Bericht | Europa - UK / Irland - Westeuropa - Osteuropa - Südosteuropa - Europa links - Ukraine Die extreme Rechte in Europa und der Ukraine-Krieg

Ein erstes Zwischenfazit von Jan Rettig, Antifascist Europe

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Jan Rettig,

Der folgende Text gibt einen Überblick über erste Reaktionen von Europaabgeordneten der extremen Rechten auf den Ukraine-Krieg im Rahmen der Sitzung des Europäischen Parlaments (EP) am 1. März 2022, die vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj eröffnet wurde.* Debattiert und beschlossen wurde eine von Ministerrat, Rat und Kommission verfasste Resolution. Bezeichnend dabei ist, dass sich ein Abschnitt sogar den wohlbekannten Verflechtungen zwischen dem russischen Regime und der extremen Rechten in Europa widmete, ohne dass sich eine der betreffenden Parteien dazu äußerte. Die meisten Mitglieder des EP, die sich zur extremen Rechten zählen lassen, stimmten sogar für die Resolution.

* Der Protokollentwurf ist hier zu finden. Die Positionen der rechtsextremen Abgeordneten, wie sie im Artikel formuliert sind, sind entweder aus der Übersetzung des EP entnommen oder basieren auf einer Übersetzung des Autors.

Es kommt eher selten vor, dass Abgeordnete der extremen Rechten ähnlich abstimmen wie ihre konservativen, liberalen, grünen, sozialdemokratischen und linken Gegenüber. Die Verurteilung der russischen Aggression gegen die Ukraine war jedoch nahezu einhellig. Marco Zanni, der die italienische Lega-Delegation und zugleich die Fraktion Identität und Demokratie (ID) im EP anführt, bezog klar gegen die russische Aggression Position. Und das, obwohl die Lega noch 2017 ein Freundschaftsabkommen mit der russischen Regierungspartei «Einiges Russland» geschlossen hat und Parteichef Matteo Salvini keinen Hehl aus seinen Sympathien für Putin macht. In seiner kurzen Rede brachte Zanni daher so erwartbare wie allgemein gehaltene nationalistische Argumente in Anschlag, gegen die Verletzung der territorialen Integrität, für Souveränität und europäische Einheit.

Die AfD meldete sich in der Parlamentsdebatte nicht zu Wort. Einige Tage zuvor hatte der Parteivorstand eine Erklärung veröffentlicht, die sich im Wesentlichen der öffentlichen Meinung anschloss. Die Partei kann jedoch nicht leugnen, dass sich ihre Positionen in der Vergangenheit Russland immer weiter angenähert haben. Folglich schloss die Erklärung mit einer Pauschalisierung der Rolle von Nato, USA und Europa in der gegenwärtigen Situation und betonte deren zukünftige Verantwortung bei der Lösung der Krise.

Jordan Bardella, Vertreter des französischen Rassemblement National (RN), griff zu einer ähnlichen Relativierung. Nachdem er die russische Aggression kurz als inakzeptabel bezeichnet hatte, versuchte er, die Hegemonie der USA und das verlorene Kräftegleichgewicht der Großmächte dafür verantwortlich zu machen. Der Grund dafür könnte eine Doppelstrategie sein, um einerseits einen Partner nicht zu verärgern, dem gegenüber konkrete wirtschaftliche Verpflichtungen in Form von Krediten bestehen, und andererseits eine leicht modernisierte eigene Sicht der internationalen Beziehungen vorzustellen die er zusammenfassend als multipolar beschrieb. Für den souveränistischen RN stellen auf dieser Ebene natürlich Nationalstaaten den zentralen Bezugspunkt dar, wenngleich die Partei in einigen ihrer Positionen gewisse Kernelemente der EU als gegeben anerkennt. Die Tatsache, dass der RN überhaupt gegen Russland Position bezogen hat, mag von der Notwendigkeit motiviert gewesen sein, sich im  Präsidentschaftswahlkampf mit seriösen und salonfähigen Positionen profilieren zu müssen. Selbst der antimuslimische Geschichts- und Faktenverdreher und unumwundene Populist Éric Zemmour verurteilte die russische Aggression. Vier kürzlich vom RN übergelaufene Europaabgeordnete unterstützen nun seine Kandidatur und seine Partei Reconquête (Rückeroberung). In der Plenardebatte des EP erhielten sie jedoch keine Redezeit, da sie ihren Fraktionsstatus verloren haben.

Andere Abgeordnete der extremen Rechten nahmen eine entschiedenere Haltung gegenüber Russland ein und sprachen sich stärker für eine europäische und westlich geprägte Ukraine aus. Einer von ihnen war der Italiener Raffaele Fitto, früheres Mitglied von Forza Italia (zuvor Popolo della Libertà), der heute für die post-postfaschistischen Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) im Parlament sitzt und der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) angehört. Er verurteilte die russische Barbarei und erklärte seine uneingeschränkte Solidarität mit der Ukraine. Zugleich unterstrich er zum einen die Rolle, die die östlichen EU-Mitgliedstaaten jetzt bei der Bewältigung der humanitären Krise spielen müssten, und zum anderen die Bedeutung von Einigkeit und Stärke, die die EU insgesamt bereits bewiesen habe und weiterhin beweisen müsse. Interessanterweise wies er auf zukünftige soziale Folgen der gegen Russland ergriffenen Maßnahmen und Sanktionen hin und machte deutlich, dass ein Konsens mit der öffentlichen Meinung notwendig sei. Darin zeigt sich ein sozialpolitisch-strategisches Denken, das nur wenige Politiker*innen der extremen Rechten erkennen lassen.

Ein weiterer stiller prowestlicher Abgeordneter ist Peter Kofod, Europaabgeordneter der dänischen Dansk Folkeparti (Dänische Volkspartei, DF) und Mitglied der ID. Er verurteilte in aller Deutlichkeit den Terror des Kremls und die Tyrannei Wladimir Putins. Die Ukraine hingegen sei Teil der europäischen Familie, Flüchtlinge müssten in unseren Ländern willkommen sein, solange sie – hier unausgesprochen aber entsprechend der einwanderungsfeindlichen Haltung der Partei – nicht von außerhalb Europas kämen.

Die antikommunistische, neofranquistische Vox aus Spanien blieb ihren Wurzeln treu und positionierte sich ebenfalls antirussisch. Einer ihrer Abgeordneten, Jorge Buxadé, dankte Polen für dessen Anstrengungen und warnte den spanischen Premierminister mit Verweis auf die steigende Inflation und soziale Belange davor, den Krieg zur Vertuschung seiner Versäumnisse im Inland zu benutzen. Diese Stellungnahme erfolgte, kurz nachdem Vox im Bündnis mit der Partido Popular und einigen Liberalen die spanische Regierung zu Waffenlieferungen an die Ukraine gezwungen hatte.

Die ungarische Fidesz-Abgeordnete Kinga Gál, die nach dem Austritt ihrer Partei aus der Europäischen Volkspartei fraktionslos ist, vertrat eher zurückhaltende Positionen, obwohl sie und der Fidesz (Ungarischer Bürgerbund) die russische Aggression ausdrücklich verurteilten. Die polnische Europaabgeordnete der Regierungspartei Prawo i Sprawiedliwość (Recht und Gerechtigkeit), Anna Fotyga, hingegen feierte den ukrainischen Heldenmut offen als «das Beste an uns, dem Westen». Polen und Ungarn ähneln sich zwar in ihren zunehmend autoritären Bestrebungen, doch während der ungarische Premier Victor Órban sich in der Vergangenheit für eine stärkere Bindung an Russland aussprach, besteht die polnische Staatsraison eindeutig in einer Einbindung in die Nato und den Westen.

Natürlich gibt es auch rechtsextreme Positionen, die sich für Russland aussprechen. Innerhalb des EP waren es die slowakischen Abgeordneten, die dies am deutlichsten formulierten. Milan Uhrík und Miroslav Radačovský wurden 2019 als Abgeordnete der neofaschistischen Partei Kotleba-Ľudová strana Naše Slovensko (Kotlebianer – Volkspartei Unsere Slowakei) ins Europäische Parlament gewählt, haben diese aber inzwischen wieder verlassen. Was sie nicht aufgegeben haben, ist ihre prorussische Haltung, und so konzentrierten sie sich darauf, die Kriegsmotive anderer Staaten in der Vergangenheit anzuprangern und die Heuchelei all derer herauszustellen, die jetzt Russland beschuldigten. Radačovský sprach sich ausdrücklich gegen den Krieg in der Ukraine aus, weil hier zwei slawische Völker gegeneinander kämpften. Uhrík stimmte konsequenterweise gegen die Resolution. Der griechische Abgeordnete Emmanouil Fragkos von der tradiert völkischen orthodox-fundamentalistischen und  prorussischen Elliniki Lysi (Griechische Lösung), die Teil der EKR-Fraktion ist, enthielt sich  seiner Stimme.

Insgesamt vertraten diese Europaabgeordneten zwar nicht das gesamte Spektrum rechtsextremer Positionen zum Ukraine-Krieg, die meisten von ihnen sprachen sich jedoch mehr oder weniger deutlich gegen die russische Aggression und für die Ukraine aus. Ihr häufigstes Argument war – wenig überraschend – die Verletzung der nationalen Integrität und Souveränität, womit sie mit den meisten konservativen sowie vielen anderen Stimmen auf einer Linie liegen. Ein weiterer ideologischer Bezugspunkt ist die europäische Zusammengehörigkeit und Einheit, die in der jüngeren, aber auch ferneren Vergangenheit häufig zu den rechtsextremen Topoi gehörte, nun aber explizit die ukrainische Bevölkerung miteinschließt. Nur wenige haben sich, wenn überhaupt, zu den sozioökonomischen Problemen geäußert, die sich bereits bemerkbar machen. Auch wenn es sich inzwischen um eine Minderheitenposition in der Rechten handelt, gibt es immer noch Befürworter*innen der russischen Positionen, welche aufgrund des häufig unaufrichtigen oder taktischen Charakters der antirussischen Standpunkte der Rechten in der antifaschistischen Analyse nicht ignoriert werden sollten.

Jan Rettig, https://antifascist-europe.org