Trotz oberflächlicher Gegensätzlichkeit teilen Marktliberalismus und die Neue Rechte ein gemeinsames Weltbild. Dies lässt sich derzeit anschaulich anhand von zwei aktuellen Kampagnen gegen die Grünen zeigen.
Eines Morgens mitten im Wahlkampf erwachten die Menschen in Deutschland zu einer unerwarteten Neuerung im öffentlichen Raum. Plötzlich prangten in über 50 deutschen Städten Plakate, die zwar an optisch an das Design der Wahlplakate der Grünen erinnerten, mit der Partei jedoch nichts zu tun hatten. Unter dem Titel «Grüner Mist» warnte die Kampagne unter anderem vor «Klimasozialismus,» «Ökoterror» und «Wohlstandsvernichtung» durch die Partei. Die Plakatwerbung wurd von einer Webseite begleitet, die auch ein Lexikon von Antifa («Schlägertruppe die für Grünrotlinks die Schmutzarbeit erledigt») bis Nazi («Jeder der rechts von Grünrotlinks steht») beinhaltet.
Hinter der Kampagne steckt die Hamburger Briefkastenfirma Conservare GmbH. Deren Geschäftsführer David Bendels, ist kein Unbekannter. Bereits 2016 und 2017 hatte er durch einen angeblich unabhängigen Verein Wahlkampfhilfe für die AfD geleistet und dabei mindestens 10 Millionen Euro ausgegeben. Die Finanzierung des Vereines war äußerst undurchsichtig, die Geschäfte führte die Schweizer Goal AG. Diese wiederum war maßgeblich an der illegalen verdeckten Unterstützung des Europawahlkampfes der AfD-Abgeordneten Jörg Meuthen und Guido Reil beteiligt. Die AfD wurde in diesem Zusammenhang bereits zu Strafen in Höhe von mehreren hunderttausend Euro verurteilt; viele Details blieben jedoch unaufgeklärt. Es liegt der Verdacht nahe, dass es sich auch bei der «Grüner Mist» - Kampagne wieder um eine verdeckte Finanzierung durch die AfD handelt. Bendels ist unter anderem Chefredakteur des von Conservare herausgegebenen «Deutschlandkuriers,» welcher Wahlwerbung für die AfD betreibt.
Es ist jedoch bei weitem nicht die einzige Schmutzkampagne gegen die Grünen in diesem Jahr. Am 11. Juni fand sich in vielen großen Zeitungen Deutschlands eine Kampagne, die unter dem Titel «Wir brauchen keine neue Staatsreligion» gegen die angebliche «Verbotspolitik» der Grünen mobilisierte. Zu sehen war Annalena Baerbock. Durch Bildbearbeitung als Moses dargestellt, präsentierte sie Steintafeln mit «10 Verboten», welche unter anderem das Gebot «du sollst keinen Verbrenner-Auto fahren» oder Gebot 7: «Du sollst dich nicht in erster Linie auf dich selbst verlassen, der Staat weiß besser was richtig für dich ist», umfasst. Die Kampagne löste starke Gegenreaktionen aus und wurde nicht zuletzt vom Berliner Antisemitismusbeauftragten, Samuel Salzborn, als antisemitisch eingestuft.
Urheber der Kampagne ist die Lobbyorganisation und PR-Agentur «Initiative neue soziale Marktwirtschaft» (INSM). Auch in diesem Fall ist die Finanzierung interessant: Die INSM wird vom Arbeitgeberverband der metallverarbeitenden Industrien, Gesamtmetall, mit einem Millionenbetrag finanziert. Hinter Gesamtmetall verstecken sich Firmen wie Bosch, Siemens und sämtliche deutsche Autobauer.
Die Aufgabe der INSM ist es, die Interessen der Arbeitgeber*innen als die einer breiten Bürger*innenbewegung darzustellen, um so die Durchsetzung unbeliebter politischer Maßnahmen zu erleichtern. In der Vergangenheit hat sich die INSM so beispielsweise gegen Mindestlohn, Vermögens- und Erbschaftssteuern, Umweltauflagen, und die Frauenquote eingesetzt. Andererseits machten sie sich für die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, Steuersenkungen für Spitzenverdiener*innen und Atomstrom stark.
Solche Kampagnen leben auch von der Empörung, die sie auslösen. Dass die Darstellung von Annalena Baerbock als Moses mit dem Ziel der Errichtung einer irrigen Staatsreligion in Deutschland eine Debatte über Antisemitismus auslösen würde, dürfte die INSM durchaus gewusst haben. Im PR-Jargon als «negative campaigning» bezeichnet, erreichen solche gezielt auf negative Gegenreaktionen ausgelegte Aktionen ein Vielfaches an Reichweite, als sie durch die konventionelle Platzierung je erreichen könnten. Die «Grüner Mist» Kampagne funktioniert ähnlich, einerseits wegen der extrem provokanten Formulierungen aber auch durch die gesellschaftliche Diskussion um die mögliche Illegalität der Kampagne.
Die INSM-Kampagne bot dabei sogar noch eine willkommene Gelegenheit zur Imagepflege durch eine performative Abgrenzung von der Kampagne vor großem Publikum. Firmen wie VW, BMW und Daimler ließen sich diese auch nicht entgehen. Die undurchsichtige Finanzierungsstruktur der INSM verdeckt dabei, dass diese Konzerne selbst zu den größten Geldgebern der Lobbyorganisation gehören. Denn die Negativkampagne hat eine duale Struktur: Durch die massive Reichweite der Antisemitismusdiskussion holt sie alle diejenigen ab, die sich offen oder insgeheim von solchen Inhalten angesprochen fühlen. Die Abgrenzungen der Unternehmen hingegen zielen auf diejenigen ab, die die Kampagne als zu extrem wahrnehmen. Für diese stellen sich die Großkonzerne als Freunde des gemäßigten demokratischen Diskurses dar.
Die Grünen selbst zeigten sich im Wahlkampf erstaunlich unvorbereitet auf solche Attacken aus der Richtung des Kapitals. Sie sehen sich in den letzten Jahren zunehmend als Vertreter*innen des grünen Kapitalismus und arbeiten die Bundesspitze hatte seit geraumer Zeit offen auf eine Koalition mit der Union hingearbeitet. Dies führte zu einem enormen Zufluss von Großspenden aus den Reihen des Unternehmertums. Es mag aber auch dazu beigetragen haben, dass die Partei die Bereitschaft einiger Kapitalfraktionen unterschätzen, sich mit allen Mitteln gegen jede noch so marginale politische Einmischung in ihre Handlungsspielräume zur Wehr zu setzen. Dass das Wahlprogramm der Grünen kaum mehr als eine Imageaufbesserung für einen ausbeuterischen und extraktiven Kapitalismus ist und keine ernsthaften Einschränkungen für Kapitalist*innen bereithält, ändert daran nichts.
In diesem Artikel soll keine Auseinandersetzung mit den Vorwürfen der beiden Kampagnen stattfinden, da sowohl die «Grüner Mist»- Kampagne als auch die INSM-Kampagne gezielte Desinformationskampagnen sind, die nicht an einer inhaltlichen Auseinandersetzung interessiert sind. Solche «fake news» funktionieren unter anderem so gut wegen der Ressourcen, die gebunden werden, um sie als solche zu widerlegen. Stattdessen wird sich dieser Artikel damit beschäftigen, was die beiden PR-Kampagnen über diejenigen aussagen, die sie gemacht haben. Und das ist so einiges: An ihnen lässt sich eine ideologische Nähe von Marktliberalismus und neuer Rechten beobachten, die sich auch institutionell zunehmend niederschlägt.
Das gemeinsame Auftreten von Neoliberalismus und Autoritarismus, dass das Globalgeschehen des 21. Jahrhunderts prägt, ist nicht zufällig. Auch die jetzige AfD ist aus einer marktliberalen, euroskeptischen Partei hervorgegangen. Andere ursprünglich neoliberale Institutionen, wie die Friedrich-von-Hayek Gesellschaft und -Stiftung und selbst die Mont-Pelèrin Gesellschaft sind inzwischen weitgehend unbeachtet zu Eckpfeilern der autoritären Rechten geworden. Diese Nähe ist bei weitem nicht neu: Wie der Historiker Quinn Slobodian unlängst im Jacobin anschaulich zeigte, beruhte das neoliberale Projekt von Anfang an auf einer Verbindung von libertärem Marktliberalismus mit xenophoben, anti-demokratischen und rassistisch-evolutionistischem Gedankengut. Der Rechtsruck, den wir derzeit beobachten, ist dabei eher eine Neubetonung als ein wirklicher Bruch. Die INSM-Kampagne und die «Grüner-Mist»- Kampagne sind ein sehr anschauliches Beispiel für genau diese ideologische Kontiunität:
Der Status quo ist die beste Welt die wir erreichen können
Der erste gemeinsame Eckpfeiler der marktliberalen Position und der neuen Rechten ist ihre absolute Fixation auf die Unveränderlichkeit des gegenwärtigen status quo als den besten Zustand den wir erreichen können. Im neoliberalen Narrativ schlägt sich dies auch als das politische Dogma «There is no alternative (TINA)» nieder, welches zur Legitimierung von unbeliebten Maßnahmen angeführt wird, wie den Abbau von Sozialleistungen oder Bankenrettungen. Die Gesellschaft wird auf Märkte und Kosten-Nutzen optimierende Individuen reduziert. Märkte und das menschliche Wesen werden von unverhandelbaren Naturgesetzen regiert, die absolute Grenzen dafür setzen was für eine Gesellschaft umsetzbar ist. Transformative Ansätze werden so als unerreichbare Utopien gebrandmarkt. In der INSM-Kampagne schlägt sich dies besonders in der Rhetorik gegen den «Messianismus» nieder, in der «Grüner Mist»- Kampagne als Klimasozialismus: Die Kernaussage der ganzen Kampagne ist, dass die Zukunftsgestaltung unbedingt dem Markt überlassen werden muss und aktive politische Gestaltung das Funktionieren dieser Maschine nur stören würde. Auch hier finden sich wieder die Quasi-Naturgesetze in Form des perfekten Marktes.
Wenn eine Veränderung von Gesellschaft vorangetrieben wird, so orientiert sich diese an den verengenden Universalregeln, und referiert so meist auf einen bereits existierenden oder vermeintlich bereits dagewesenen Gesellschaftszustand. Rechte Revolutionen streben so oft die Rückkehr zu einem goldenen Zeitalter oder die Umkehr eines angeblichen Verfalles an.
Menschen die versuchen, sich über diese scheinbaren Naturgesetze hinwegzusetzen, beispielsweise wenn sie ihr Handeln nicht nach den Dogmen der neoklassischen Wirtschaftslehre ausrichten, ernten Spott, Verachtung oder Hass. Da die neoklassische Nationalwirtschaft ein Nullsummenspiel ist, wo Umverteilungspolitik nicht in Frage kommt, so ist auch die Aufnahme von Geflüchteten in dieser Perspektive irrational, da es sich nur um weitere Konkurrent*innen um absolut begrenzte Ressourcen handelt. Aber auch Menschen die versuchen aus den scheinbar «natürlichen» Grenzen des binären Geschlechtersystems auszubrechen, ziehen solche Reaktionen auf sich. Bei der «Grüner Mist» - Kampagne zeigt sich dies im Lexikon-Eintrag «Gender: Substantiv, Ideologische Sprachverhunzung, höherer Blödsinn auf unterstem Niveau.»
Meritokratie und Ungleichheit
Neue Rechte und Markliberale sind vereint in ihrem Glauben an den meritokratischen Mythos, dass Leistung im Markt entsprechend belohnt wird. Alle Ungleichheiten, die im Kapitalismus zwangsläufig entstehen, ergeben sich aus dem Verhalten und den Fähigkeiten der jeweiligen Personen. Während Milliardär*innen eben besonders talentiert oder besonders fleißig sind, so ist auch die Misere von Hartz-VI-Empfänger*innen auf sie selbst zurückzuführen.
In der INSM-Kampagne heißt es in den Erläuterungen zum oben bereits genannten Gebot 7:
«Wer im Guten wie im Schlechten die Konsequenzen seines wirtschaftlichen Tuns verantwortet, wird viel dafür tun, wirtschaftlich voranzukommen. Davon profitiert auch die Gesellschaft»
Die völlig unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen, mit denen Individuen den Markt betreten, sowie die institutionell inhärenten Diskriminierungen, werden in dieser Perspektive völlig ausgeblendet. Entsprechend wird in beiden Kampagnen Umverteilungspolitik oder Affirmative-Action-Politik abgelehnt, da sie gegen die gerechte Aufteilung von Gesellschaft durch objektive Institutionen wie den Markt verstoßen. Dabei ist es relativ egal ob es sich um Frauenquoten handelt, oder um die besondere Förderung für Menschen die von Rassismus betroffen sind. Passend heißt es im Lexikon der AfD-nahen Kampagne: «Gerechtigkeit: Substantiv, Vorwand zum Ausplündern der Fleißigen durch die dreisten» und «Gleichheit: Beförderungsprogramm für unterqualifizierte Grün*innen.»
Allgemeiner Wohlstand – Phantombesitz und das Normal-Wir
Beide Kampagnen beschwören gleichermaßen das Ziel «unseren Wohlstand zu bewahren.» So ist Klimaschutz laut der «Grüner Mist» Kampagne «Wohlstandsvernichtung aus Größenwahn.» Für die Arbeitgeber*innen ergibt die Fixierung auf nationalen Wohlstand Sinn, da so die fortschreitende Akkumulation von Kapital bei gleichzeitiger Enteignung eines Großteiles der Bevölkerung positiv dargestellt werden kann. Gleichzeitig bietet die proprietäre Verbindung des diffusen nationalen «wir» und dem immensen kapitalistischen Wohlstand eine positive Möglichkeit zur Identitätsstiftung: «Wir sind Exportweltmeister.» Es ist das gleiche «wir,» dass den Anspruch auf «unser Land» «unsere Kultur» oder gar «unsere Frauen» erhebt, und dabei die Macht erfahren darf, andere von diesem «wir» auszuschließen.
Die Sozialphilosophin Eva von Redecker nennt dieses Phänomen «Phantombesitz.» Sie argumentiert, dass die Zugehörigkeit zu diesem «wir,» mit seinen übersteigert fantasierten Herrschaftsansprüchen, einen wichtigen Baustein darin darstellt, warum Menschen, die eigentlich selbst materiell enteignet sind, dennoch für die Verteidigung dieser Ungleichverteilung in die Bresche springen. Der Phantombesitz fungiert als eine Art symbolische Entschädigung. Gleichzeitig erfahren die, gegen die sich nach unten abgegrenzt wird, xenophobe Gewalt und Entwürdigung. Es ist dasselbe ausschließende «wir,» das sich hinter dem «normalen Bürger» versteckt; zum Beispiel im Lexikon Eintrag «Diversität: Substantiv, Normal-Bürger dürfen sich ganz hinten anstellen.» Die marktliberale Stigmatisierung von Marginalisierten als faule Sozialschmarotzer bietet dabei eine Legitimation um Gewalt gegen Schwache auszuüben. Nicht zuletzt findet dies auch in der endlosen «disziplinarischen» Gewalt und öffentlichen Demütigung von Arbeitssuchenden ihren Ausdruck.
Der globale Rechtsruck den wir derzeit beobachten können, ist nicht aus dem Nichts erschienen, sondern wächst aus dem ideologischen Fundament des Neoliberalismus. Um eine wirklich offene und anti-autoritäre Gesellschaftsvision entgegensetzen zu können, müssen wir diese ideologischen Wurzeln verstehen. Marktliberalismus und die neue Rechte teilen ideologische Überschneidungen, die verstanden und angesprochen werden müssen, um die Unterwanderung der Demokratie durch Kapitalismus und Autoritarismus wirksam zu bekämpfen.