Nachricht | Ostafrika - Sozialökologischer Umbau - COP26 - Green New Deal - Klimagerechtigkeit Grüne Zukunft oder leerer Traum?

Die Vierte Industrielle Revolution, aus der Perspektive eines Entwicklungslandes betrachtet

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Dorothee Braun,

Männer arbeiten in Goldmine
Minenarbeiter in Mgusu, Tansania. Foto: picture alliance / Sandra Gätke | Sandra Gätke

In Tansania kann derzeit beobachtet werden, dass die Person des Präsidenten oder der Präsidentin wichtiger ist als das Präsidentschaftsamt selbst. Im Laufe weniger Wochen, so scheint es, kehrt die vormalige Vizepräsidentin Tansanias, Samia Suluhu Hassan, buchstäblich alles ins Gegenteil um: Politikentscheidungen, Errungenschaften, vehemente Kritik an Missständen demokratischer Verfahren und Verletzungen von Bürger- und Menschenrechten durch das Regime des kürzlich verstorbenen Präsidenten Tansanias. Obgleich jegliche Bewertung verfrüht wäre, nach nur sechs Wochen im Amt, fürchten kritische Beobachter, von einem Extrem ins andere zu geraten: von einem Präsidenten, der die Begrenzung der Räuberei von Bergbauriesen als «Krieg» bezeichnete, zu einer Präsidentin, die sich angesichts der wirtschaftlichen Abhängigkeit des Landes nicht in der Lage sieht, ausländischen Investoren die «Muskeln zu zeigen».

Dorothee Braun leitet das Regionalbüro Ostafrika der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Stattdessen lädt sie zur Fortsetzung potenzieller Räuberei ein. Das Erbe Magufulis soll, folgt man den Debatten im Parlament und in den sozialen Medien, möglichst vergessen werden. Zentrale Begriffe in den Reden Magufulis gilt es aus dem Sprachgebrauch zu löschen. Der Begriff «wanyonge» (Bettelarme/zu Bemitleidende) teile die Gesellschaft, der Begriff «ubeberu» (Imperialismus) kritisiere Investor*innen wie Vertreter*innen der Entwicklungspartner.

Die Bergbauindustrie Tansanias

Es ist wenig verwunderlich, dass die Bergbauindustrie den Kurswechsel der neuen Präsidentin mit Freuden aufnahm. Der Vorsitzende der Tansanischen Bergbau-Kammer (Tanzania Chamber of Mines), Philbert Rweyemamu von Barrick Gold, äußerte sich optimistisch, da sich mit den bis dato ausstehenden Mehrwertsteuer-Erstattungen in angeblicher Höhe von mehreren Millionen US-Dollar durch den tansanischen Staat das Investitionskapital des Unternehmens erhöhe. Wo immer das Finanzministerium Schwierigkeiten sehe, Steuern zu erlassen, so die Präsidentin, sehe sie sich in der Verantwortung, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Auch die Möglichkeiten zum Abbau mineralischer Ressourcen in Naturschutzgebieten müssten einer komparativen Kosten-Nutzen-Analyse unterzogen werden.

Ebenso wenig verwunderlich ist, dass die westliche Medienberichterstattung in den Wochen vor Magufulis Tod kein Wort darüber verlor, dass der Präsident dem Bergbauriesen Barrick und dem Rohstoffhandel- und Bergbau-Unternehmen Glencore den letzten Strich durch die Rechnung machte. 2018 entzog er beiden Unternehmen die Lizenz zum Abbau der im Nordwesten Tansanias, an der Grenze zu Burundi gelegenen Kabanga-Nickel-Lagerstätte.

Fluch und Segen zugleich

Tansania ist mit dem Segen oder Fluch gigantischer Vorkommen mineralischer Rohstoffe ausgestattet, die unter anderem für die Technologie-Entwicklung der «Vierten Industriellen Revolution» oder einer «grünen» Zukunft unabdingbar sind. Nickel, Kobalt und Graphit werden für die Entwicklung zukünftiger Batterietechnologie benötigt. Will man ihre Marktdurchdringung sichern, wird man auf die gigantischen tansanischen Lagerstätten von 18 Millionen Tonnen Graphit, 58 Millionen Tonnen Nickel und etwa 45.000 Tonnen Kobalt angewiesen sein. Laut Schätzungen des World Economic Forum (WEF) wird sich die Nachfrage nach Nickel mit hohem Reinheitsgrad im Jahr 2030 im Vergleich zu 2018 um den Faktor 24 erhöhen, die nach Kobalt vervierfachen. Laut Angaben von Barrick und Glencore aus dem Jahr 2014 beherbergt Kabanga das weltweit größte Nickelvorkommen, das in seinem Reinheitsgrad einmalig ist.

Die Analyse des Rechtswissenschaftlers Friedrich Müller aus dem Jahr 2012 bringt – trotz Zunahme an Komplexität und Anzahl der Akteure – die Perspektive von Ländern, die sich in der Peripherie kapitalistischer Durchdringung befinden, auf den Punkt. Das, was wir semantisch verniedlichend Globalisierung nennen, sei eben nicht nur eine bloß technische wirtschaftliche Integration der Welt, ein rasantes betriebs- und volkswirtschaftliches Umstrukturieren und Anwachsen gegenseitiger ökonomischer Abhängigkeiten. «Es ist vor allem ein neuartiges Gewalt- und Machtspiel, eine aus dem Hintergrund steuernde, nichtdemokratische planetare Exekutive aus IWF, Weltbank, WTO, OECD und den G8-Gipfeln. Es ist ein ebenso abstraktes wie brutales Anwenden der ökonomischen Modelle und der wirtschaftspolitischen Ideologie der reichsten westlichen Industrieländer auf die Gesellschaften der so genannten Peripherie.»

Mineralischer Reichtum ≠ Lebenswirklichkeit der Bevölkerung

Während seiner gesamten Amtszeit weigerte sich Präsident Magufuli, staatliches Handeln auf regulatorische Aufgaben zu beschränken. Bergbau-Unternehmen freuten sich über Jahrzehnte über relativ niedrige Steuersätze und eine schwache Regulierungsaufsicht. Das sollte sich mit der Amtsübernahme Magufulis ändern. Denn obgleich Tansania zu den Spitzenproduzenten mineralischer Rohstoffe gehört, ist der Bedarf an einem strukturellen Umbau der Wirtschaft nach wie vor groß. Der mineralische Reichtum übersetzt sich nicht in die Lebenswirklichkeit der Mehrheit der Bevölkerung. Verdient wird anderswo, wie sich am Beispiel des seltenen Minerals Tansanit zeigen lässt. Indien verarbeitet 95 Prozent der in Tansania abgebauten Edelsteine und macht einen jährlichen Umsatz von 300 Millionen US-Dollar, gefolgt von Kenia mit 100 Millionen. Tansania hängt mit gerade einmal 38 Millionen weit hinterher.

Die auf reiner Rohstoffgewinnung basierenden Wirtschaftsbeziehungen suchte die Regierung Magufulis umzukehren. Sie überarbeitete nicht nur das Regime von Steuersätzen, Unternehmensbeteiligung und regulatorischer Aufsicht. Auf der Grundlage zweier zuvor verabschiedeter Gesetze entzog sie 2018 etliche der bestehenden Lizenzen für den Abbau von Gold, Silber, Nickel, Kupfer und seltenen Erden und setzte die Vergabe neuer Lizenzen zunächst aus. Im Januar 2021 schloss Tansania eine Rahmenvereinbarung mit dem Familienunternehmen Kabanga Nickel Limited zum Abbau der Lagerstätte ab. Mit der Anwendung hydrometallurgischer Verfahren, so die Vereinbarung, soll nicht nur der ökologische Fußabdruck vermindert, sondern die Vision Tansanias in die Realität überführt werden, sich zu einem Knotenpunkt der Metallgewinnung und -raffination zu entwickeln.

Folgt man dem Szenario der Global Battery Alliance/WEF, so steigt der Umsatz entlang der Wertschöpfungskette bis 2030 um das Achtfache. 45 Prozent entfallen auf die Batteriefertigung, 24 Prozent auf die Metallraffination. Ob die Batterietechnologie jedoch eine zukunftsfähige Lösung für die Dekarbonisierung der Transportindustrie anbieten wird, ist eine ganz andere Frage. Angesichts der marginalen Recyclingraten von derzeit gerade mal 7 Prozent Rückgewinnung des globalen Metallbedarfs und der hohen Klima-, Sozial- wie Umweltkosten der Metallgewinnung fühlt man sich an die Worte des ehemaligen UNEP-Exekutivdirektors Klaus Töpfer erinnert. In seinem Vortrag «Märkte wieder in den Dienst der Menschen stellen» kritisierte er die Dominanz der Technik in der Gesellschaft und deren Herangehensweise, durch den Einsatz von Technologie entstandene Entwicklungen immer wieder durch andere Technologien korrigieren zu wollen. Heute, so Töpfer, geben die Märkte den Zeittakt für Entscheidungen vor, und demokratische Institutionen geraten ins Hintertreffen. Aus diesen Aspekten erwachse ein Sachzwang, der sich auf gegenwärtige Entscheidungen insofern auswirke, als diese oft als alternativlos bezeichnet würden.

In seinem Bericht wägt der WEF die lokale Verortung hoher Umwelt- und Sozialrisiken in den Abbaugebieten gegen die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der Technik zur Erreichung der globalen Nachhaltigkeitsziele ab. Afrika ist ein gigantischer Markt: Elektrifizierung ländlicher Gemeinschaften, Verminderung von Nachernteverlusten oder die Schaffung von Erwerbsmöglichkeiten – die Batterietechnologie ist vielfältig einsetzbar. Solange jedoch die Strategien einer «grünen» Zukunft auf der Fortsetzung einer asymmetrischen Wirtschaftsordnung beruhen und keinerlei Lösungen für deren Abbau andenken, bleibt eine Zukunft, wie sie sich die Staatengemeinschaft ins Heft geschrieben hat, ein leerer Traum für die «wanyong». Sie sind Landnahme, Umweltzerstörung und Tyrannei ausgesetzt, und alles bleibt unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung.

Es wäre ein erster Schritt, wenn Unternehmen seitens der Staatengemeinschaft in die Pflicht genommen würden, über ihre wahren Umwelt- und Sozialkosten entlang der Wertschöpfungskette Rechenschaft abzulegen. Der Aufbau von Ingenieur-, Forschungs- und Produktivitätskapazitäten in den Abbauländern selbst wäre ein notwendiger zweiter.

Dieser Artikel ist im Original in der maldeskstra erschienen – Globale Perspektiven von links: Das Auslandsjournal

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Diese großen Themen werden bei maldekstra entlang von konkreten Perspektiven anschaulich erzählt: internationale Partner und Personen der Rosa-Luxemburg-Stiftung werden vorgestellt, Fachdebatten übersetzt und sowohl die Vielfalt, als auch das Gemeinsame internationaler Entwicklungen aufgespürt. Möglicherweise erscheint die Welt dabei anders als bisher gewohnt – in einer linken weltgesellschaftlichen Perspektive. 

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