Kommentar | International / Transnational - Krieg / Frieden - Westafrika Linke Organisierung statt immer mehr Militär in Mali

Militärische Mittel sind gescheitert auf der wahnhaften Suche nach der Lösung der politischen Situation

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Bundesaussenministerin Annalena Baerbock wird begruesst von Oberst i.G. Peter Kuepper, Kontingentfuehrer des deutschen Einsatzkontingents MINUSMA, in Gao, 12.04.2022.
Bundesaussenministerin Annalena Baerbock wird begruesst von Oberst i.G. Peter Kuepper, Kontingentfuehrer des deutschen Einsatzkontingents MINUSMA, in Gao, 12.04.2022. IMAGO / photothek

Diesen Freitag, den 20. Mai, wird der Bundestag die Verlängerung des militärischen Engagements in Mali beschließen. Der Vorschlag der Regierung sieht vor, den Beitrag zur UN Stabilisierungsmission MINUSMA um 300 Soldat*innen zu verstärken und den zur Ausbildungsmission EUTM Mali hingegen zu verringern, fast komplett aus Mali abzuziehen und nach Niger zu verlegen. In kein anderes Land kann die Bundeswehr heute mehr Truppen entsenden, bis zuletzt insgesamt mehr als 1.300 Soldat*innen.

Mit den nun im Bundestag anstehenden Entscheidungen mogelt sich die Regierung aus den Widersprüchen raus, die das Engagement für sie bedeutet, seit in Zentralmali die malischen Streitkräfte eng mit russischen Kräften zusammenarbeiten. Die Kooperation von durch deutsche Truppen ausgebildeten malischen Soldaten mit russischen Kräften sei nicht hinnehmbar, weil es dabei zu Menschenrechtsverletzungen gekommen sei, unter anderem in Moura. Die malische Regierung verweigerte Garantien, dass sie nicht mit russischen Söldnern der «Gruppe Wagner» zusammenarbeite. Deshalb entschied die EU-Kommission, die EUTM Mali, die seit 2013 in fünf Sahel-Ländern operiert, in Mali selbst bis auf weiteres auszusetzten. Militärs in Mali bedauern dies. Die Ausbildung habe sie gestärkt und deshalb Wirkung gezeigt. MINUSMA hingegen ist in ihren Augen wirkungslos geblieben, das Mandat verfehlt und der Aktionsradius zu klein. Auch wenn es hier unterschiedliche Einschätzungen gibt, ist dies ein Indiz dafür, dass nicht die wahre Wirkung bei der Herstellung von Sicherheit für die malische Bevölkerung die Bundeswehr-Einsätze in Mali motiviert.

Denn am Kriterium der Stabilisierung gemessen ist die Bundeswehr in Mali gescheitert. Die Konfliktregionen haben sich ausgeweitet und die Anzahl der bewaffneten Gruppen erhöht. Es sind vielmehr die geopolitischen Interessen Deutschlands, die diese Entscheidung motivieren. G5 Sahel, Compact mit Afrika, hochrangige Staatsbesuche – es ist offensichtlich, dass Deutschland Westafrika zunehmend als wichtiges geopolitisches Einflussgebiet definiert. Insofern überrascht es nicht, dass erste Infragestellungen der deutschen Beteiligung an MINUSMA durch Verteidigungsministerin Christine Lambrecht schnell vom Tisch waren und die Präsenz der Bundeswehr in Mali und der ganzen Region fortgeführt bzw. ausgebaut werden soll. Hintergrund ist auch, dass Frankreich zunehmend seinen immensen politischen Einfluss in der Region verliert und die Bundesregierung diese Lücke füllen will. Für den MINUSMA-Einsatz begründet sie die Aufstockung bereits damit, dass Deutschland angesichts des Abzugs der französischen Einheiten nun die Führungsrolle der westlichen Staaten innerhalb MINUSMAs übernehme.

Das Dilemma aber bleibt: Wie will es Deutschland gelingen, die Souveränität Malis bei der Entscheidung über die Partner im Kampf gegen den Terror zu respektieren und gleichzeitig jeden Ansatz der Zusammenarbeit mit russischen Soldaten oder Söldnern vermeiden? Für die malische Regierung ist die Zusammenarbeit mit Russland Garant eines militärischen Erfolges im Kampf gegen die djihadistischen Milizen. Sie wird momentan keinesfalls in Frage gestellt. Es bleibt offen, inwiefern es Deutschland gelingen kann, dauerhaft nebeneinander, aber nicht zusammen mit Russland Mali militärisch zu unterstützen und wie effizient das wäre.

Deutsche Präsenz willkommener als französische

Die malische Regierung lehnt weitere Interventionen Frankreichs kategorisch ab, dazu fehle es an Anerkennung der Souveränität Malis über das eigene Staatsgebiet. Frankreich habe bislang bestimmt, wo malische Soldaten zum Einsatz kommen und mit welchen Waffen. Das könne man ab sofort nicht mehr akzeptieren.

Deutschland hingegen wird in Mali sehr positiv gesehen. Die Bundesrepublik war der erste Staat, der 1960 die unabhängige Republik Mali anerkannte. Meinen Gesprächspartnern zufolge gebe es militärisch vor allem was das Ingenieurwesen angeht eine Tradition der guten Zusammenarbeit und der Lieferung qualitativ hochwertigen Materials. Schließlich wird auch die Entwicklungszusammenarbeit geschätzt. Was Deutschland von Frankreich vor allem unterscheide: anders als der französischen Regierung ginge es der Bundesregierung nicht um die umfassende Kontrolle von Ressourcen, Wirtschaft und Politik des Landes. Zugleich wird gewarnt, wenn Deutschland sich in Westafrika weiterhin französischen Interessen unterordne, könne dieser Vertrauensvorschuss leicht verspielt werden. So wird z.B. wahrgenommen, dass Deutschland sich noch nicht offiziell zum Report der unabhängigen Untersuchungskommission der MINUSMA zum Massaker in Bounty geäußert hat. Frankreich erkennt diesen Bericht nicht an, dessen Ergebnis ist, dass die französische Armee wissentlich oder grob fahrlässig ein Massaker an einer Hochzeitsgesellschaft durchgeführt hat.

Ob das gute Bild Deutschlands lange währt, bleibt abzuwarten. So hinterließ die deutsche Außenministerin keinen guten Eindruck bei ihrem Staatsbesuch Anfang Mai. Insgesamt wurde ihr Auftreten als arrogant wahrgenommen. Es sei zu deutlich geworden, dass Annalena Baerbock die Lage der Menschen in Mali nicht interessiere und ihre Kritik an der Präsenz russischer Militärs offensichtlich geopolitisch motiviert sei.

Russische Militärkooperation in positivem Licht

Denn auch eine Mehrheit der Bevölkerung geht davon aus, dass seit der Kooperation mit Russland der militärische Kampf gegen den Terror deutlich erfolgreicher sei. Inwiefern das stimmt, kann ich trotz zahlreicher Gespräche in Bamako nicht wirklich einschätzen. Weder habe ich mit aktiven Militärs sprechen können, noch die Hauptstadt verlassen. So steht die Aussage, dschihadistische Truppen hätten in beängstigendem Ausmaße weitere Städte eingenommen – und das zunehmend in der Umgebung von Bamako – neben der Aussage, dass die malische Armee voraussichtlich in Jahresfrist die Kontrolle über das ganze Land zurückgewinnen werde. Letzteres, sagen Optimist*innen, gelinge infolge der Materialieferungen und der personellen Unterstützung durch Russland, einer Rekrutierungsoffensive und neuer militärischer Strategien. Dschihadistische Milizen würden dann zwar voraussichtlich nicht vollständig besiegt sein, aber so sehr in Rückzugsgebiete verdrängt, dass die militärische Kontrolle über das gesamte Staatsgebiet den Wiederaufbau staatlicher Dienstleistungen ermögliche.

Wenn allerdings die Rückgewinnung von Kontrolle bedeutet, dass gegen Kriegsrecht verstoßen wird, muss – egal, ob es Menschenrechtsverletzungen durch französische, deutsche, malische, russische oder andere Hand gab – Kritik laut werden. Meine malischen Gesprächspartner widersprechen sich darin, was beim Angriff auf Moura passiert ist. Human Rights Watch wirft malischen und russischen Truppen vor, ca. 300 Zivilisten*innen und gefangene Kämpfer hingerichtet zu haben. Andere Gesprächspartner sind felsenfest überzeugt, dass in Moura ausschließlich dschihadistische Kämpfer umgekommen seien, die sich teilweise als Zivilist*innen getarnt hätten. Wo Häuser zerstört wurden, hätten diese als Waffenlager gedient. Nicht zuletzt Außenministerin Baerbock hat eine unabhängige Aufklärung gefordert, die von malischer Regierungsseite abgelehnt wird, da eine dazu notwendige unabhängige Untersuchungskommission kaum zusammenzustellen sei. Dieses Argument überzeugt nicht, denn die MINSUMA-Kommission, die den Fall Bounty untersucht hat, hat klar die Schuld Frankreichs am Massaker benannt und hat entsprechend unabhängig agiert. In jedem Fall ist es ein Verstoß gegen Kriegsrecht, gefangengenommene Kämpfer hinzurichten. Außerdem muss es möglich sein, das Vorgehen der malischen Armee zu hinterfragen – das allerdings ist zunehmend schwierig.

Ein Übergang zur sozial gerechten Demokratie ist unumgänglich

21 Monate nach der militärischen Machtübernahme im August 2020 und ein Jahr nach der oftmals als «Putsch im Putsch» genannten verstärkten politischen Einflussnahme durch das malische Militär beschränkt sich die Debatte über die Rückkehr zur Zivilregierung weiterhin auf ein Feilschen um die Dauer des geplanten Übergangs. Die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS, die Anfang 2022 harte Sanktionen gegen Mali verhängt hat, besteht auf eine möglichst kurze Übergangszeit, während die Militärregierung sie verlängern möchte. Auch das deutsche Engagement wird problematischer, wenn ein aufrichtiger Wille, die Macht wieder einem demokratischen Prozess zu unterwerfen, nicht zu erkennen ist.

Die eigentliche Frage bleibt dabei ausgeblendet: wie kann der Übergang so gestaltet werden, dass eine Chance besteht, dass wirklich eine von der Bevölkerung als legitim erachtete Regierung übernimmt, die sich nicht, wie 2013 geschehen, binnen weniger Monate durch Korruption, Machtmissbrauch und Unwillen, die vielfältigen Probleme des Landes aktiv anzugehen, bei der Bevölkerung unbeliebt macht.

Die aktuelle Regierung ist vollkommen konzeptlos. Sie legt keinerlei konkreten Übergangsplan vor und macht keine Anstalten, den Transitionsprozess voranzubringen. Immer offensichtlicher wird es für die Menschen, dass diese Regierung keinerlei Plan hat, wie der Übergang zu einer stabilen Zivilregierung gelingen kann. Angesichts dessen wird zunehmend bezweifelt, dass sie diesen ernsthaft will. Repression und das Unterdrücken der freien Meinungsäußerung nehmen zu. Nur ein Beispiel ist Oumar Mariko, der Generalsekretär der Partnerpartei der LINKEN, SADI. Er musste untertauchen, da gegen ihn ein Haftbefehl vorliegt. Er hatte der malischen Armee ebenfalls vorgeworfen, in Moura Zivilist*innen hingerichtet zu haben.

Neben der Sicherheitslage müsste es auch darum gehen, die weitverbreitete Armut und Perspektivlosigkeit anzugehen, die durch großflächiges Landgrabbing, das Kleinbäuer*innen ihrer Lebengrundlage beraubt hat, den Minensektor, der im Ausland statt im Inland Profite generiert, Korruption, Zusammenarbeit von Politiker*innen mit bewaffneten Gruppen beim profitablen Schmuggel, etc. befördert werden.

Trotz unklarer Erfolge im Kampf gegen dschihado-terroristische Gruppen, trotz der Repression anderer Meinungen, trotz fehlender Initiativen zur tiefgreifenden ökonomischen und politischen Reform des Landes, weiß die Militärregierung aktuell die Bevölkerung hinter sich. Der zivile Premierminister Choguel Maïga kann die Klaviatur des Populismus virtuos spielen. Er war eine der Führungspersonen der Bewegung M5-RFP, die vor zwei Jahren die Massen gegen den damaligen Präsidenten Ibrahima Boubacar Keita auf die Straßen mobilisieren konnte. Heute kreist sein Diskurs um das Wort «Souveränität» und richtet sich aggressiv gegen Frankreich. Damit erheischt er Zustimmung für sich und die Militärregierung. Populismus kann aber keine stabile Verankerung in der Bevölkerung, keine dauerhafte Zustimmung, kein belastbares Vertrauen schaffen.

Denn die bestehenden Probleme stellen die strukturelle Ursache von Terrorismus und Dschihadismus in Mali dar. Sie nicht in Richtung einer Lösung zu führen, bedeutet, dass als einzige Handlungsoption die militärische Unterdrückung bleibt, die aber bestenfalls eine Eindämmung terroristischer Gewalt erreichen kann. Rein militärisch kann die inzwischen große Vielfalt bewaffneter Milizen nicht besiegt werden. Die Bedrohung für die Menschen im Alltag wird bleiben. Gewalt wird immer wieder zum Mittel werden, und bewaffnete Gruppen werden stets Erfolge erzielen, sich Ressourcen anzueignen, die Bevölkerung zu «besteuern» und ggf. Minen unter ihre Kontrolle zu bringen. So lange die soziale Ungleichheit nicht angegangen und nicht mehr politische Teilhabe eingeräumt werden, haben Malier*innen genügend Anreize, sich den dschihado-terroristischen Gruppen anzuschließen – sei es, um Schutz zu finden oder eine Perspektive.

Parteien, auch die linke SADI, im Zerfallsprozess

Derzeit ist es unklar, ob sich eine politische Kraft herausbildet, die genau diesen tiefgreifenden Wandel einfordern könnte. Vielleicht ist es dabei eine positive Entwicklung, dass die politische Klasse Malis im Zerfallsprozess ist. Diese Elite, die sich über Parteigrenzen hinweg staatlichen Ressourcen wie Staatseinnahmen und Land aneignete, ist nun durch interne Differenzen gespalten. Führungspersonen wie der ehemalige Präsident Keïta oder sein zweimaliger Gegenkandidat Soumaila Cissé, die zuvor noch Kräfte bündeln konnten, sind verstorben.

Doch auch die linke Partei SADI ist nur noch ein Schatten ihres früheren Selbst. Sie war ohnehin zuletzt nur mit drei Abgeordneten in der Nationalversammlung vertreten, von denen zwei aus der Partei ausgetreten sind, weil sie öffentlich und unfair vom Generalsekretär Oumar Mariko angegriffen wurden. Auch nach außen ersetzte Mariko zunehmend inhaltliche Argumentation und einstmals gute Organisations- und Öffentlichkeitsarbeit durch Beleidigungen politischer Gegner*innen und Aggressivität. Das hat ihm sowie der Partei die einstmals starke Unterstützung in der Bevölkerung gekostet. Auch sind quasi alle kreativen politischen Köpfe aus der Partei ausgetreten oder haben sich aus der aktiven Parteiarbeit zurückgezogen. Die Gründerväter der Partei um den ehemaligen Kulturminister und Cineasten Cheick Oumar Sissoko haben der Partei den Rücken gekehrt und machen anderweitig Politik. So führte Sissoko mit Espoir Mali Kura eine der Organisationen an, die die Bewegung M5 RFP ausmachte.

Dabei sagen uns Genossen, dass in der jetzigen Situation eine linke Partei mit einem ausformulierten radikalen Reformprogramm und einer starken organisatorischen Basis alle Chancen hätte, bei Parlaments- und Präsidentschaftswahlen Mehrheiten zu gewinnen. Inwiefern die Übergangsperiode genutzt werden könnte, um eine solche linke Kraft mit einem attraktiven politischen und personellen Angebot zu formieren, ist offen. Das aber wäre ein konstruktiver und wirkungsvoller Beitrag der politischen Linken Malis für eine demokratische, gerechte und friedliche Zukunft ihres Landes. Und um ein Vielfaches mehr als die Bundeswehr – egal mit wie vielen Soldat*innen – in Mali jemals leisten wird.