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Am 8. und 9. Oktober 2021 finden in Tschechien die Wahlen zum Abgeordnetenhaus statt.

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Wahlplakat von ANO in Prag: «Wir werden uns bis zum Äußersten [wörtlich: Zerreißen des eigenen Körpers] gegen ein Piratostan zur Wehr setzen!» Foto: Petr Zewlakk Vrabec

In der Schlussphase des Wahlkampfes gibt eindeutig die Regierungspartei ANO unter Ministerpräsidenten Andrej Babiš den Ton an. Jedoch bleiben die Inhalte bzw. wofür die Partei in Einzelfragen steht und was sie für die kommenden Jahre plant, im Hintergrund. In erster Linie versucht sie einen möglichen Wahlerfolg der Piratenpartei zu verhindern. Denn das würde Tschechien angeblich ins Chaos stürzen.

Dass die Piraten tatsächlich die Regierung übernehmen könnten, hat sich bereits Anfang des Jahres gezeigt, als sie in Umfragen erstmals die 30-Prozentmarke überschritten. Diesen Trend umzukehren, war seitdem oberstes Ziel des Wahlkampfs von ANO. Der Ministerpräsidentenpartei halfen mehrere Fehlentscheidungen der Piraten. Jetzt versprechen großflächige Werbeplakate mit dem Konterfei des Ministerpräsidenten Babiš, dass «wir [ANO] uns bis zum Äußersten [wörtlich: Zerreißen des eigenen Körpers] gegen ein Piratostan zur Wehr setzen werden».

Der Wahlkampf wurde immer polarisierender. Genutzt wurden Klischees oder Vorurteile über den politischen Gegner. Negative Informationen über den jeweils anderen wurden in den Vordergrund gestellt, um mit allen Mitteln zusätzliche Wähler:innen für die eigene Partei zu mobilisieren. ANO appelliert dabei an die bürgerliche Vernunft und warnt vor den Piraten. Diese wiederum greifen ebenso scharf ANO an.

An diesen Debatten beteiligen sich auch weitere Parteien, wie die zweitstärkste liberal-konservative Wahlkoalition SPOLU, die ANO und deren mögliche Koalitionspartner angreift, darunter auch die KSČM (Kommunistische Partei Böhmens und Mährens), die die derzeitige ANO-geführte Minderheitenregierung toleriert.

Diese Polarisierung im Wahlkampf hat besonders Linke und linksorientierte Kräfte zusätzlich in eine schwierige Lage gebracht. Die KSČM kam in Umfragen gefährlich nah an die Fünfprozenthürde, so dass es nicht sicher ist, ob sie den Einzug ins Parlament schaffen wird. Die ČSSD (Sozialdemokraten), die kleinere Regierungspartei, befindet sich laut Umfragen mit einem Wert von nur 4 Prozent bereits unterhalb dieser wichtigen Grenze.

Die KSČM ist in diesem zugespitzten Wahlkampf, der sich auf die Frage konzentriert, ob man für oder gegen Babiš ist, mit dem eigenen Programm nicht besonders sichtbar. Das hängt mit unterschiedlichen Faktoren zusammen, vor allem aber damit, dass die Partei in den großen Städten immer weniger Zustimmung findet.

Sie ist heute eher eine Partei, die in kleineren Städten und auf dem Land gewählt wird. Dort kann sie noch relevante Stimmenanteile holen und hat ihren Wahlkampf an diese Bedingungen angepasst. Die Wahlstrategie basiert vor allem auf Strassenwahlkampf mit der Möglichkeit zum unmittelbare Gespräch mit Wähler:innen und lokalen Treffen. Die Partei setzt dabei auf regionale Themen.

Die Probleme auf dem Land sind handfester Natur, was in der prosperierenden Haupstadt nicht immer gleich wahrgenommen wird. Die führenden KSČM-Strategen haben dies erkannt und widmen sich deshalb in ihrer Kampagne den von anderen Parteien vernachlässigten Fragen, wie der nach dem Mangel an Kinderärzten, der Abwanderung der jüngeren Generationen in die Großstädte, der pandemiebedingten ökonomischen Probleme in den kleineren tschechischen Kurorten oder aber auch dem in den Wäldern grassierenden Borkenkäfer.

Diese Strategie würde viel eher zu einem Wahlkampf für Kommunal- oder Regionalwahlen passen. Momentan ist sie jedoch auch für die Parlamentswahl die einzige Chance, um noch genügend Stimmen zu sammeln und damit die Fünfprozenthürde zu überwinden.

Für die letzten Wochen vor den Wahlen hat die Partei angekündigt, dass sie den Onlinewahlkampf verstärken möchte. Aber es ist davon auszugehen, dass Online-Werbung die traditionellen Stammwähler:innen nicht unbedingt erreichen wird.

Die KSČM hat auf ihren insgesamt 14 Landeslisten vier Frauen auf die ersten Plätze gesetzt, damit bleibt sie im Schnitt der anderen Parteien. Bei der Regierungspartei ANO werden die Listen gar in sechs Fällen von Frauen angeführt. Bei den Piraten sind es hingegen nur zwei Frauen an erster Stelle. Die sozialdemokratische ČSSD hat drei erste Plätze mit Frauen besetzt.

Allerdings kommt dem ersten Platz auf der Wahlliste in Tschechien eher eine symbolische Bedeutung zu, weil die Wählenden eine Prioritätsstimme haben. Wenn ein/e Kandidat:in mindestens 5 Prozent der Prioritätsstimmen in einer Region bekommt, wird sie automatisch auf Platz eins gesetzt.

Die Sozialdemokraten haben ihren Wahlkampf anders ausgerichtet, im Vergleich zu den Kommunisten weitaus landespolitischer und staatstragender. Eine wichtige Rolle spielen dabei bekannte Persönlichkeiten aus der ersten Reihe, die oft genug Regierungsposten inne haben. Innenminister Jan Hamáček, der sich besonders bei der Bekämpfung der Pandemie hervorgetan hat und Sozialministerin Jana Malačova, die die jüngeren Generationen ansprechen möchte, sind die Spitzenkandidat:innen der Partei. Diese Strategie ist im Wahlkampf sichtbarer und scheint moderner, bringt allerdings bislang auch kaum die erhofften Ergebnisse.

Nach den letzten Umfragewerten wird die Regierungsbildung nicht einfach werden. Einige Koalitionsmöglichkeiten werden bereits lauthals ausgeschlossen. Auch das passt zu einem polarisierten Wahlkampf. Vor kurzem äußerte sich allerdings ein prominenter ANO-Politiker dahingegen, dass in der Partei auch an völlig neue Koalitionsmöglichkeiten gedacht werde. Das könnte bedeuten, dass selbst vor einer Kooperation mit den Rechtspopulisten der SPD (Freiheit und direkte Demokratie) nicht mehr Halt gemacht würde.

Die Regierungsbildung nach den Wahlen wird nicht einfach. Ob Babiš sein Amt als Ministerpräsident halten wird oder ob die SPOLU zusammen mit den Piraten ihn ablösen wird, ist offen. Klar ist allein, vor einem möglichen  Linksrutsch muss in Tschechien niemand Angst haben.