Kommentar | Geschichte - Deutsche / Europäische Geschichte - Afrika - Südliches Afrika Entschuldigung und Entschädigung

Überlegungen zum deutsch-namibischen Reparationsabkommen über den Völkermord an den Herero und Nama

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Namibische Aktivist*innen wie Esther Muinjangue protestieren gegen die unzureichende Aufarbeitung des deutschen Völkermordes an den Ovaherero und Nama während der Rückgabe menschlicher Gebeine an Namibia, 29. August 2018, Berlin Foto: picture alliance / AA | Abdulhamid Hosbas

Am 2. Oktober 1904 verlas General Lothar von Trotha auf einem kleinen Hügel im zentralnamibischen Otjinene seinen berüchtigten Vernichtungsbefehl gegen die Ovaherero: «Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen.» Ein ähnlicher Befehl wurde im darauffolgenden Jahr gegen die Nama erlassen. Es wurden Konzentrationslager errichtet, in denen die Ovaherero und Nama Zwangsarbeit für ihre deutschen Kolonialherren verrichten mussten.

Bayron van Wyk studierte Geschichte auf Bachelor und nun Anthropologie auf Master an der University of the Western Cape (UWC) in Südafrika. Seine Forschung beschäftigt sich mit dem Erinnerungsaktivismus des Völkermordkommittees im südlichen Namibia.

Eines dieser Lager befand sich in der Lüderitzbucht (im heutigen ǃNamiǂNûs) auf der Haifischinsel, die wegen der hohen Sterberate auch «Todesinsel» genannt wurde. Zahlreiche weitere Lager gab es in Windhuk und Swakopmund. Ein nicht weniger grauenvoller Aspekt dieses Völkermords war die Verschiffung von Leichen nach Deutschland und ihre Verwendung in pseudowissenschaftlichen Experimenten.

Mehr als 117 Jahre später, am 28. Mai 2021, ging die Einigung Deutschlands und Namibias über Entschädigungszahlungen durch die internationale Presse. Seit Mitte 2015 hatten beide Regierungen geheime Verhandlungen über den Umgang mit «Deutschlands erstem Völkermord» geführt.

Die Fehler der Vergangenheit wiedergutmachen

Nach der Unabhängigkeit im Jahr 1990 verfolgte Namibia eine Politik der nationalen Versöhnung, um sich mit seiner schwierigen Kolonialvergangenheit auseinanderzusetzen. Über ein Jahrhundert lang waren Schwarze Namibier*innen kolonialer Herrschaft und Ausbeutung unterworfen gewesen, erst durch das Deutsche Reich von 1884 bis 1915, dann durch Südafrika, das das Land von 1915 bis 1990 besetzte und 1945 dort sein Apartheidregime installierte. Die Politik der nationalen Versöhnung sollte dabei helfen, die Folgen von über 100 Jahren Unterwerfung zu bewältigen.

Doch der Erfolg blieb aus: Statt die breite Öffentlichkeit in den Prozess zu involvieren, entschied sich die namibische Regierung im Umgang mit der Kolonialvergangenheit für eine Politik von oben, die an die alten, von Kolonialismus und Apartheid bekannten Hierarchien erinnerte. Klar zum Ausdruck kommt dieser Top-Down-Ansatz in den Reden des ersten Präsidenten des unabhängigen Namibias, Sam Nujoma. Die praktische Folge war, dass der Landbesitz – die wichtigste Wohlstandsquelle der traditionellen namibischen Stammesgemeinschaften – größtenteils in der Hand einer kleinen, aber einflussreichen weißen Minderheit verblieb. Programme zur Landumverteilung, eine entscheidende Komponente der nationalen Versöhnung, haben wenig an dieser Situation geändert.

Aktivist*innen wandten sich damals gegen diese Form der Versöhnung und sprachen sich für einen Weg aus, wie ihn Südafrika beschritt. Dort wurde nach dem Ende der Apartheid 1994 die Wahrheits- und Versöhnungskommission (Truth and Reconciliation Commission, TRC) ins Leben gerufen, um Diskussionen über die Verbrechen des Apartheid-Regimes anzustoßen. Viele, die unter dieser Herrschaft gelitten hatten, sagten vor Gericht aus, während die Verantwortlichen des Regimes angeklagt wurden und später Amnestie erhielten. Die TRC wurde aber auch dafür kritisiert, einen beträchtlichen Teil des Unrechts, das das Apartheid-System hervorgebracht hatte, nicht thematisiert zu haben. Obwohl die Kommission eine umfassendere gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ermöglichte, bestehen zahlreiche Erblasten fort, darunter, wie auch in Namibia, die Frage des Landbesitzes.

Die Bemühungen der Aktivist*innen waren jedoch vergebens, da auch der namibischen Regierungspartei SWAPO Menschenrechtsverletzungen während des nationalen Befreiungskampfs vorgeworfen wurden. Die Regierung verweigerte eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Themen, die mit der Kolonialvergangenheit des Landes zusammenhängen. Verbrechen, die Deutschland, Südafrika und sogar die SWAPO während der Kolonialzeit begangen hatten, wurden unter den Teppich gekehrt.

Das änderte sich Mitte der 1990er Jahre, als Ovaherero- und Nama-Aktivist*innen Wiedergutmachung für die deutschen Kolonialverbrechen gegen ihre Vorfahren forderten. Insbesondere verlangten sie von Deutschland eine Entschuldigung sowie Reparationszahlungen für den Völkermord. Ihre Weigerung, die Vergangenheit auf sich beruhen zu lassen und einfach zu vergeben und zu vergessen, hat die namibische und die deutsche Regierung gezwungen, sich ernsthaft um Aussöhnung zu bemühen. Das Entschädigungsabkommen zeigt das deutlich. Doch obwohl es einen Fortschritt gegenüber früheren Versuchen darstellt, ist es mit zahlreichen Problemen behaftet. Viele der Gemeinschaften, deren Vorfahren dem Völkermord zum Opfer gefallen sind, haben kritisiert, dass ihre Perspektive auf Aussöhnung bei den Reparationsverhandlungen außen vor geblieben ist.

Der Kampf für Restorative Justice beginnt

In den Jahren nach dem Ende der südafrikanischen Aparteid-Herrschaft setzte ein Kampf um Restorative Justice (wiederherstellende Gerechtigkeit) ein. Den Anfang machte eine berühmte Kampagne des mittlerweile verstorbenen Obersten Anführers der Ovaherero, Kuaima Riruako, und seiner Gefolgsleute, die beim ersten Staatsbesuch hochrangiger deutscher Vertreter, dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl und Bundespräsidenten Roman Herzog, Proteste organisierten. Sie forderten von der deutschen Regierung eine Anerkennung des Völkermords, eine offizielle Entschuldigung sowie Entschädigungszahlungen an die Ovaherero. Wenig überraschend lehnte die deutsche Regierung ab, woraufhin Riruako einen Prozess gegen Deutschland sowie Privatunternehmen wegen Beteiligung am kolonialen Völkermord anstrengte.

Reparationsforderungen bekamen mit dem 100-jährigen Gedenken an Kolonialkrieg und Völkermord 2004, 2005 und 2007 neuen Nachdruck. 2004 entschuldigte sich die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Heidemarie Wieczorek-Zeul in Ohamakari offiziell bei den Ovaherero. Die Bundesregierung zog die Entschuldigung jedoch wieder zurück.

Am 19. September 2006 reichte Riruako einen «Reparationsantrag» im namibischen Parlament ein. Darin wurden die deutsche und die namibische Regierung aufgefordert, bilaterale Gespräche über Entschädigungszahlungen für den Völkermord aufzunehmen. Der Antrag erhielt breite Zustimmung unter den Abgeordneten. Allerdings dauerte es rund ein Jahrzehnt, bis offizielle Regierungsgespräche aufgenommen wurden. Die Verhandlungen begannen Mitte 2015, nachdem das deutsche Außenministerium die Ereignisse zwischen 1904 und 1908 als Völkermord anerkannt hatte.

Ebenso bedeutend war die Rückgabe von menschlichen Überresten und Kulturgütern an Namibia in den Jahren 2011, 2014 und 2018, nachdem sich Aktivist*innen aus den Gemeinschaften dafür eingesetzt hatten.

Namibias Verhandlungsstrategie

Von 2016 bis 2021 fanden insgesamt neun Verhandlungsrunden statt. Der langgediente Diplomat Dr. Zedekia Ngavirue, der im Juni 2021 den Folgen einer SARS-CoV-2-Infektion erlag, verhandelte als Sondergesandter und Chefunterhändler der namibischen Regierung mit dem deutschen Sonderbeauftragten Ruprecht Polenz.

Laut einer offiziellen Pressemitteilung des Vizepräsidenten Nangolo Mbumba kam es zu sieben Beratungstreffen zwischen Dr. Ngavirue und traditionellen Autoritäten, die «in vollem Umfang in die Verhandlungen einbezogen waren». Nicht an diesen Beratungen teilgenommen haben allerdings die wichtigsten Vertretungen der betroffenen Gemeinschaften, die Ovaherero Traditional Authority (OTA) und die Nama Traditional Leaders Association (NTLA), die sich aus Sorge, im Prozess nur eine untergeordnete Rolle zu spielen und sich von der namibische Regierung vertreten lassen zu müssen, aus den Verhandlungen herausgehalten haben. Den Regierungsvorschlag, die Gemeinschaften in rein beratender Funktion einzubinden, lehnten beiden Gruppen ab, da sie am Verhandlungstisch nicht bloß Zuschauer*innen sein wollten.

Sie forderten, dass die Gemeinschaften eine entscheidendere Rolle spielen und mit am Verhandlungstisch sitzen sollten. Doch ihre Bedenken wurden von Anfang an nicht ernst genommen. Deutschland verweigerte Direktverhandlungen mit den Gemeinschaften und beharrte auf ausschließlich zwischenstaatlichen Vereinbarungen, obwohl es in den 1950er Jahren mit der israelischen Regierung und mehreren kleineren jüdischen Organisationen verhandelt hatte. Die namibische Regierung betrachtet sich als zentrale Vertretung der namibischen Bevölkerung und sieht daher keine Notwendigkeit, die Gemeinschaften über Beratungen hinaus aktiv an den Verhandlungen zu beteiligen.

Dies hängt mit einer UN-Erklärung von 1976 zusammen, die die SWAPO als «einzige und echte Vertretung des namibischen Volks» anerkannte und ihr ein Vorrecht bei den langwierigen Unabhängigkeitsverhandlungen Namibias verschaffte, während andere Beteiligte, darunter die älteste politische Partei des Landes, SWANU, außen vor blieben. Nach der Unabhängigkeit versuchte die SWAPO, die sich als wichtigste Kraft bei der Befreiung des Landes betrachtete, den Staat entlang der eigenen Parteilinie aufzubauen. Dadurch verwischten die Grenzen zwischen Partei und Staat.

Einige Vertreter*innen aus kleineren Ovaherero-Königshäusern und traditionellen Nama-Gruppen haben sich jedoch auf den Regierungsvorschlag eingelassen und sind seither in beratender Funktion in die Regierungsstrukturen bei den Verhandlungen eingebunden. Zu diesen Gruppen gehören die Königshäuser Zeraua, Maharero und Kambazembi sowie bei den Nama die Vallgras, !Aman und /Hai-/Khaua aus Berseba. Diese Gruppen bilden zusammen das Chief’s Forum, das offiziell von der Regierung eingerichtet wurde und zu insgesamt acht Beratungstreffen zusammentrat, bei denen sie von einem Technischen Komitee unter Leitung von Richter Tonata Emvula mit Recherchen unterstützt und zu Geschichte und Wirtschaft beraten wurden. Der Vizepräsident ließ zudem einen Kabinettsausschuss einrichten.

Ohne näher auf den Verhandlungsprozess einzugehen, gestand Mbumba ein, dass die von der deutschen Regierung gebotene Entschädigung von 1,1 Mrd. Euro (18 Mrd. Namibische Dollar), die über einen Zeitraum von 30 Jahren gezahlt werden soll, weit von Namibias Zielvorstellungen entfernt ist. Das Verhandlungsteam hatte ursprünglich 70 Mrd. Euro (1,1 Bio. Namibische Dollar) gefordert und dafür den Verlust an Menschenleben, Existenzgrundlagen und Gemeinschaftsland angeführt. Deutschland bot dagegen nur kärgliche 289 Mio. Euro und sprach von «Zahlungen zur Heilung der Wunden» statt von Reparationen für den Völkermord. Das zweite Angebot Deutschlands lag mit 300 Mio. Euro nur wenig höher, wohingegen das dritte über 700 Mio. Euro noch zusätzlich 780 Mio. Euro an Entwicklungshilfekrediten umfasste. Doch die namibische Regierung wies alle diese Angebote zurück, sodass Deutschland sein Angebot schließlich auf 1,1 Mrd. Euro erhöhte. Namibia akzeptierte diese Summe, nachdem Deutschland zusätzlich anbot, eine Landreform zu finanzieren. Zudem wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor dem namibischen Parlament offiziell um Entschuldigung bitten. All diese Vereinbarungen sind in einer «gemeinsamen Erklärung» der deutschen und namibischen Regierung festgehalten.

Nicht genug, aber besser als nichts

Mbumba betonte, dass die Regierung «nicht stolz auf die Entschädigungshöhe» sei, aber dass die «Unterhändler unter den gegebenen Bedingungen ihr Möglichstes getan» hätten. Er hob auch hervor, dass Deutschland Namibias teures Landreformprogramm finanzieren werde.

Zu Beginn der Unabhängigkeit erließ die namibische Regierung eine Regelung zur Landumverteilung, die dem problematischen Prinzip «willing buyer, willing seller» («kaufbereiter Käufer, verkaufsbereiter Verkäufer») folgt und dem Staat ein Vorkaufsrecht bei Landverkäufen einräumt. 540 Mio. Euro der Entschädigungssumme sind für die weitere Landumverteilung vorgesehen. Diese Umverteilungspolitik ist jedoch wegen ihres langsamen Tempos kritisiert worden. Daneben gibt es die umstrittene Nationale Umsiedlungspolitik (ein entscheidender Bestandteil der Landumverteilung).

Nicht wenige Oppositionspolitiker*innen werfen der Regierung vor, Familien aus dem Norden Namibias zu bevorzugen. Diesen Familien sind viele der Schrecken des Siedlerkolonialismus erspart geblieben, darunter auch die großflächigen Landenteignungen. Noch ist unklar, wie die Neuverteilung des Landes an die Ovaherero- und Nama-Gemeinschaften aussehen soll, zumal von Vorfahren ererbte Landansprüche von Namibias Zweiter Nationaler Landkonferenz 2018 anerkannt wurden. In der Folge richtete Präsident Hage Geingob eine Kommission zur Prüfung dieser Ansprüche ein, die dem Präsidentenbüro Mitte 2020 einen Bericht vorlegte. Dieser muss allerdings noch im namibischen Parlament debattiert und als Gesetz beschlossen werden.

100 Mio. Euro sind für den Straßenbau in ländlichen Gebieten vorgesehen und weitere 50 Mio. Euro für Wiedergutmachung, Forschung und Bildung. Auch die Bereiche Berufsausbildung und erneuerbare Energie sowie der Ausbau der Wasserversorgung und sanitärer Anlagen auf dem Land werden über das Landreformprogramm finanziert. Hierfür sollen Projekte in Kunene, Erongo, Otjozondjupa, Omaheke, Khomas, Hardap und //Karas entstehen, wo historisch Ovaherero- und Nama-Gemeinschaften angesiedelt waren.

Die deutsche Regierung lehnt den Begriff «Reparationen» ab und spricht stattdessen von Mitteln «zum Wiederaufbau und zur Entwicklung». Auf einer Pressekonferenz bezeichnete der deutsche Außenminister Heiko Maas die Zahlungen als «Geste der Anerkennung des unermesslichen Leids, das den Opfern zugefügt wurde», woraufhin Kritik laut wurde, dass die Gelder in Wirklichkeit Entwicklungshilfe und keine Entschädigungszahlungen seien. Seit der Unabhängigkeit werden in Namibia Entwicklungsprojekte durch Deutschland gefördert, tatsächlich ist es das afrikanische Land mit der höchsten Pro-Kopf-Entwicklungshilfe aus Deutschland. Die namibische Regierung hat dagegen eingewandt, dass bei den Verhandlungen «Reparationen» und «Entwicklungshilfe» getrennt behandelt wurden. Dennoch weigert sich Deutschland weiterhin, den Begriff Reparationen zu verwenden. Es wird weithin vermutet, dass dahinter die Sorge steht, andere ehemalige deutsche Kolonien könnten ähnliche Forderungen erheben.

Reaktionen auf die Wiedergutmachungsvereinbarung

Die Wiedergutmachungsvereinbarung ist von einigen Führungspersonen aus den betroffenen Gemeinschaften mit reichlich Skepsis und sogar Feindseligkeit aufgenommen worden. Als der am 18. Juli 2021 ebenfalls an SARS-CoV-2 verstorbene Oberste Anführer der Ovaherero Vekuii Rukoro vom Moderator des Namibian Sun Evening Review Mathias Haufiku nach seiner Einschätzung gefragt wurde, konnte er nur seine «absolute Enttäuschung» und seinen «Schock» zum Ausdruck bringen und verurteilte die Vereinbarung als «Beleidigung» für die Ovaherero- und Nama-Gemeinschaften. Rukoro warf der deutschen Regierung auch Rassismus vor, weil sie mit der israelischen Regierung und mehreren jüdischen Gemeindeorganisationen Verhandlungen geführt habe, dies im namibischen Fall aber verweigere. Rukoro sah den Grund darin, dass Juden und Jüdinnen weiß, Ovaherero und Nama hingegen Schwarz seien. Am 12. Juni unterzeichneten Rukoro und Goab PSM Kooper, Vorstandsmitglied der NTLA, im südnamibischen Hoachanas die !Hoaxa!nâs-Erklärung, in der die Wiedergutmachungsvereinbarung abgelehnt wird.

Überraschend schlossen sich den beiden Gruppen auch andere traditionelle Autoritäten der Königshäuser Zeraua, Maharero und Kambazembi an, die an den Verhandlungen teilgenommen hatten. In einer Pressemitteilung erklärten die Königshäuser: «Uns ist nicht bekannt, wie die deutsche Regierung zu ihrer Zahl von 1,1 Mrd. Euro kommt. Wir fordern, dass die geplante Zeremonie zur Unterzeichnung des Abkommens zwischen der deutschen und der namibischen Regierung verschoben wird, sodass abschließende Diskussionen über das sensible Thema einer auf Restorative Justice zielenden Wiedergutmachung geführt werden können.» Dagegen schlug die Gruppe Reparationszahlungen in Höhe von 8 Bio. Namibischen Dollar über einen Zeitraum von 40 Jahren sowie die Einrichtung eines Pensionsfonds für die Nachkommen der Opfer des Völkermords vor, ähnlich dem Fonds für die Veteran*innen des namibischen Unabhängigkeitskampfs, den die namibische Regierung nach 1989 eingerichtet hatte. Der enge Fokus des ausgehandelten Abkommens auf Entwicklungsprojekte schließt jede Form von individueller Entschädigung sowie die namibische Diaspora in Botswana und Südafrika aus. Der ehemalige Präsident von Botswana Ian Khama hat gefordert, die botswanische Ovaherero-Community ebenfalls in das deutsche Angebot einzubeziehen. Mbumba wiederum hat unzweifelhaft klargemacht, dass «die Namibier entscheiden, wie damit umzugehen ist.»

Die Stellungnahme der Königshäuser ist insofern aufschlussreich, als die Gruppen, die in die Verhandlungen eingebunden und laut Mbumba angeblich konsultiert worden waren, nichts darüber wussten, wie sich beide Regierungen über die Höhe der Zahlungen letztlich geeinigt hatten. Diese Unwissenheit stellt den Beratungsprozess zu den Völkermordreparationen insgesamt infrage. Wieso sollten diese Gruppen am Ende der Verhandlungen eine Kehrtwende machen? Hatten sie möglicherweise das Gefühl, dass die Regierung ihre bei den Beratungen geäußerten Bedenken nicht hinreichend ernst nahm? Sollte das der Fall sein, wirft das Fragen zur Tauglichkeit der von der namibischen Regierung durchgeführten Beratungen mit diesen Gruppen auf. Es würde bedeuten, dass die OTA und die NTLA eine Beteiligung an diesen Beratungen zurecht abgelehnt haben.

Der Widerspruch der drei Königshäuser hat allerdings keine Perspektive aufgezeigt, wie sich ihre Bemühungen in die OTA integrieren ließen. Sie bleiben den Regierungsbestrebungen weitgehend verbunden. Die OTA und die NTLA hingegen fordern weiterhin, dass ihre Gemeinschaften eine bedeutendere Rolle in den Gesprächen erhalten, und um dies zu erreichen, haben sie eine Petition bei der UN eingereicht.

Die Oppositionsparteien im namibischen Parlament haben die Regierung wegen ihres Abkommens mit Deutschland scharf kritisiert. Der Chief Whip des Popular Democratic Movement (PDM), Vipuakuje Muharukua, äußerte Bedenken, dass nicht nur Vertreter*innen der traditionellen Autoritäten, sondern auch Abgeordnete aus dem Prozess ausgeschlossen waren, und kritisierte, dass dem Parlament ein Sonderausschuss zu den Völkermordreparationen fehle. Folglich schlug er vor, dass die Vereinbarung dem Parlament zur «ordentlichen Prüfung» vorgelegt werden sollte, bevor die Abgeordneten sie offiziell ratifizieren. Die Vertreter der National Unity Democratic Organisation (NUDO) und des Landless People’s Movement (LPM), Joseph Kuandenge und Edson Isaacks, lehnten das Abkommen ab und verlautbarten, dass ihre Parteien die Vereinbarung nicht unterzeichnen würden. Kuandenge erklärte: «NUDO lehnt die Vereinbarung mit der ihr gebührenden Verachtung ab.» Isaacks beschrieb sie als «unzureichend» und warf der namibischen Regierung vor, mit Apartheid-Taktiken «Gruppen mit abweichenden Vorstellungen über den Ablauf des Prozesses auszuschließen».

Eine verpasste Chance auf wirkliche Veränderung

Der namibischen Regierung wurde auch vorgeworfen, sich das Abkommen von Deutschland aufzwingen zu lassen. Der ehemalige Minister für Jugend, Nationaldienste, Sport und Kultur Kazenambo Kazenambo, der 2011 die erste Rückgabe menschlicher Überreste von Deutschland an Namibia organisiert hatte und am 17. August den Folgen einer SARS-CoV-2-Infektion erlag, sagte, das Abkommen «klingt wie eine One-Man-Show, in der Deutschland alles diktiert», und dass «Deutschland die namibischen Regierungsvertreter wie Zombies behandelt». Kazenambo wollte neue Verhandlungen, in die auch die Ovaherero- und Nama-Gemeinschaften einbezogen würden, und warnte davor, dass das Abkommen zu neuen sozialen Unruhe führen könne.

Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Neuverhandlungen kommt, ist allerdings sehr gering. Mit wachsender internationaler Aufmerksamkeit stehen beide Regierungen unter Druck, ein erfolgreiches Abkommen zu präsentieren. Allerdings hätte die Ratifizierung im Parlament am 7. September stattfinden sollen und wurde, vermutlich wegen der aufgekommenen Kritik, um zwei Wochen verschoben.

Dennoch hat Kazenambo recht damit, dass Namibia vorsichtig agieren muss. Seine aus einem Jahrhundert der Kolonialherrschaft hervorgegangene Gesellschaft ist fragil, es handelt sich um eines der Länder mit der größten Ungleichheit weltweit. Der Reichtum konzentriert sich dort nach wie vor in den Händen einer weißen Minderheit. Die Situation wird noch verschärft durch eine aufsteigende Schwarze Elite mit engen Verbindungen zur SWAPO. Der größte Teil der Bevölkerung, der mehrheitlich Schwarz ist, leidet immer noch unter großer Armut. Die sozioökonomische Politik seit der Unabhängigkeit hat ihr Los nicht geändert.

Die Völkermordreparationen sind sicher nicht die einzige Möglichkeit, sich mit dem kolonialen Unrecht der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Dennoch sind sie ein wichtiger Schritt, um Namibia auf einen anderen Weg in Richtung sozialer und ökonomischer Gerechtigkeit zu bringen. Deshalb hätte bei den Verhandlungen zwischen Namibia und Deutschland mehr herauskommen müssen. Es gibt ernstzunehmende Zweifel daran, dass das Abkommen in seiner jetzigen Form diesen Wandel wirklich herbeiführen kann. Tatsächlich wurde damit eine Gelegenheit verpasst, das durch Kolonialismus und Apartheid hervorgebrachte große Unrecht wirkungsvoll anzugehen.

Übersetzung von Daniel Fastner & Utku Mogultay für Gegensatz Translation Collective