Mit dem Wahlsieg der rechtskonservativen Nea Dimokratia im Juli 2019 trat Griechenland in eine neue, autoritäre Phase ein. Unmittelbar nach der Wahl leitete die Regierung, begleitet von rassistischer und nationalistischer Rhetorik, den Umbau Griechenlands zum Polizeistaat ein. Sie begann mit dem Abbau von Arbeitsrechten, einer Verschärfung des Asyl- und Migrationsrechts und der vollständigen Ausrichtung der Wirtschaft auf die Interessen des Kapitals. Seit dem Ausbruch der Pandemie wurde diese Politik unter dem Vorwand des Gesundheitsschutzes fortgesetzt und forciert. Während in vielen europäischen Ländern Milliarden in die öffentliche Gesundheitsversorgung und Hilfsprogramme zur Unterstützung der Bevölkerungen flossen, weitete die griechische Regierung als erste «Maßnahme» ihren Einfluss auf die Medien aus, indem sie für insgesamt 20 Millionen Euro Anzeigen in regierungsnahen Medien schaltete. Vergabeverfahren für Staatsaufträge wurden ausgesetzt und Aufträge in Millionenhöhe an befreundete Unternehmen vergeben. Anstatt den Gesundheitssektor zu stärken, wurden Intensivbetten in Privatkliniken gemietet, später wurde sogar Gesundheitspersonal aus öffentlichen Krankenhäusern an Privatkliniken zwangsverliehen. Zugleich wurden mit dem Argument des Gesundheitsschutzes der Polizeiapparat aufgerüstet und Demonstrationen verboten.
Maria Oshana arbeitete von März 2017 bis Februar 2022 als Büroleiterin der Rosa-Luxemburg-Stiftung im Regionalbüro Griechenland (Athen).
Zudem verabschiedete die Regierung eine Vielzahl von Gesetzen, u.a. ein selbst von konservativen Staatsrechtler*innen kritisiertes Gesetz, welches das Demonstrationsrecht massiv einschränkt und ein Verbot von Demonstrationen erleichtert, sowie ein neues Hochschulgesetz, das den Zugang zum Studium massiv erschwert und zusätzlich eine Universitätspolizei vorsieht. Durch die massive Repression und die Einschränkungen des öffentlichen Lebens im ersten dreimonatigen harten Lockdown schienen auch die verbliebenen Spielräume für linke Organisierung und Proteste wegzubrechen. Trotz oder gerade wegen dieser Rahmenbedingungen zeigten die sozialen Bewegungen eine beachtliche Widerstands- und Mobilisierungsfähigkeit und entwickelten zudem neue Dynamik und Stärke. Dabei konnten sie auf Erfahrungen und Praktiken der Krisenjahre zurückgreifen, Kräfte aus unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Spektren bündeln und einige erfolgreiche Kampagnen und Kämpfe organisieren.
Die sozialen Medien haben schon vor der Pandemie eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Informationen, bei kritischer Begleitung politischer Prozesse und für die Mobilisierung von Protesten gespielt. Eine Notwendigkeit in einem Land, in dem die Medienlandschaft von wenigen rechtskonservativen Unternehmern dominiert wird. Mit Verhängung des ersten Lockdowns im März 2020 konnten die sozialen Bewegungen also auf ein Aktionsmittel zurückgreifen, mit dem sie schon einige Erfahrungen hatten, und schnell auf die neue Situation reagieren. Während europaweit Linke «Stay home» skandierten, machten Aktivist*innen der radikalen Linken in Griechenland «Physical distance – social solidarity» zum Prinzip des Handelns und starteten die Online-Kampagne «Keiner allein/keine allein» (Kanenas monos/kanena moni). Über sie organisierten sich nachbarschaftliche Hilfe, Küfas (Küche für alle) für Geflüchtete und Wohnungslose sowie Proteste vor Produktionsstätten und anderen Unternehmen, um die dort Beschäftigten in ihrem Kampf für ansteckungssichere Arbeitsbedingungen zu unterstützten. Über praktische Unterstützung hinaus fungierte die Kampagne als Plattform der Intervention in den herrschenden Diskurs und der kritischen Berichterstattung über die Regierungspolitik. So konnten trotz hartem Lockdown schnell eine landesweite Vernetzung von Initiativen organisiert, Informationen geteilt, Aktionen geplant und angekündigt werden. Auch wurden Online-Lesungen und -Solidaritätskonzerte veranstaltet, um die Menschen nicht Isolation und Einsamkeit zu überlassen.
Dieser Text ist in der maldekstra, dem Auslandsjournal für globale Perspektiven von Links erschienen. Das Thema der Ausgabe #14 ist «Linke Bewegungen».
Die Kampagne «Sie sind nicht unschuldig – Nazis in den Knast» (Den einai athoi – i nazi sti filaki) zum Ende des Prozesses gegen die faschistische «Goldene Morgenröte» im Herbst 2020 markiert den größten Erfolg antifaschistischer Mobilisierung der letzten Jahre. Nach fünfeinhalb Jahren Prozessdauer sollte am 7. Oktober das Urteil verkündet werden. Nach der Bekanntmachung des Termins für die Urteilsverkündung rief die Familie des ermordeten Pavlos Fyssas dazu auf, sich am Tag der Urteilsverkündung vor dem Gericht zu versammeln und ein klares Zeichen zu setzen. Der Aufruf «Sie sind nicht unschuldig – Nazis in den Knast» ging viral. In den Wochen vor dem 7. Oktober fanden in allen Landesteilen fast täglich Aktionen statt, Tausende stellten das Logo der Kampagne auf ihren Accounts in den sozialen Medien ein. Die Mobilisierung war so mächtig, dass sich schließlich fast das gesamte politische Spektrum hinter der Parole versammelte und die «Goldene Morgenröte» verurteilte, unter ihnen auch die Regierungspartei Nea Dimokratia, die in den vorangegangenen Jahren zum Teil enge Beziehungen zu den Faschisten unterhalten und sich im Wahlkampf deren Rhetorik und Agenda bedient hatte. Auch die großen Medien, die erheblichen Anteil daran hatten, die «Goldene Morgenröte» als «normale» Partei darzustellen, deren Ideologie zu verharmlosen und führende Köpfe der Organisation in Lifestyle-Artikeln zu featuren, sprachen jetzt von Faschisten und Kriminellen. Am Tag der Urteilsverkündung versammelten sich 40.000 Menschen vor dem Gericht in Athen und feierten die Verurteilung der «Goldenen Morgenröte».
Trotz Pandemie, Lockdown und massiven Einschränkung des Demonstrationsrechts gingen im Februar 2021 landesweit Tausende Studierende auf die Straße, unterstützt von Professor*innen und Universitätsdirektor*innen sowie Jurist*innen, die das neue Hochschulgesetz als unverhältnismäßig und verfassungswidrig kritisierten. Die Polizei ging zum Teil mit massiver Gewalt gegen die Demonstrierenden vor und versuchte, die Proteste als Aktionen gewalttätiger Krimineller zu diskreditieren. Dass die Regierung mit dieser Erzählung trotz weitgehender Kontrolle der Medien nicht erfolgreich war, war auch linken Fotojournalist*innen zu verdanken, die Polizeigewalt dokumentierten und damit das Narrativ von Regierung und Polizei dekonstruierten. Nach wochenlang anhaltenden Protesten, denen sich immer mehr Menschen anschlossen, musste die Regierung schließlich zurückrudern und die Universitätspolizei auf Eis legen.
Diese Aktionen sind Ausdruck vielfältiger Proteste und der Wiederbelebung linker Organisierung. Sei es die feministische Bewegung, die seit einigen Jahren stetig wächst, mit der #Metoo-Bewegung den Diskurs über Femizide und sexuelle Gewalt anführt und Patriarchatskritik mit Kapitalismuskritik verbindet, oder die Jugendbewegung gegen staatliche Repression. Obwohl die Linke in Griechenland aus unterschiedlichen Formationen, Gruppierungen und Organisationsformen besteht und stark fragmentiert ist, ist sie in Zeiten der Krise zu Bündnissen und breiter Mobilisierung fähig. Neben den sozialen Medien als Instrument der Vernetzung, Informationsverbreitung und Mobilisierung spielen in den jüngsten Kämpfen Jurist*innen eine zentrale Rolle. Dies hat wesentlich damit zu tun, dass es in vielen Auseinandersetzungen um neue Gesetze, rechtswidrige Polizeieinsätze- und -gewalt sowie um die Kriminalisierung von Protesten geht. In Griechenland gibt es zudem die besondere Situation, dass viele Anwältinnen und Anwälte Teil der politischen Bewegung sind, also zugleich in Prozessen auftreten und an Protesten beteiligt und in den Bewegungen aktiv sind. An der Seite und ebenfalls Teil der Bewegungen sind Fotojournalist*innen, die mit der Dokumentation von Protesten dazu beitragen, die Medienmacht zu durchbrechen und – in manchen Fällen – wichtiges Beweismaterial der Verteidigung bei Anklagen liefern.
Die Mobilisierungen der letzten zwei Jahre mögen von außen betrachtet spärlich und schwach erscheinen. Vor dem Hintergrund einer mehr als zehn Jahre andauernden Finanzkrise, dem Scheitern einer linken Regierung, dem gesellschaftlichen Rechtsruck und einer autoritären Regierung sind sie Zeichen der Hoffnung. Die sozialen Bewegungen sind wieder in Bewegung gekommen und gewachsen, sie lassen sich nicht einschüchtern und stellen sich der Repression entgegen. So gelingt es ihnen, die Regierung immer wieder in Bedrängnis zu bringen, gesellschaftliche Gegenmacht zu entwickeln und Kämpfe auch zu gewinnen.