Kommentar | Parteien / Wahlanalysen - Südosteuropa Erdrutschsieg der links-grünen Koalition in Zagreb

Am Sonntag endete die 2. Runde der Kommunalwahlen in Kroatien mit einem klaren Sieg für links-grün.

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Nina Đurđević, Možemo! – politička platforma

Am vergangenen Sonntag (30.05.) endete die zweite Runde der Kommunalwahlen in Kroatien mit einem klaren Sieg für die links-grüne Koalition Možemo! (Wir können es!)

Deren Spitzenkandidat Tomislav Tomašević, der bereits einen deutlichen Vorsprung in der ersten Runde erringen konnte, wird nun Bürgermeister von Zagreb. Tomašević erhielt 65,25% der Stimmen und besiegte damit seinen rechtsextremen Rivalen Miroslav Škoro von der Heimatbewegung.

Možemo! steht dabei sowohl als Name für die Koalition, als auch für die politische Plattform, die Teil des aus fünf Parteiorganisationen bestehenden Koalitionsbündnisses ist. [Anm. der Redaktion]

Die Koalition unter Führung der politischen Plattform Možemo! gewann bereits in der ersten Runde 23 der 48 Sitze in der Zagreber Stadtverordnetenversammlung. Um regieren zu können, wird Možemo! vermutlich eine Koalition mit der Sozialdemokratischen Partei (SDP) eingehen, die fünf Sitze in der Versammlung errungen hat. Neben Tomašević als Bürgermeister wird Možemo! damit über eine komfortable Mehrheit in der Zagreber Stadtverordnetenversammlung verfügen und viele ihrer Vorhaben relativ geräuschlos umsetzen können.

Marko Kostanić arbeitet als Redakteur bei Bilten, einem Online-Magazin mit Sitz in Zagreb. Er ist außerdem Mitglied und Mitbegründer des Zentrums für Arbeitsstudien in Zagreb.

Nach einer Kurzanalyse zum ersten Wahlgang soll hier ein umfangreicherer Rückblick gegeben werden, der die Geschichte der Plattform, die Gründe für ihren Erfolg, ihr politisches und ideologisches Profil sowie ihr Organisierungspotential und ihre Ideen skizziert. Aufhänger sind dabei die Vorwürfe, die von Gegnern aus dem Lager der extremen Rechten gegen Tomašević und seine Mitstreiter:innen im Wahlkampf in den letzten zwei Wochen erhoben wurden. Es ist allgemeiner Konsens in Kroatien, dass es bisher noch nie eine so schmutzige Kampagne gab, voller Lügen, Unterstellungen und Manipulationen und alles darauf ausgerichtet, die links-grüne Koalition zu dämonisieren. Die Anschuldigungen zielten auf die «düstere Vergangenheit» der Plattform, ihren ideologischen «Extremismus» und die angebliche Unfähigkeit, eine Partei zu führen. Anhand der Dekonstruktion dieser Vorwürfe können wir den eigentlichen politischen Charakter der Plattform besser erklären.

Die Geburt der Politik von unten

Die rechten Rivalen behaupteten öffentlich, Možemo! wäre in Wirklichkeit ein Projekt von «professionellen Aktivisten», die keine authentischen Kämpfer:innen für das öffentliche Interesse und eine soziale Gerechtigkeit seien. Die ganze Bewegung sei eigentlich nur Tarnung, mit der der Geldzufluss von ausländischen Stiftungen und dem unvermeidlichen George Soros gesichert werden sollte.

Die Vorwürfe gingen in Richtung einer «ausländischen Gruppe», deren Mitglieder nur bedingt politisch selbständig agieren würden. Mit anderen Worten: Tomašević und seine Mitstreiter:innen seien auch keine organische Antwort auf die politischen Probleme Kroatiens, sondern ein zufälliges Ergebnis der Einmischung internationaler Geldgeber.

In einem Punkt haben die Vertreter:innen der Rechten allerdings recht. Die meisten der wichtigsten Mitglieder der Plattform haben ihren politischen Weg in verschiedenen NGOs - dem so genannten dritten Sektor - begonnen. Sei es bei Umwelt-NGO`s, Menschenrechts-NGO`s, Anti-Gentrifizierungs- und Kultur-NGO`s oder NGO`s, die sich mit Gewerkschaftsarbeit und der Frage von Arbeiter:innenrechten beschäftigen.

Die extreme Rechte liegt auch in einem weiteren Punkt nicht gänzlich falsch, nämlich der nicht unbegründeten Skepsis gegenüber dem politischen Handeln dieses dritten Sektors allgemein. Sonst waren aber alle Behauptungen schlichtweg falsch.

Die Aktivist:innen, die jetzt ins Stadtparlament einziehen, sind keine Leute, die sich in ihren NGO`s eingerichtet und diesen dritten Sektor als ihre exklusive, geschlossene Nische verstanden haben. Sie nutzten diese Möglichkeit vielmehr, ihre konkreten politischen Ideen umzusetzen und herrschende politische Prozesse zu beeinflussen. Mit anderen Worten: Sie unterrichteten über ihre Arbeit nicht nur ihre Geldgeber, sondern vor allem auch die Gesellschaft, die Kommune, in der sie leben und arbeiten. Die bekannteste Episode war sicherlich die Massenmobilisierung von Bürger:innen im Sommer 2010 gegen die Privatisierung des öffentlichen Raums in der Zagreber Innenstadt. Sie waren aber auch an vielen anderen Fronten aktiv.

Vom Kampf für die Rechte der Arbeiter:innen der Kamensko-Textilfabrik, die durch Immobilienspekulationen zerstört wurde, bis zum Kampf gegen die Privatisierung des staatlichen Autobahnnetzes. Außerdem profilierten sich einige Mitglieder politisch im Kampf für freie Bildung beim großen Studierendenstreik 2009, bei dem auch die Fakultätsgebäude der Universität Zagreb besetzt wurden. Damals wurde auch zum ersten Mal nach dem Zerfall Jugoslawiens eine explizit linke Rhetorik im öffentlichen Raum wieder auf breiter Ebene benutzt. In diesem Prozess kam es zu einem Moment der politischen Innovation.

Die spezifische Struktur des NGO-Sektors und die Art der Projektfinanzierung wirken im Allgemeinen als Hemmschuh für konkrete politische Arbeit in der Gemeinschaft. Die Aktivist:innen von damals, die heute als Možemo! politische Arbeit leisten, haben jedoch einen Weg gefunden, den Rahmen und die Ressourcen dieser Struktur zu ihrem Nutzen umzuwandeln. Aber nicht um diese Ressourcen für persönliche Vorteile zu nutzen, wie der politische Gegner ihnen unterstellt, sondern um sie im Kampf für ihre Ziele im breiten öffentlichen Interesse einzusetzen, die weit über das hinausgehen, was sie in ihren Projektvorschlägen formuliert haben. In gewisser Weise haben sie die Projektsprache des NGO-Sektors ernst genommen.

Sie haben erkannt, dass aktivistisches Engagement nicht ausreicht, um Veränderungen zu erwirken. Also betraten sie die politische Arena. Obwohl sich die Parameter ihres Handelns änderten, blieb das Grundmuster aus der «aktivistischen Periode» bestehen. Es basiert darauf, kommunale Bedürfnisse zu erkennen und die Menschen auf lokaler Ebene einzubinden. Inspiration zogen sie dabei aus verschiedenen Beispielen des Munizipalismus in ganz Europa, und diese wandten sie dann auf die spezifischen lokalen Bedürfnisse in Zagreb an. Dieser Ansatz, mitsamt der spezifischen politischen Geschichte Zagrebs in den letzten 20 Jahren, die durch den langjährigen Bürgermeister Milan Bandić ― ein Symbol für Korruption im Land ― geprägt war, wurde zum Schlüssel des steilen Aufstiegs der Koalition bei diesen Wahlen und ihrem unglaublichen Ergebnis. Die Beteiligung an der Verbreitung politischer Ideen schuf eine breite Basis engagierter Menschen, die monatelang durch die Stadt tourten, mit den Menschen sprachen, sie einluden, sich an der Programmgestaltung zu beteiligen, und vor allem: sie boten ihnen ein Maß an politischer Überzeugung, das den meisten bis dato unbekannt war. Tomašević erhielt bei den Wahlen zum Bürgermeister von Zagreb die höchste Stimmenzahl, die jemals ein Bürgermeisterkandidat erreicht hatte. Dies zeigt: Die Menschen haben erkannt, dass hinter dem Aktivismus ein ehrliches Engagement für die Belange der Gemeinschaft steht und nicht eine Täuschung, um politische Macht und finanziellen Profit zu erlangen.

Die Gesellschaft ist gespalten – die Herausforderungen hoch

Die politisch-ideologische Dimension von Možemo! ist etwas komplexer, als es der Versuch der Rechten, Možemo! zu diskreditieren, erahnen lässt. Es gibt von Seiten der Rechten zwei gegensätzliche Theorien darüber, was Možemo! eigentlich ist. Die eine besagt, dass die Farbe Grün nur ein Schwindel sei, dass sie in Wirklichkeit extreme Kommunisten sind. Die andere Theorie behauptet, dass das Grüne kein einfaches Etikett sei, sondern vielmehr ein Beweis dafür, dass Možemo! und ihre Koalition keine «echte» historische Linke sei, sondern eine softe Hipster-Variante. Als sich der Wahlkampf in der zweiten Runde zuspitzte, dominierte die erste Theorie zusehends und nahm immer karikaturistischere Züge an. Obwohl beide Theorien in verschiedenen Versionen ziemlich irrsinnig waren, stützten sie sich auf die ideologische Ambivalenz sowohl innerhalb der Koalition als auch der politischen Plattform Možemo! selbst.

Možemo! verbirgt nicht, dass sie sich selbst als Linke betrachten. Diese Linke ist aber breit genug, dass sich auch jemand, der ideologisch in der Mitte positioniert ist, mit ihr identifizieren kann. Das wurde möglich, weil ihr politisches Engagement insbesondere mit städtischen und kommunalen Themen verbunden ist - sie also für eine Ideologisierung wenig instrumentalisierbar sind. Možemo! bemühte sich außerdem, jede Art von explizit linker Symbolik oder radikaler Haltung zu vermeiden. Das war für den Wahlkampf sinnvoll, weil eine möglichst breite Unterstützung in der Bevölkerung angestrebt wurde, wird aber bei den kommenden politischen Entscheidungen zur Herausforderung.

Diese Symbolik ist nicht einfach so entstanden, sondern ist das Ergebnis vorheriger Kämpfe um konkrete soziale Probleme. Einige dieser Kämpfe basierten auf sozialen Hintergründen und Klassenfragen. Možemo! setzt sich zwar ausdrücklich für wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit ein, benennt aber (vorerst) keine politischen Mechanismen, mit denen diese Ziele erreicht werden sollen. Genauer gesagt setzen sie auf Lösungen, die für jede und jeden, unabhängig von sozialem Status, verständlich erscheinen. Dies half ihnen, bei der Bevölkerung eine breite Unterstützung bei der Stimmabgabe zu sichern, aber der soziale Hintergrund der Wählenden bleibt divers und kann zukünftig zu politischen Spannungen führen. Das ist das Risiko einer breiten und inklusiven Kampagne.

In dem Bestreben, sich einen Teil der Wählerschaft in der Mitte zu «schnappen», begann die extreme Rechte in den letzten Tagen des Wahlkampfes, die Finanzberichte von Organisationen zu «veröffentlichen», deren Mitglieder auch der links-grünen Koalition angehören. Dabei achteten sie nicht allzu sehr auf Fakten und Zahlen, sondern hatten nur ein Ziel: ihre Rivalen als Schmarotzer von öffentlichen Geldern darzustellen. Angeblich hätten sie NGO`s benutzt, um Geld aus dem Staatshaushalt für ihre persönlichen Vorteile und Gewinne zu ziehen und nun würden sie als kommende Regierung direkt auf das Geld zugreifen können. Die Rechte versuchte, mit der Angst vor dem Missbrauch von Steuergeldern zu spielen. Sei es eine ideologische Angst vor hohen Steuern und öffentlichen Ausgaben, die in den kroatischen Mainstream-Medien vorherrscht oder eine konkrete Angst von Handwerkern und Kleinunternehmern vor zu hoher Besteuerung. Diese Taktik hat aus zwei Gründen nicht gefruchtet. Der erste betrifft die ideologische Sensibilität der städtischen Liberalen, die nicht so leicht der rechtsextremen Rhetorik auf den Leim gehen. Und der zweite hängt mit der ideologischen Profilierung der links-grünen Koalition zusammen, deren Ursprung in einer breiten Anti-Korruptions-Koalition liegt. Dabei sehen einige Mitglieder der Koalition in der Korruptionsbekämpfung in erster Linie ein Instrument, um öffentliche Ausgaben zu bremsen, während andere sie als ersten Schritt im Kampf für eine gerechtere und gleichberechtigte Gesellschaft betrachten. Obwohl das Programm von Možemo! zur zweiten Option tendiert, bleibt abzuwarten, ob es sich überzeugend genug in diese Richtung bewegen wird.

Von diesem Hin und Her hängt der weitere politische Erfolg der Koalition ab. Alle bisherigen Optionen, die ihren politischen Weg mit dem Kampf gegen die Korruption begannen, hatten einen ähnlichen ideologischen Rahmen: Transparenz der öffentlichen Finanzen und Kürzung der öffentlichen Ausgaben. Možemo! muss zeigen, dass sie darüber hinausgehen können. Das Kriterium für ihren Erfolg wird an der Veränderung des ideologischen Klimas im Lande gemessen werden. Sie müssen beweisen und zeigen, dass positive Veränderungen in der öffentlichen Verwaltung nicht nur in der Korruptionsbeseitigung liegen. Ihre Aufgabe wird es sein, die öffentliche Verwaltung und die öffentlichen Institutionen in Orte wirtschaftlicher und sozialer Innovation und des allgemeinen Schutzes vor den Launen des Marktes umzuwandeln. Diese Aufgabe wird keineswegs einfach sein, denn der Zustand, in dem sich die Verwaltung, die Institutionen und die städtischen Unternehmen derzeit befinden, ist erbärmlich. Sei es durch träge Mitarbeiter, rechtliche Hürden, undurchsichtige Geschäftsinteressen oder offene Sabotage. Erschwerend kommt noch die diverse Zusammensetzung der Wähler:innen und Sympathisant:innen hinzu. Ihre Interessen stimmen teilweise überein, wie etwa in der Frage nach höherer Transparenz städtischer Finanzen. Teilweise stimmen sie aber auch nicht überein, etwa bei der Frage nach der Umverteilung öffentlicher Mittel und Ressourcen. Auch werden Machtpositionen und stärkere Ambitionen auf staatlicher Ebene die Notwendigkeit einer expliziteren ideologischen Positionierung zum Nationalismus mit sich bringen. Ein Erfolg bei der Transformation der Zagreber Unternehmen und Institutionen, der politisch und wirtschaftlich mit Abstand wichtigsten Kommunalverwaltung des Landes, würde der Koalition in der zu erwartenden Konfrontation mit dem Nationalismus auf Landesebene dabei sicherlich behilflich sein.