2021 feierte die Proklaihren 50. Geburtstag, im September des Vorjahres war das 200. Heft erschienen und für 2022 steht die Erweiterung um die digitale Erscheinungsweise an. Das Argument, 1959 gegründet, weist mehr als 330 Ausgaben auf. Der Historiker David Bebnowskizeichnet in seiner im vergangenen Jahr veröffentlichten, auf seiner Dissertation beruhenden Monographie die Entstehungsgeschichte beider, bis heute für die linke Debatten und die Sozialisation vieler Linker wichtigen Zeitschriften nach.
Der Titel des Buches, Kämpfe mit Marx, wird von Bebnowski hinsichtlich seiner drei Bedeutungsebenen insbesondere mit Blick auf Das Argument detailliert erschlossen: mit Marx gegen die bürgerlicher Wissenschaft und Politik, mit Marx gegen alternative Marx-Deutungen innerhalb der linken Auseinandersetzungen und am Beginn das Ringen um den eigenen Zugang zu Marx und die daran anschließende Erarbeitung einer eigenen Marx-Deutung.
Plausibel und dicht geschrieben macht der Autor deutlich, wie wichtig für das Florieren der linken Bewegungen in den 1950er und 1960er Jahren die Gründung der Freien Universität Berlin im Jahr 1948 war und welchen Anteil der Politikwissenschaftler und Jurist Franz L. Neumann(1900-1954) hieran hatte. Ebenso ist die Geschichte nicht zu verstehen (und wäre sicher auch anders verlaufen) ohne den besonderen Status von West-Berlin und dessen geographisch-politischer Lage.
Der Autor zeichnet die friedenspolitischen Wurzeln des Arguments nach, und betont die überaus wichtige, bisher nur spärlich betrachtete Rolle der Internationalen Liga für Menschenrechte für damalige Debatten. Es war die in diesen Zusammenhängen aktive Philosophin Margherita von Brentano(1922-1995), die den entscheidenden Impuls für die Gründung gab und der Zeitschrift lange verbunden war. Bebnowski schreibt nachfolgend detailreich und zurückgreifend auf Archivunterlagen, Gespräche und den zeitgenössischen Veröffentlichungen über den Wandel des Arguments hin zu einer einflussreichen, marxistischen Zeitschrift, berichtet über interne Auseinandersetzungen, die Arbeitsabläufe und die Positionierung zu anderen linken Zusammenhängen und Theorienansätzen. So waren auch Vertreter der Marburger Schulewie Frank Deppe an der Zeitschrift als Autoren langjährig beteiligt. Die bis heute prägende Person im Guten wie Schlechten ist dabei eindeutig Wolfgang Fritz Haug.
Dass die Wurzeln der Prokla auch im Argument liegen und es einige personelle Überschneidungen gab, wird mit Elmar Altvater(1938-2018) und Bernhard Blanke(1941-2014) vor Augen geführt, die beiden als Autoren und Redaktionsmitglied (Blanke) dem Argument verbunden waren, diese aber im Streit verließen. Beide waren 1971 maßgeblich an der Gründung und der Entwicklung der Prokla beteiligt, die wiederum aus der Spaltung der Zeitschrift Sozialistische Politik(SOPO, erschienen 1969-1978) hervorging.
Zunächst standen Prokla und Argument einander kritisch-ablehnend, bisweilen im Ton polemisch und in den Folgen durchaus politisch schädigend, gegenüber: dem Argument wurde eine zu große Nähe zur 1968 gegründeten DKP und der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins(SEW) vorgeworfen und der Ansatz des Staatsmonopolistischen Kapitalismusverworfen. Außerdem stritt man sich über Fragen der Ideologie und Widerspieglungstheorie, eine weitere starke Differenz besteht (bis heute) in der Art und Weise, wie das Marxsche Kapital zu lesen sei. Die Diskussion zur Staatsableitungsdebattewurde zentral in der Prokla geführt und damit eine gänzlich andere Analyse von Staat und Kapital verfolgt. Bebnowski arbeitet prägnant die politisch-wissenschaftliche Unterschiede beider Zeitschriften heraus, die auch die Art und Weise der redaktionellen Organisation umfassen.
Die Entstehung der RAF und die bundesrepublikanische Politik im Zuge des Radikalenerlasses ließen die beiden Zeitschriften einander wieder näher kommen, war denn die, auch in finanzieller Hinsicht, große Zeit der breiten Marxschen Aneignung vorbei. Der äußere Druck war groß.
Der im Übrigen trotz seiner Themen rundweg nachvollziehbar und sprachlich gut geschriebene Band liefert neue Tiefeneinsichten in den akademischen Marxismus der 1960er und 1970er Jahre, verbindet diese gekonnt mit dem Nachzeichnen der breiteren linken Entwicklungen und praktischen wie theoretischen Debatten in diesen Jahrzehnten und entwirft zugleich das vielschichtige Portrait zweier linker Zeitschriften, die jeweils ihren ganz eigenen Weg einschlugen. Zugleich verweist er auf so einige Lücken, die noch zu schließen sind, die größte ist sicherlich eine noch zu schreibende, umfassende Darstellung des Sozialistischen Büros, das für die Prokla von Bedeutung war.
David Bebnowski: Kämpfe mit Marx. Neue Linke und akademischer Marxismus in den Zeitschriften Das Argument und Prokla 1959-1976, Wallstein Verlag, Göttingen 2021, 534 Seiten, 46 Euro