Bericht | Wirtschafts- / Sozialpolitik - Globalisierung - Sozialökologischer Umbau Scheitern der Konzernverantwortungsinitiative

Ein letztes Aufbäumen der Konzerne in der Schweiz

Information

Autorin

Eva Wuchold,

Am 29. November stand in der Schweiz die Konzernverantwortungsinitiative zur Abstimmung. Gemäß den Schlussresultaten aus den Kantonen lag der Ja-Stimmen-Anteil bei 50,7 Prozent. Allerdings scheiterte die Initiative am Ergebnis der Stände, d.h. der Kantone: Nur 8,5 Stände sagten Ja, 14,5 Stände sagten Nein (die Dezimalzahl hängt mit der Tatsache zusammen, dass einige kleine Kantone bei der Auszählung der Stimmen nur halb so viel Gewicht haben). Da die Initiative eine Verfassungsänderung vorschlug, benötigte sie laut Schweizer Gesetzgebung neben der Unterstützung des Volkes genannt Volksmehr, auch die Zustimmung der Mehrheit der Kantone, das sogenannte Ständemehr, um angenommen zu werden.

Eva Wuchold leitet das Programm Soziale Rechte im RLS-Büro Genf.

Noch vor einem Jahr war die Zustimmungsrate Schweizweit deutlich größer. Die Konzernverantwortungsinitiative wurde von einer breiten Koalition von 130 Menschenrechts- und Umweltorganisationen getragen, darunter zahlreiche namhafte Entwicklungs-, Friedens-, Menschenrechts- und Umweltorganisationen. Die Initiative wurde darüber hinaus von vielen klein- und mittelständischen Unternehmer*innen und Politiker*innen aller Parteien sowie einer Koalition von Schweizer Kirchen unterstützt. Und von einer enormen Zahl von Schweizer*innen. Bereits seit Jahren gehörten die Banner an Fenstern und Balkonen zum Straßenbild. In Genf gab es kaum einen Straßenzug ohne.

Die Abstimmung am Sonntag hat in der Schweiz dementsprechend für viel Diskussion gesorgt. Deutliche Kritik es an der Kampagne der sogenannten «Konzern-Lobby», die die Initiative mit Falschaussagen zu diskreditieren versuchte. Dabei wurden im Vorfeld der Abstimmung medienwirksam irreführende Aussagen lanciert. So argumentierten die Gegner der Initiative, dass es mit der Gesetzesänderung zu einer Umkehrung der Beweislast käme, dass die Haftungsregeln weltweit einzigartig seien und dass zu einer Klageflut kommen werde. Je näher der Tag des Referendums rückte, desto größer der Widerstand der Wirtschaft gegen die Gesetzesvorlage. Eine Reihe von Führungskräften multinationaler Konzerne sprach sich dagegen aus. Mehrere Unternehmen schalteten ganzseitige Inserate in Schweizer Zeitungen, in denen sie die Bevölkerung zur Ablehnung des Vorschlags aufforderten. Auch die Schweizer Volkspartei SVP machte aggressiv Stimmung gegen die Initiative. Dagegen hatte die Klarstellung der falschen Argumente durch die Initiative wenig auszurichten.

Ob das Signal für den Wirtschaftsstandort Schweiz, und damit auch für die dort angeseidelten multinationalen Konzerne, allerdings so positiv ist, bleibt abzuwarten. Von einer Annahme der Initiative in der sonst wirtschaftsliberalen Schweiz hätte also – anders als von den Wirtschaftsverbänden propagiert - eine wichtige Signalwirkung ausgehen können. Bereits 2010 hatte die Internationale Juristenkommission (ICJ) im Auftrag einer Koalition von zehn Schweizer NGOs eine Studie veröffentlicht, die untersucht, ob die Schweiz ihren Verpflichtungen zum Schutz der Menschenrechte und der Umwelt vor Fehlverhalten und Verstößen durch Unternehmen nachkommt. Ausgangspunkt für den Auftrag war die Tatsache, dass die Schweiz Sitzstaat zahlreicher global tätiger Unternehmen in Branchen wie etwa Pharma, Chemie, Maschinenbau, Nahrungsmittel und Finanzdienstleistung ist und ihr daher eine besondere staatliche Schutzpflicht zukommt. Die Studie deckte Lücken in der bestehenden schweizerischen Gesetzgebung und Politik auf, so zum Beispiel das Fehlen eines Aktionsplans im Themenbereich Menschenrechte und Unternehmen. Aufgrund von Lücken bzgl. der Förderung der Menschenrechte in der schweizerischen Gesetzgebung, so die Studie, seinen Unternehmen im Prinzip nicht verantwortlich für die Aktivitäten ihrer Tochtergesellschaften – und umgekehrt.

Auch Studien von NGOs werfen ein schlechtes Licht auf das Agieren von Schweizer Unternehmen im Ausland. Eine Desktop-Recherche von Greenpeace Schweiz zu LafargeHolcim ergab 122 Fälle skandalösen unternehmerischen Fehlverhaltens, meist Umweltverschmutzung und Menschenrechtsverletzungen, für die das Unternehmen verantwortlich ist oder Verantwortung übernehmen müsste. Eine Recherche von Public Eye ergab, dass das Unternehmen Glencore in der Mine Porco im bolivianischen Hochland für den Abbau von Zink, Blei und Silber tödliche Unfälle, Kinderarbeit und gravierende Auswirkungen auf die lokale Umwelt in Kauf nimmt. Die Initiative hatte die Rohstoffhandelsbranche als besonderen Problembereich ins Visier genommen. In der Schweiz sind einige der weltweit größten Rohstoffhandelsunternehmen ansässig, darunter Glencore, ein Produzent und Vermarkter von Metallen, Mineralien, Kohle und Öl, der ein besonderes Ziel der Befürworter der Initiative war.

Nicht zuletzt deswegen zeigte eine Umfrage der Konzernverantwortungsinitiative bereits 2016, dass 92 Prozent der Schweizer Bevölkerung sich wünschen, dass Unternehmen die Menschenrechte und Umweltvorschriften auch im Ausland einhalten müssen. In einer ähnlich gelagerten repräsentativen Umfrage von infratest dimap in Deutschland im September 2020 sprachen sich 75 Prozent der Befragten für ein Lieferkettengesetz aus. Laut Thomas Beschorner, Professor für Wirtschaftsethik und Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik der Universität St.Gallen, zeigt die Unterstüzung für Lieferkettengesetze, dass sich der Kapitalismus «mit Legimationsdiskursen konfrontiert» sieht und dass die Gesellschaft von Unternehmen «aus guten Gründen eine authentische und reale Übernahme von Verantwortung für ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten» einfordere, notfalls auch über ordnungspolitische Maßnahmen.

Die Schweizer Regierung hat angekündigt, dass mit der Ablehnung der Initiative nun ein von der Regierung vorgeschlagener milderer Gesetzesvorschlag in Kraft treten wird. Zwar schließt auch dieser Gesetzesvorschlag Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten mit ein, das Kernanliegen der Initiative, nämlich Schweizer Muttergesellschaften für Rechtsverletzungen und Umweltschäden, die im Ausland auftreten, haftbar zu machen, jedoch wurde ausgeschlossen. Für die Befürworter der Initiative greift der Gesetzesvorschlag, der voraussichtlich innerhalb der nächsten zwei Jahre in Kraft treten wird, auch vor dem Hintergrund der Studienergebnisse von 2016, viel zu kurz. Laut Andreas Missbach, Leiter Rohstoffe bei der NGO Public Eye, ehemals Erklärung von Bern (EvB), ist klar, «dass der Gegenvorschlag überhaupt keine Probleme lösen wird». Aufgrund des Votums drohe die Schweiz «wieder zu einer Regulierungsoase» zu werden, «die dubiose Konzerne aus dem Ausland anzieht». Laut Missbach hat die Initiative gerade deswegen viel Widerstand ausgelöst, weil sie dem traditionellen «hands-off»-Ansatz der Schweiz im Geschäftsleben zuwiderlaufe: «In der Schweiz steht es Unternehmen traditionell frei, ohne Regulierung zu tun, was sie wollen, aber das entspricht einfach nicht der Welt, in der wir heute leben», sagte er. Auch Monika Roth, Co-Präsidentin des Initiativkomitees, ist überzeugt, dass «Selbstverpflichtung ohne wirksame Kontrolle und Haftung nicht ausreichend sind, damit alle Konzerne internationale Umweltstandards und die Menschenrechte respektieren», und dass der indirekte Gegenvorschlag deshalb keine Verbesserungen bringen wird.

Auch aufgrund der jüngsten Entwicklungen in Europa könnte der Gegenvorschlag obsolet werden, bevor er überhaupt in Kraft getreten ist. So ist das Gesetz schwächer als entsprechende Gesetze in anderen europäischen Ländern, allen voran Großbritannien mit dem Modern Slavery Act 2015 und Frankreich mit dem 2017 verabschiedeten Sorgfaltsgesetzt, die bereits Haftungsgesetze bezüglich der sozialen Verantwortung von Unternehmen verabschiedet haben. Und auch EU-weit scheint Bewegung in das Thema gekommen zu sein. Im April 2020 verpflichtete sich der EU-Kommissar für Justiz, Didier Reynders, Anfang 2021 ein Gesetz über verbindliche Sorgfaltspflichten von EU-Unternehmen in den Bereichen Menschenrechte und Umwelt, die Haftungs- und Durchsetzungsmechanismen und den Zugang zu Rechtsbehelfsmaßnahmen für Opfer von Unternehmensmissbrauch umfassen wird, vorzulegen. Der Kommissar verpflichtete sich, diese Initiative – in Anbetracht der Coronavirus-Pandemie – nicht zu verschieben, und versicherte den Abgeordneten, dass sie sowohl Teil des Europäischen Grünen Deals als auch des Europäischen Konjunkturprogramms sein werde. Reynders kündigte an, dass die Initiatie sektorübergreifend sein wird, um nicht zu einer Marktfragmentierung zu führen, und die gesamte Lieferkette und alle unternehmensbezogenen Risiken, einschließlich der Menschenrechts-, Sozial- und Umweltrisiken, abdeckt.

Die Ankündigung des Kommissars erfolgte nach der Veröffentlichung einer Studie der Europäischen Kommission über die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht in der Lieferkette, die vom British Institute of International and Comparative Law durchgeführt wurde und die das Scheitern der freiwilligen Maßnahmen der Unternehmen unterstreicht und die Notwendigkeit verbindlicher Regeln auf EU-Ebene bekräftigt. Es bleibt dennoch abzuwarten, wie das Gesetz am Ende aussehen wird. Fakt ist, dass die Initiative der EU-Kommission nicht ohne den jahrelangen Druck seitens der Zivilgesellschaft zustande gekommen wäre und dass eben diese Zivilgesellschaft den Druck auch weiter aufrechterhalten muss. So lange, bis Unternehmen weltweit gesetzlich dazu verpflichtet sind, Menschen- und Umweltstandards in ihren Lieferketten einzuhalten und Verstöße rechtlich geahndet werden können.

Darüber hinaus gibt es auf globaler Ebene noch einen Weg zu gehen. Bisher richten sich Menschenrechts- oder Sozialrechtsverträge nur an Staaten und erlegen Unternehmen keine direkten Beschränkungen auf. Die meisten internationalen Standards, wie z.B. der Global Compact (2000) oder die Ruggie-Prinzipien (2011), sind unverbindlich und freiwillig. Seit 2015 haben die Vereinten Nationen jedoch internationale Debatten in Gang gesetzt, um ein «rechtsverbindliches Instrument» zu schaffen, das die Unterzeichnerstaaten dazu verpflichtet, sicherzustellen, dass transnationale Unternehmen die Menschenrechte respektieren. Eine breite internationale Koalition von Organisationen der Zivilgesellschaft unterstützt dieses Ziel. Jedes Jahr im Oktober findet in Genf eine Verhandlungssitzung statt. Dennoch ist die Ausarbeitung dieses Textes besonders langsam, weil die meisten Staaten keinen internationalen Vertrag wollen, der sie dazu verpflichtet, spezifische Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die auf ihrem Boden tätigen Unternehmen die Menschenrechte in ihrer gesamten Produktionskette respektieren. Da die Ethik globaler Wertschöpfungsketten zu einem globalen Thema geworden ist, ist es von wesentlicher Bedeutung, dass der in den Vereinten Nationen diskutierte Entwurf dieses international verbindlichen Instruments nachdrücklich unterstützt und in naher Zukunft zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht wird.