Nachricht | Westeuropa - Wohnen Der Kampf um das Recht auf Wohnen ist auch ein europäischer Kampf

Wie ist die Situation auf dem Mietwohnungsmarkt in Schweden, den Niederlanden und in Spanien?

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Menschen demonstrieren in Rotterdamm vor Häusern.
Demonstration zum «Woonopstand» am 17 Oktober 2021 in Rotterdam. CC BY 2.0, Sandra Fauconnier

Die Machtkonzentration der großen, profitorientierten Wohnungsunternehmen ist eines der bestimmenden Themen der aktuellen wohnungspolitischen Debatte. Seit Jahren werden die Player auf dem Markt immer weniger, dafür aber immer größer. Und die Bestände werden weiter ausgebaut. Ihre Kernbestände stammen zu großen Teilen aus Wohnungsbeständen, die in den 2000er Jahren zu einem sehr niedrigen Preis von städtischen und kommunalen Wohnungsunternehmen erworben wurden. Spekulativer Leerstand, die gezielte Vernachlässigung von Wohnungen, um danach notwendige Modernisierungskosten auf die Mieter:innen umzulegen, und die Ausreizung sämtlicher Möglichkeiten für Mieterhöhungen, sind in vielen deutschen Großstädten längst Realität.

Die Mieter:innen von Konzernen wie Vonovia, Deutsche Wohnen oder Akelius/Heimstaden nehmen diese Strategien als gezielte Angriffe auf ihr Recht auf Wohnen wahr. Nach einem Jahrzehnt der Wohnungskrise sind sie immer öfter gezwungen, im Mittel mehr als 30% ihres Einkommens für ihre Wohnung auszugeben. Und damit mehr, als sie sich leisten können. Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung leben in 77 deutschen Großstädten 4.4 Millionen Haushalte in Wohnungen, die sie sich entweder gar nicht leisten können, oder die eigentlich zu klein für sie sind.

Die zunehmende Finanzialisierung von Wohnraum greift allerdings nicht nur Mieter:innen in Deutschland an. International wird Wohnraum immer mehr zur Ware. Viele der großen Wohnungskonzerne agieren global und organisieren ihre Geschäftsmodelle über Landesgrenzen hinweg. Demgegenüber sind die meisten Proteste gegen hohe Mieten und Wohnungsnot meist immer noch lokale, bestenfalls nationale Proteste. Das ist eine verpasste Chance. Die Notwendigkeit zur internationalen Vernetzung ist zwar keine neue Erkenntnis, sie bleibt allerdings auch heute noch eine dringende Forderung. Denn, vergleicht man die Kämpfe um leistbaren Wohnraum und ein Recht auf Stadt in verschiedenen europäischen Städten und die dortigen Geschäftspraktiken der großen Wohnungskonzerne, so lassen sich viele Parallelen erkennen.

Um sich über die aktuellen Bedrohungen und Widerstände auszutauschen, hat das aktivistische Bündnis «Socialise Housing across Europe», gemeinsam mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Vertreter:innen europäischer mietenpolitischer Bewegungen, unter anderem aus Schweden, Spanien und den Niederlanden, zu einer Veranstaltungsreihe eingeladen.

Die Veranstaltung «
A New Cycle of Housing Struggles - Political impacts and challenges of the rising tenants’ movements» ist aufgezeichnet worden.

Schweden – zwischen Mieter:innen-Gewerkschaft und Marktmieten

So ist Vonovia, das mit Abstand größte Wohnungsunternehmen in Deutschland, auch in Österreich und vor allem in Schweden aktiv, wo es mittlerweile ebenfalls zum größten privaten Wohnungsunternehmen aufgestiegen ist. In Schweden, einst Leuchtturm für einen regulierten Mietmarkt und Sozialstaat, hat die rechts-konservative Regierung zu Beginn der 1990er Jahre eine Liberalisierung und Privatisierung des Wohnungsmarktes eingeleitet. Nur noch knapp jede:r Dritte wohnt in Schweden zur Miete und heute nur noch etwa die Hälfte davon in Wohnungen der öffentlichen Hand.

Wie in Deutschland, fällt Vonovia auch hier durch strategische Renovierungen (sogenannte «concept renovations») auf, die in jeweils einzelnen Wohnungen durchgeführt werden, sobald ein kurzer Leerstand dies zulässt, wie Ilhan Kellecioglu von der Stockholmer Mieter:innen-Initiative «Ort till Ort» berichtet. In der Folge darf die Miete beim nächsten Vertragsabschluss erhöht werden. Dabei sind die Arbeiten oft von fragwürdiger Qualität und Nutzen, die darauffolgenden Mieterhöhungen betragen im Schnitt dennoch 50-60%. Eine gesetzliche Grenze für diese Erhöhungen gibt es nicht.  Außerdem komme es so zu teils drastisch unterschiedlichen Miethöhen innerhalb eines Hauses, was eine Organisierung der Mieter:innen erschwert. Dabei sind Mieter:innen in Schweden momentan noch durch das so genannte «use-value»-System zur am «Nutzungswert» orientierten Ermittlung der Miethöhe geschützt. Demnach werden die Wohnungen nach Kriterien wie Größe, Lage und Ausstattung eingeteilt. Allerdings werden die Mieten dann nicht, wie in Deutschland, mithilfe von Mietspiegeln bestimmt, sondern von den Vermietervertreter:innen mit der tenant‘s unions (Mieter:innen-Gewerkschaft) ausgehandelt.

Dieses Konstrukt, als letztes Schild der schwedischen Mieter:innen gegen eine vollständige Liberalisierung des Mietmarktes, sieht sich jedoch ebenfalls starken Angriffen ausgesetzt. Im Juni 2021 drohte die schwedische Linkspartei die amtierende Mitte-links-Regierung platzen zu lassen, nachdem die Regierung einen Reformvorschlag zur Einführung reiner Marktmieten für alle Wohnungen, die nach dem ersten Juli 2022 fertig gestellt werden, vorlegte. Begleitet wurde dieser Vorstoß von Protesten unter dem Motto «Nein zur Marktmiete», bei denen Mieter:innen hunderte von Kundgebungen abhielten – schlussendlich mit Erfolg, wie die Aktivistin und Mitorganisatorin von «Nej till Markadshyra» Sandra Mandell berichtet. Die Mietmarktreform musste der zu dieser Zeit amtierende sozialdemokratische Ministerpräsident Stefan Löfven zurückziehen.

«Woonopstand» in den Niederlanden

Ähnlich wie Schweden haben auch die Niederlande, historisch betrachtet, einen starken Sozialstaat entwickelt. Etwa 60 Prozent der Niederländer:innen leben allerdings im Wohneigentum. Viele der Mietenden jedoch (30 Prozent der Niederländer:innen) wohnen in Wohnraum der öffentlichen Hand. Dieser hohe Anteil des öffentlichen Wohnungsbaus steht aber, ähnlich wie in Schweden, unter starkem Beschuss, wie aus den Berichten von Kees Stad und Gwen van Eijk deutlich wurde. So wurde im Jahr 2013 eine Steuer auf Sozialwohnraum, die so genannte «Vermieterabgabe», eingeführt, ursprünglich als temporäre Maßnahme zur Aufstockung des Haushalts nach Rettung zweier großer, niederländischer Finanzinstitutionen. Diese Abgabe gilt, unabhängig von ihrer ursprünglichen Intention, nach wie vor und belastet ausschließlich Anbietende von Sozialwohnungen. Die Folgen sind fatal – Vermietende geben diese Last in der Regel an die Mieter:innen weiter. Hinzu kommt, dass der private Mietmarkt weitestgehend unreguliert ist. Die so genannte «Vermieterabgabe» schafft jedoch einen Anreiz, zum Beispiel für Wohnungsbaugesellschaften, weniger Geld in sozialen Neubau zu investieren oder sogar Sozialwohnungen zu verkaufen. Das Angebot an Sozialwohnungen geht so zu Lasten eines weitestgehend unregulierten Mietmarktes zurück.

Heute haben 800.000 Haushalte in den Niederlanden nach ihrer Mietzahlung zu wenig Geld für alltäglich notwendige Ausgaben übrig. Auch vor diesem Hintergrund hat sich landesweit eine starke Protestbewegung gebildet, die unter dem Namen «Woonopstand» für bezahlbaren Wohnraum und ein Recht auf Stadt auf die Straßen geht. Der Demonstration in Rotterdam, die von Gwen van Eijk mitorganisiert wurde, schlossen sich im Oktober 2021 zehntausend Menschen an. Sie forderten die Rückkehr zu einem starken sozialen Wohnungsbau sowie unbefristete Mietverträge für einen besseren Mieter:innenschutz. Viele Mietverträge sind heute auf zwei Jahre befristet, was Mieter:innen mit dauerhafter Unsicherheit belastet und regelmäßige Mieterhöhungen nach sich zieht. Dabei spielen die internationalen Akteure der finanzialisierten Wohnungswirtschaft in den Niederlanden noch eine untergeordnete Rolle, erklärte Kees Stadt vom kapitalismuskritischen Portal globalinfo. Die größten Akteure vor Ort sind bis dato der schwedische Konzern Heimstaden und der US-amerikanische Private-Equity-Fonds Blackstone, die hier durch ähnliche Praktiken wie beispielweise in Berlin auffallen. Insbesondere die Geschäftspraxis, Sozialwohnungen aufzukaufen und sie leer stehen zu lassen, bis die Mietpreisbindungen auslaufen, führt zu einem drastischen Anstieg der Mietpreise, während gleichzeitig undurchsichtige Steuervermeidungskonstrukte dafür sorgen, dass die öffentliche Hand um Einnahmen geprellt wird.

Spanien – Kataloniens Mietendeckel als gutes Vorbild?

Auch in Spanien spielten große Wohnungsunternehmen bisher eine relativ kleine Rolle, sagte Lorenz Vidal aus Barcelona. Doch seit der Finanzkrise 2008/2009 und des darauffolgenden Spardiktats, das die EU-Troika den Ländern Südeuropas aufoktroyiert hat, wurde auch in Spanien der Wohnungsmarkt weiter liberalisiert, um internationales Finanzkapital anzulocken. Gleichzeitig erschwert der geringe Anteil der Mieter:innen an der Bevölkerung  eine breite Organisierung. Viele Kämpfe müssen eher auf der Ebene der einzelnen Wohnung als des einzelnen Hauses gekämpft werden. In Spanien sind unbefristete Mietverträge heute ebenfalls noch eine Utopie. Die Mietenbewegung konnte jedoch bereits erkämpfen, dass Verträge mit einer Laufzeit von fünf Jahren mittlerweile sehr verbreitet sind.

Große Aufmerksamkeit konnte vor kurzem Katalonien auf sich ziehen, das einen Mietenstopp und eine Absenkung überhöhter Mieten nach dem Vorbild des Berliner Mietendeckels erlassen hat. Auch diesem Vorstoß ist es wohl mit zu verdanken, dass eine Mietpreisregulierung ähnlich der deutschen Mietpreisbremse im neuen Wohnraumgesetz Spaniens enthalten ist, welches am 26. Oktober 2021 beschlossen wurde. Das eine solche Bremse tatsächlich Wirkung entfaltet und nicht durch Ausnahmeregelungen entkernt wird, ist jedoch keinesfalls ausgemacht, wie das deutsche Beispiel zeigt. Die Angriffe von Seiten der Vermieterlobby und das Suchen nach Schlupflöchern hätten jedenfalls bereits begonnen, sagt Lorenz Vidal.

All dies zeigt: Obwohl die jeweils nationalen und lokalen Umstände der Mieter:innenbewegung in den betrachteten Ländern stellenweise große Unterschiede aufweisen, zum Beispiel in Bezug auf die Eigentümerstrukturen und den grundsätzlichen Ausbau des Sozialstaates, gibt es erhebliche Gemeinsamkeiten. Die Wohnungsnot greift in ganz Europa um sich, und immer größer und lauter werdende Bewegungen finden sich zusammen, um darauf Antworten zu finden und diese zu erkämpfen. Nach Jahrzehnten der neoliberalen Hegemonie werden allerorts die Rufe nach einer erneuten Regulierung des Wohnungswesens lauter – und insbesondere das Beispiel Schweden zeigt, dass Regierungen sich dem gegenüber nicht länger verschließen können.

Weitere Informationen zum Bündnis, den einzelnen Parter:innen und zur Vernetzung finden sich unter www.reclaiming-spaces.org/tenants-and-power/

Eine weitere Gemeinsamkeit ist die Ausbreitung der großen, finanzgetriebenen Wohnungsunternehmen in immer mehr Städten und Ländern. Insbesondere die ähnlichen Vorgehensweisen, zum Beispiel im Rahmen des Leerstandsmodells oder bei Mietsteigerungen durch Sanierung/Modernisierung, sowie die überall existierenden Fragezeichen bezüglich der Eigentumsstrukturen und Steuervermeidung dieser Konzerne zeigen, dass eine europaweit vernetzte Mieter:innenbewegung gebraucht wird, um diesen Akteuren und ihren Profiten zulasten der Mietenden Einhalt zu gebieten. So können Ressourcen gebündelt und Wissen geteilt werden um gerade dort, wo Vonovia und Co gerade erst richtig loslegen, mit einem hohen Organisationsgrad von Anfang an Widerstand zu leisten.