und Krieg von allen Seiten. Dazu sagt Emmi: «In Rojava gibt es auch den Versuch, selbstorganisierte basisdemokratische Strukturen in der Gesellschaft zu stärken. Genau das interessiert hier die Aktivisti».
Im Anschluss daran sprechen wir darüber, wie sich die Mitglieder eines Barrio organisieren: basisdemokratisch, mit hohen Ansprüchen. Vielleicht ist es nicht übertrieben zu sagen, dass es derzeit die wichtigsten demokratischen Orte in der BRD sind. Zwar gibt es dutzende Kooperativen und Kollektive im ganzen Staat mit basisdemokratischer Struktur, die sind aber weitgehend voneinander isoliert und die meisten Mitglieder arbeiten nur Teilzeit in diesen. Die Aktivisti im Danni hingegen leben eine lange Zeit (oft mehrere Monate) etwas außerhalb der bestehenden Gesellschaft mit den sie dominierenden kapitalistischen Wirtschaftsstrukturen. Sie sind versorgungstechnisch gesehen nicht wirklich autonom, aber sie sind in einem zusammenhängenden Territorium weitgehend untereinander, diskutieren und treffen gemeinsame Entscheidungen, um ihr Leben und den Widerstand zu organisieren. Erst untereinander in einem Barrio, dann über Delegiert*innen zwischen den Barrios. «Wir müssen uns ständig darüber bewusst werden, wie wir handeln und wie wir zueinander sprechen. Denn wir wollen ohne Hierarchien und frei hier leben. Es ist eine große Herausforderung für alle von uns. Ab und zu verfallen wir in patriarchale Denkweisen und Handlungen – wenn es z.B. um körperliche Arbeit geht oder in Zeiten der Räumung – und müssen dagegen ankämpfen.» Die Aktivisti sammeln eine unglaubliche Erfahrung für eine solidarische Lebensweise, die in den letzten Jahrhunderten vom aufkommenden Kapitalismus zerschlagen wurde.
Die zwischen den Bäumen hängende Aktivisti wird nach einer halben Stunde Beobachtung durch uns von den Polizisten nach einer «Hängepartie» eingefangen. Aber mit einem Seil, der um ihren Brustkorb geschlungen wird. Genau in diesem Moment rutscht die Aktivist*in nach unten und das Seil zieht sich fest um sie. Dies ist sehr kritisch, denn sowas kann zu ernsthaften Verletzungen führen. Nur einen Tag später höre ich von einer verletzten Aktivisti. Darauf folgere ich, dass die Räumungen der Baumhäuser ganz schön gefährlich sind, auch wenn die Polizei «Sicherheit vor Schnelligkeit» propagiert.
«Menschen vor Ort und Presse sind uns wichtig. Denn sonst hält sich die Polizei wenig an Gesetz und ist sehr hart im Vorgehen. Also kommt immer wieder vorbei» sagt mir ein Aktivisti neben Emmi, als wir beim Baumhaus stehen, welches geräumt wird.
Die Räumung wird wohl tatsächlich noch lange gehen und die folgenden Wochen können «sehr heiß» werden. Noch ist nichts entschieden, wie der Hambi-Widerstand zeigt. So brauchen die Aktivisti im Danni als auch die Bürgerinitiativen Solidarität aus der ganzen Republik. Ohne breite Unterstützung können die Menschen im und um den Danni die geplante Zerstörung nicht lange aufhalten. Verbunden werden sollte mit Kritik am Vorgehen der Polizei und den Vorgaben der hessischen Regierung auch eine allgemeine Kritik an den weiteren Ausbauplänen für Autobahnen. Ich höre immer wieder von mehreren hunderten Kilometern zu bauender Strecke, was in unserer heutigen Welt mehr als fahrlässig ist – ja ein Verbrechen an Klima und Natur. Jede weitere Autobahnstrecke führt zu noch mehr Kraftverkehr, das ist mehrfach belegt durch Studien. Dies zerstört und kontaminiert noch mehr Wälder, Biodiversität, Grundwasser und landwirtschaftliche Flächen; alles was immer wertvoller wird. Der Danni ist ein Beispiel für das, was in dieser Gesellschaft so alles falsch gemacht wird …
Erde, Pflanze, Laub und Baumstamm ist besser als Asphalt. Wald ist besser als Asphalt!