Nachricht | Südliches Afrika Fragilität als Kontinuität

Die ANC Policy-Konferenz im Schatten multipler Krisen in Südafrika

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Autorin

Janine Walter,

Vor einem großen Sandsteinbau mit, großer Freitreppe, zwei Türmen und Säulengang steht eine große Statur von Melson Mandela mit ausgebreiteten Armen. Davor stehen Menschen und fotografieren
Statue von Nelson Mandela am «Union Bulding», dem Sitz der südafrikanischen Regierung in Pretoria, der Hauptstadt Südafrikas. Foto: Clayton via Pexels

Ende Juli findet die alle fünf Jahre stattfindende Policy-Konferenz des African National Congress (ANC) statt. Sie gilt zugleich als Stimmungstest für den Wahlkongress im Dezember 2022, auf welchem der ANC sein Präsident:innenamt neu besetzen wird. Kaum Berücksichtigung in den politischen Diskussionen finden dagegen die gegenwärtigen multiplen Krisen.

Neue und alte Krisen

Ein Jahr nach den landesweiten Ausschreitungen, bei denen mindestens 342 Menschen ums Leben kamen, ist die Situation weiterhin fragil. Mittlerweile ist zwar klar, dass die Unruhen im Kontext der Inhaftierung des ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma eine gezielte und geplante Aktion darstellten, die Verantwortlichen wurden jedoch nicht ermittelt und entsprechend nicht zur Rechenschaft gezogen.

Zudem spielt das Thema Service Delivery nach wie vor eine große Rolle in der Politik des Landes. Weiterhin verfügt nur rund 65 Prozent der Bevölkerung über einen heimischen Zugang zu Wasser. In Nelson Mandela Bay in der Provinz Eastern Cape trat im Juli sogar der Day Zero ein, an dem sind alle Wasservorräte aufgebraucht. Zweifelsohne sind diese Ereignisse auch auf die Klimakrise zurückzuführen, jedoch trägt Missmanagement der Regierungen auf allen Ebenen ebenfalls dazu bei.

Auch die Energiekrise spitzt sich weiter zu. Loadshedding, die geplante Stromabschaltung, um einen Zusammenbruch des Netzes zu verhindern, ist eines der am hitzigsten diskutierten Themen im Land. Im Juli sind dies durchschnittlich sechs Stunden pro Tag. Nicht nur sind die Folgen für die Ökonomie verheerend, auch der Großteil der Menschen, der elektrisch betriebene Heizgeräten nutzen muss, friert aktuell im Winter. Zudem befindet sich die Erwerbsarbeitslosigkeit mit offiziell 35 Prozent auf einem Rekordhoch, bei den 15 bis 24-jährigen liegt sie sogar bei 64 Prozent.

Die ohnehin astronomisch hohen Kriminalitätsraten steigen weiter massiv an. Dazu kommen für Südafrika neue Formen der Verbrechen. Die Kidnapping-Fälle haben sich etwa mit durchschnittlich 36 Fällen pro Tag seit 2010 verdoppelt. Zudem ist eine Zunahme der sogenannten «Mass-Shootings» zu verzeichnen wie die international aufsehenerregende Tötung von 16 Menschen in einer Taverne in Soweto zeigte. Die seit 2008 wiederkehrenden xenophobischen Wellen stellen ein kontinuierliches Problem dar. Dabei werden Migrant:innen aus anderen Teilen Afrikas als Sündenböcke für Erwerbsarbeitslosigkeit und Kriminalität herangezogen, brutal verfolgt und ermordet. Und mit Organisationen wie «Operation Dudula» erfolgt eine zunehmende Institutionalisierung dieser Übergriffe.

Zudem steht der regierende ANC vor einem selbstproduzierten Scherbenhaufen des sogenannten State Captures, der korrupten Durchdringungen politischer und ökonomischer Bereiche. Die für die Aufarbeitung des State Captures eingesetzte Kommission unter Leitung des Chief Justice Raymond Zondo erarbeitete vier Berichte, von denen der letzte im April 2022 vorgelegt wurde. Sie zeigen das Ausmaß, in dem führende Politiker:innen des Landes, allen voran der frühere Präsident Zuma, milliardenschwere Staatsaufträge an Firmen der berüchtigten Gupta-Familie vergaben, an denen auch Angehörige der Familie Zumas beteiligt sind, und Regierungsposten vor allem durch den Guptas Wohlgesinnten besetzt wurden. Die Folgen sind ein massiv gestörtes Vertrauen in die Politiker:innen sowie heruntergewirtschaftete, bankrotte staatliche Unternehmen, die für essentielle Dienste wie die Stromversorgung oder das Schienennetz relevant sind.

Ungewisse Zukunft: Person statt Programmatik

Vor diesem Hintergrund findet Ende Juli die Policy-Konferenz des ANC statt, auf der Politikvorschläge zunächst diskutiert und als Empfehlungen für den Wahlkongress im Dezember 2022 ausgegeben werden. Bei dieser wird sich Cyril Ramaphosa, der amtierende Präsident des ANC und Südafrikas, erneut um das Amt bewerben, um bei den landesweiten Wahlen 2024 als Präsidentschaftskandidat anzutreten. Neben ihm gibt es eine Reihe weiterer Bewerber:innen um das Amt, wovon Zweli Mkhize, ehemaliger Gesundheitsminister, und die gegenwärtige Tourismusministerin Lindiwe Sisulu die bekanntesten sind. Die jeweiligen Kampagnen sind jedoch von inhaltsleeren innerparteilichen Auseinandersetzungen geprägt, die sich entlang der Fraktionen um Ramaphosa und den ehemaligen Präsidenten Zuma, die sich hinter dem Begriff der Radical Economic Transformation (RET)-Fraktion sammeln, ausrichten. Die beiden Regierungsallianzpartner des ANC die South African Communist Party (SACP) und der Congress of South African Trade Unions (COSATU) unterstützen die Wiederwahl Ramaphosas.

Statt die drängenden Herausforderungen des Landes in den Fokus der Kampagnen und Diskussionen zu rücken, gilt als wichtiges Thema die Frage des Umgangs mit der sogenannten step-aside rule des ANC. Diese 2017 verabschiedete Regel besagt, dass ANC-Mitglieder, die wegen Korruption verurteilt wurden, von ihren Ämtern zurücktreten müssen, und der Korruption beschuldigte ANC-Mitglieder vor dem Integritätskomitee der Partei erscheinen müssen. Während sich die RET-Fraktion für eine Abschaffung dieser Regel einsetzt, befürwortet die Ramaphosa-Fraktion, die bereits ihre Einführung durchsetzte, deren Beibehaltung. Jedoch könnte Ramaphosa genau diese Regel zum eigenen politischen Verhängnis werden. Schließlich wird nach einer Anzeige durch den ehemaligen Direktor der State Security Agency Arthur Fraser, der dem Zuma-Lager zu gerechnet wird, gegen ihn wegen Kidnapping, Korruption und Geldwäsche ermittelt wird. Ramaphosa wird vorgeworfen den Diebstahl von vier Millionen US-Dollar auf seiner Wildfarm Phala-Phala vertuscht zu haben.

Welche Sprengkraft diese innerparteilichen Auseinandersetzungen für das Land hat, wurde bereits bei den Unruhen im Juli 2021 deutlich. Eine Wiederholung erscheint daher nicht abwegig. Darüber hinaus sehen viele Analyst:innen Südafrika angesichts der multiplen Krisen im Land an einem kritischen Punkt angelangt. In Fernsehsendungen finden Diskussionen darüber statt, ob Südafrika ein failed state ist. Die mehrheitliche Antwort darauf ist: Not yet.

In den fast 30 Jahren, in denen der ANC Südafrika gemeinsam mit seinen Allianzpartnern regiert, konnte nach der politischen Befreiung keine ökonomische Befreiung der Mehrheit der Menschen in Südafrika erlangt werden. Entsprechend haben die Wähler:innen zunehmend das Vertrauen in den ANC verloren. Bei den Kommunalwahlen im November 2021, lag die Wahlbeteiligung bei nur 30 Prozent und der ANC und seine Partner erlangten lediglich 46 Prozent der Stimmen. Damit verloren sie erstmals die absolute Mehrheit. Entsprechend steht für den ANC einiges auf dem Spiel und es ist davon auszugehen, dass sich die Auseinandersetzungen um die ANC Präsidentschaft in den nächsten Monaten weiter zu spitzen werden. Daher ist sicher, dass selbst in Anbetracht der enormen Herausforderungen, vor denen Südafrika steht, keiner der führenden Politiker:innen des Landes diese einzig an Personen orientierte Spaltung überwinden und endlich alle Ressourcen auf die Bearbeitung der Herausforderungen im Sinne der Menschen in Südafrika verwenden will.

Jacob Zuma und Cyril Ramaphosa, beide im schwarzen Anzug mit Krawatte sitzen in zwei Ledersesseln nebeneinander.
Jacob Zuma, damaliger Präsident Südafrikas, und Cyril Ramaphosa, derzeit amtierender Präsident, bei einer Veranstaltung 2015. CC BY-ND 2.0, GovernmentZA | GCIS