Nachricht | Wirtschafts- / Sozialpolitik - Globalisierung - Südliches Afrika - Sozialökologischer Umbau Südafrikas «Mineralien-Energie-Komplex»

Jahrzehnte nach der Apartheid ist die südafrikanische Wirtschaft weiterhin von ihrer kohlenstoffintensiven Wirtschaftsstruktur abhängig

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Sam Ashman,

Ein Bergarbeiter schaut auf eine Platinmine in Südafrika. Foto: IMAGO / Greatstock

Einleitung: Wahl und Misere

Südafrika begeht in diesem Jahr das 30-jährige Bestehen seiner Demokratie und am 29. Mai stehen wichtige Wahlen an. Der regierende Afrikanische Nationalkongress (ANC) dürfte zum ersten Mal seit dem Sieg der Anti-Apartheid-Bewegung über die Herrschaft der Weißen Bevölkerungsminderheit weniger als 50 Prozent der Stimmen erhalten. Die sinkende Unterstützung für den ANC resultiert aus der Unzufriedenheit mit der grassierenden Korruption, dem Mangel an Arbeitsplätzen und Grundversorgungsleistungen sowie den häufigen geplanten Stromabschaltungen vor dem Hintergrund einer stagnierenden und von erheblicher Ungleichheit geprägten Wirtschaft.

Sam Ashman ist Associate Professor an der Universität von Johannesburg.

Eine Vielzahl von Oppositionsparteien hofft, aus dieser Unzufriedenheit Kapital schlagen zu können, darunter ein Sammelsurium «Weißer» Parteien, die für weitere Sparmaßnahmen eintreten, sowie Abspaltungen des ANC wie die Economic Freedom Fighters von Julius Malema und die neu gegründete Umkhonto we Sizwe (MK, Speer der Nation), die nach dem bewaffneten Flügel des ANC während des Befreiungskampfes benannt ist und vom ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma angeführt wird. Zuma, der während seiner Zeit als Präsident des Landes die systematische Korruption und Aushöhlung des Staates vorantrieb, bestreitet die gegen ihn erhobenen Korruptionsvorwürfe, und die MK ist in seiner Heimatprovinz KwaZulu-Natal besonders stark.

Umfragen legen nahe, dass es zu einer Koalitionsregierung kommen wird. Die damit verbundenen konfliktiven Verhandlungen könnten die Instabilität, die viele (von chaotischen Koalitionen regierte) Städte kennzeichnet, auf die nationale Ebene heben. Besorgniserregend ist auch, dass Politiker*innen zunehmend auf populistische, einwandererfeindliche und rassistische Rhetorik zurückgreifen und die Ausweisung von Migrant*innen sowie die Todesstrafe für bestimmte Verbrechen fordern. Im März dieses Jahres veröffentlichte Zuma ein TikTok-Video, in dem er erklärte, dass es in Südafrika keine Kriminalität gegeben habe, «bevor die Ausländer kamen». Er kündigte an, minderjährige Mütter von ihren Kindern zu trennen und sie auf die ehemalige Gefängnisinsel Robben Island zu schicken. Die Patriotische Allianz spricht regelmäßig davon, dass «sie gehen müssen», und ihr Vorsitzender Gayton McKenzie sagte: «Ich werde die Jugendarbeitslosigkeit halbieren, indem ich all diese illegalen Ausländer massenhaft abschiebe, damit ... unsere Jugend Arbeit findet». Er fordert, den Kindern von Migrant*innen den Zugang zu Schulen zu verwehren. Die Inkatha Freedom Party spricht von «illegalen Ausländern» und will Mauern bauen, um sie fernzuhalten.

Der entscheidende Grund für die Wut, Verbitterung und Unzufriedenheit ist die Tatsache, dass es in den Jahren nach der Apartheid nicht gelungen ist, die grundlegende Struktur der Wirtschaft zu verändern. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 41 Prozent und ist unter jungen Menschen, für Frauen und in ländlichen Gebieten noch weitaus höher. Gleichzeitig ist Südafrika dafür bekannt, (zusammen mit dem benachbarten Namibia, das es zur Zeit der Apartheid viele Jahre lang besetzt hielt) das Land mit der weltweit höchsten Ungleichheit zu sein. Die Armut der Schwarzen Bevölkerungsmehrheit hält an, während die südafrikanische Eliten wie Eliten weltweit Vorzüge des südafrikanischen «Lifestyles» preisen: Luxusvillen in Kapstadt und anderswo, edle Weine, ein boomender Aktienmarkt. Die Wirtschaft wird nach wie vor von großen, profitablen Unternehmen dominiert, wobei Bergbau und der Finanzsektor den Kern der Wirtschaftstätigkeit bilden. Anstatt sich von diesem Kern zu lösen, hat die Übernahme einer von neoliberaler Globalisierung und Finanzialisierung angetriebenen Politik durch den ANC viele der Probleme der Apartheid-Ära noch verschärft, darunter die wachsende Ungleichheit, Deindustrialisierung, Perioden ohne Beschäftigungswachstum, niedrige Löhne und unsichere Arbeitsverhältnisse, weitgehend schuldengetriebener Konsum und extreme Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Die Krise der öffentlichen Versorgung hat sich durch die weit verbreitete Korruption im Zusammenspiel von staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen noch zugespitzt. Obwohl es in den letzten 30 Jahren wichtige Veränderungen gegeben hat, sind viele der erfolgreichsten Wirtschaftssektoren noch immer in der Hand von Großunternehmen, die von der rassistischen Unterdrückung und dem System der billigen Arbeitskräfte der Apartheid und des Kolonialismus profitiert haben (Ashman 2023a).

Der «Mineralien-Energie-Komplex»

Die These einer vom Mineralien-Energie-Komplex (MEC) dominierten Wirtschaft wurde vor etwa 25 Jahren von Ben Fine und Zavareh Rustomjee aufgestellt. Es handelte sich dabei nicht nur um eine wichtige Branchenanalyse, die auf die Bedeutung von Bodenschätzen und deren Verarbeitung, von Metallerzeugnissen und Energie hinwies, sondern auch auf die engen Verbindungen zwischen diesen Sektoren, ihre geringe Verflechtung mit der übrigen Wirtschaft und die Notwendigkeit einer Diversifizierung in Richtung anderer Sektoren. Die Analyse zielte außerdem darauf ab, die historisch spezifische Form der Kapitalakkumulation und ihre internen Spannungen zu verstehen. Das Entwicklungsmuster Südafrikas hat zwei starke Formen der Konzentration hervorgebracht: die Konzentration auf bestimmte Sektoren und die Konzentration des Eigentums innerhalb dieser Sektoren. Aufgrund des Umfangs der für den Minenbetrieb erforderlichen Mittel spielte das Finanzkapital seit jeher eine zentrale Rolle. Afrikaanisches[1] Kapital stieß später zum englischsprachigen Finanzwesen hinzu, da insbesondere der Finanzdienstleister Sanlam die Ersparnisse der afrikaanischen Bevölkerung in Investitionen lenkte (O'Meara). Im Laufe der Zeit entstand eine Wirtschaft, die einerseits sektoral verzerrt war und andererseits von Großkonzernen dominiert wurde, die Bergbau-, Finanz- und andere Produktionsinteressen unter ihren Fittichen hatten. Alle diese Konzerne profitierten von billiger Schwarzer Arbeitskraft, von einem extrem repressiven Arbeitssystem und der Verweigerung demokratischer Rechte für die Mehrheit.

Fine und Rustomjee bezeichneten den MEC als das für Südafrika spezifische Akkumulationssystem und lieferten damit eine Theorie, mit der sich das konkrete Muster der Entstehung und Entwicklung von Klassenbeziehungen in Zeit und Raum verstehen lässt. Jedes Akkumulationssystem ist notwendigerweise in das Weltsystem eingebettet. In dem Maße, in dem sich Klassenbeziehungen entwickeln, entsteht eine ökonomische Struktur aus Produktion, Verflechtungen, Institutionen (einschließlich staatlicher), Strategien (einschließlich staatlicher) und Bruchlinien innerhalb der Klassen, die sich im Laufe der Zeit verändern. Entsprechend dem sich entwickelnden Verflechtungsmuster machen Länder unterschiedliche Erfahrungen mit der Industrialisierung, die folglich als eine «sich verändernde Verflechtungsstruktur» (Fine/Rustomjee: 39) verstanden werden kann. Auch der Ökonom Albert Hirschman betonte die Bedeutung der Entwicklung von Verflechtungen, aber sein Ansatz stieß an seine Grenzen, da er Klassenbeziehungen, Strategien und die Dynamik von Industrialisierungsprozessen vernachlässigte. Ein Akkumulationssystem (nicht notwendigerweise ein nationales) kann in einem weiteren oder engeren Sinne verstanden werden. Im engeren Sinne kann es als eine Kerngruppe von Sektoren spezifiziert werden, wie sie in Input-Output-Tabellen[2] zum Ausdruck kommt. Dies ist von empirischer Bedeutung. Im weiteren Sinne ergeben sich diese Kernsektoren aus den Klassenbeziehungen und der Wertschöpfung und müssen in Beziehung zum Staat und zum Finanzsektor gesetzt werden.

Fine und Rustomjee identifizierten die folgenden MEC-Kernsektoren auf der Grundlage der Input-Output-Verflechtungen zwischen ihnen (und relativ schwächeren Input-Output-Verflechtungen mit Nicht-MEC-Sektoren): Kohle, Gold, Diamanten und andere Bergbauaktivitäten; Elektrizität; nichtmetallische Bodenschätze; Eisen und Stahl erzeugende Grundstoffindustrien; Nichteisenmetalle erzeugende Grundstoffindustrien; Düngemittel, Pestizide, Kunstharze, Kunststoffe, andere Chemikalien, chemische Grundstoffe und Erdöl. Die Analyse der Entwicklung Südafrikas konzentrierte sich jedoch auf den Zusammenhang zwischen Klassen- und Wirtschaftsstruktur sowie auf die Schlüsselrolle des Staates und der Industriepolitik. Die MEC-Analyse wies somit empirisch die Input-Output-Beziehungen zwischen wirtschaftlichen Teilsektoren nach, die in Bezug auf Kapitalanteile, Industriesektoren und den Staat betrachtet wurden, sowie die Entstehung und Entwicklung von Klassenbeziehungen und -konflikten, wie sie sich in den Mustern der Akkumulation und der wirtschaftlichen und sozialen Reproduktion im Laufe der Zeit widerspiegeln.

Obwohl der MEC sich im Wesentlichen unter der Apartheid entwickelte und bis in die 1980er Jahre festigte, beruhte er doch auf den zuvor geschaffenen sozioökonomischen Grundlagen. Durch die koloniale Eroberung wurden weltweit und in ganz Afrika große Landstriche in private Kontrolle und Monokulturen überführt. Die Enteignung und Einhegung von Land, die gewaltsame Ausdehnung von Grenzen und die Zerstörung von Gemeingütern durch niederländische, britische und afrikaanische Siedler*innen hatten massive Auswirkungen auf Landnutzung und Umwelt. Nach der Entdeckung von Bodenschätzen etablierten Kapital und Staat – im Laufe der Zeit sowie durch Erprobung und Krieg – ein System der Wanderarbeit, in dem Afrikaner*innen die «Reservate» verließen, um vorübergehend in den Minen zu arbeiten während andere afrikanische Arbeitskräfte dem landwirtschaftlichen Kapital und später den neuen urbanen Zentren «zugeteilt» wurden. Dieses System basierte auf der Enteignung von Land gemäß dem Land Act von 1913. Die Stärkung und Ausweitung des Systems der Reservate/Bantustans während der Apartheid bedeutete eine systematische Förderung der Unterentwicklung, die durch die Raumplanung der Apartheid noch verschärft wurde. Das Erbe dieses Systems der Zwangsarbeit zeigt sich nach wie vor in der gesamten Wirtschaft und Gesellschaft, da Südafrika im Streben nach Gold zur Unterstützung des globalen Währungssystems umgestaltet wurde (Ashman 2023b).

Ab 1948 förderte und entwickelte der Staat aktiv Schlüsselindustrien, insbesondere Elektrizität und Stahl, um den Bedarf der Bergbauunternehmen zu decken, die eine stabile Versorgung mit (möglichst billiger) Elektrizität benötigten. Eskom (wie das Unternehmen seit den 1980er Jahren heißt) stellte die Stromversorgung der Minen, der Landwirtschaft und der Industrie sicher. Die (inzwischen privatisierten) halbstaatlichen Unternehmen Iscor (Stahl) und Sasol (flüssige Brennstoffe aus Kohle, Chemikalien) trugen ebenfalls zur Entwicklung von Infrastruktur, Energie und Chemikalien bei. Sasol ist nach wie vor ein wichtiger Kohleproduzent und -verbraucher. Bergbau, Petrochemie, Metallindustrie und verwandte Branchen verbrauchten rund 40 Prozent der Elektrizität, was zu einer starken Abhängigkeit der südafrikanischen Industrie von Kohle als Primärenergieträger, einer hohen Energieintensität und der Abhängigkeit von billigem Strom für Großunternehmen führte. Der MEC wurde um Kohle und billige Energie für den Bergbau herum aufgebaut, während die höherwertige Kohle exportiert wurde. Eskom, Iscor und später Sasol profitierten von der Bevorzugung bei der Auftragsvergabe und sicherten sich so geschützte Arbeitsplätze für Weiße und Ausschreibungen für Weiße Unternehmen. Eine inklusive Entwicklung war nie das Ziel, und als die Apartheid 1994 zusammenbrach, waren etwa zwei Drittel der Haushalte nicht einmal an das Stromnetz angeschlossen. Soziale, rassistische und ökologische Benachteiligungen sind in Südafrika seit langem eng miteinander verwoben.

Die Trennung zwischen englischem und afrikaanischem Kapital wurde vor allem in den späten 1950er und 1960er Jahren allmählich aufgehoben. In den 1970er und 1980er Jahren entstanden Mischkonzerne, die Bergbau-, Produktions- und Finanzinteressen miteinander verbanden. In den 1980er und 1990er Jahren kam es zu einer Ausweitung des Ankaufs von Finanzanlagen, die jedoch weniger durch das Streben nach Shareholder Value motiviert war, wie es heute der Fall ist, als vielmehr durch die Tatsache, dass das Kapital aufgrund der Sanktionen in Südafrika «gefangen» war, während die politischen Unruhen und die Unsicherheit weiterhin zur Zurückhaltung bei Investitionen in Festkapital führten. Dies trug zur Ausweitung und Vertiefung[3] der Kapitalmärkte bei, so dass der Anteil der Börsenkapitalisierung am BIP beträchtlich war – sogar höher als in den USA der 1980er Jahre. In dieser Phase wurde das Wachstum des Finanzsektors hauptsächlich durch politische Instabilität getrieben, was sich jedoch in den 1990er Jahren änderte, wozu die von der De-Kock-Kommission[4] empfohlene Deregulierung beitrug. In der späten Phase der Apartheid bemühten sich Staat und Kapital um Liberalisierung und Deregulierung und bezogen Teile der Führung der Befreiungsbewegung in dieses Projekt ein.

Post-Apartheid und der finanzialisierte Mineralien-Energie-Komplex

Der globale Neoliberalismus und die Finanzialisierung der Vermögensbildung sind die bedeutendsten Veränderungen in der Weltwirtschaft seit der Weltwirtschaftskrise der 1970er Jahre. Ausgelöst durch den wirtschaftlichen Abschwung in Nordamerika und Westeuropa nach dem Nachkriegsboom, den Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems und die Liberalisierung der internationalen Kapitalströme, die Internationalisierung des Produktionskapitals und die «Aushöhlung» des Staates, weist die Finanzialisierung trotz ihres globalen Charakters in verschiedenen nationalen Kontexten spezifische Merkmale auf. Die großen Konzerne haben in diesem globalen Kontext eine tiefgreifende Umstrukturierung erfahren. Mitte der 1980er Jahre kontrollierten nur sechs Konzerne – Anglo American Corporation, Sanlam, SA Mutual, Rembrandt, Anglovaal und Liberty Life – 84 Prozent der Johannesburger Börse. Dieses Bild hat sich nachhaltig verändert, aber die Wirtschaft ist nach wie vor stark konzentriert und das im klassischen MEC verwurzelte Kapital der «alten Ordnung» steht noch immer im Mittelpunkt. Gleichzeitig hat diese Entflechtung zur Herausbildung von Unternehmensgruppen mit ausgeprägtem Finanzcharakter geführt, deren wirtschaftliche und politische Macht in dem Maße zugenommen hat, wie die Finanzialisierung der Wirtschaft zunahm und die Konzerne unter globaler Eigentümerschaft und Kontrolle zu globalen Produktionsnetzwerken umstrukturiert wurden (mit unterschiedlichen Ergebnissen).

Darüber hinaus war die Umstrukturierung der südafrikanischen Wirtschaft ein wichtiges Element (und eine Folge) der makroökonomisch orientierten Politik seit 1994, die Kapitalflucht und Unternehmensumstrukturierungen weitgehend förderte, insbesondere durch die Entscheidung, Großunternehmen zu erlauben, sich im Ausland neu zu orientieren. Hohe Wechselkurse begünstigten den Kapitalexport. Kurzfristige Kapitalzuflüsse, die durch historisch hohe Zinssätze angezogen wurden, führten zwar zu Instabilität, waren jedoch notwendig, um das entstandene Zahlungsbilanzdefizit zu decken. Darüber hinaus sank der Anteil der Löhne am Nationaleinkommen und die Lohnungleichheit nahm stark zu, was im Zuge der Liberalisierung des Finanzsystems zur steigenden Verbraucherverschuldung beitrug. Die Finanzialisierung des MEC hatte erhebliche und katastrophale Auswirkungen auf die Investitionen, da das Finanzsystem Geld in kurzfristige Spekulationen und Kredite an private Haushalte statt in langfristige produktive Investitionen lenkte. Dies ging mit dem Druck auf die Löhne einher, die für das niedrige Investitionsniveau verantwortlich gemacht wurden, und mit Maßnahmen zur Senkung der Arbeitskosten.

Das Wachstum des Finanzsektors und die Schrumpfung des verarbeitenden Gewerbes waren verbunden mit einem Wachstum des Dienstleistungssektors und der Verschuldung. Die Kreditvergabe an Arme, sowohl durch Banken als auch durch irreguläre Kreditgeber, hat deutlich zugenommen. Der Dienstleistungssektor verzeichnete bei den Investitionen und auch bei der Beschäftigung einen Zuwachs, der jedoch zum Teil auf schuldengetriebenen Konsum und die Auslagerung von Reinigungs- und anderen Dienstleistungen zurückzuführen ist. Der ungleiche Zugang zu Hypothekenkrediten und deren räumliche Verteilung hat dazu geführt, dass Personen mit höherem Einkommen durch die Inflation der Immobilienpreise einen größeren Vermögenszuwachs erzielen konnten und in der Lage waren, durch den Erwerb von Finanzanlagen (Investmentfonds, Stammaktien, Renten- und Versicherungsprodukten) ein höheres Einkommensniveau zu erlangen. Die Johannesburger Börse hat sich gewandelt, aber in wichtigen Wirtschaftszweigen herrschen nach wie vor Oligopole mit erheblicher Marktmacht. Es mangelt weiterhin an grundlegender Infrastruktur und sozialen Dienstleistungen. Der unabhängige Finanzsektor (inzwischen von den Konzernen getrennt) verstärkt die Investitionsmuster der Vergangenheit, erhöht aber durch Risikofinanzierung und Kreditvergabe auch die Verschuldung. Finanzialisierung prägt zunehmend das Handeln der Großkonzerne, während große Teile der Bevölkerung marginalisiert und verschuldet bleiben. Das Kapital zieht sich aus produktiven Aktivitäten zurück, was zu einem Rückgang der Anlageinvestitionen, insbesondere in Sektoren außerhalb des Kernbereichs des MEC, und zu einer höheren Kapitalintensität in der verarbeitenden Industrie geführt hat. Rund 50 Prozent des BIP stammen aus dem Rohstoff- und Energiesektor, obwohl nur 25 Prozent der Arbeitsplätze in diesem Sektor angesiedelt sind. Die südafrikanische Wirtschaft war daher nicht in der Lage, die wachsende Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zu beschäftigen, und im Zusammenspiel mit der Pandemie kam es darüber hinaus zu einem Rückgang der absoluten Beschäftigungszahlen.

Armut, Arbeitslosigkeit und Ungleichheit sind die Folgen dieser Entwicklung. Die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung «verdienen» heute 66,5 Prozent des Gesamteinkommens und besitzen 85,7 Prozent des Gesamtvermögens (Chancel et al.). Gründe dafür sind die hohe Arbeitslosigkeit (und die Abhängigkeit von Sozialhilfe zum Überleben) sowie die Hungerlöhne für viele, die Arbeit haben. Die niedrigen Löhne lassen sich ab 1994 auf den Rückgang der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigung, auf Outsourcing und die Missachtung von Arbeitsschutzgesetzen zurückführen. Covid-19 hat die Krise der Arbeitslosigkeit natürlich noch verschärft, wobei der weit verbreitete Arbeitsplatzabbau eine direkte Folge der (nicht von ausreichender sozialer Unterstützung begleiteten) Lockdowns war. Lediglich im informellen Sektor ist ein leichter Anstieg der Beschäftigung zu verzeichnen. Durch neue Technologien, einschließlich der Plattformökonomie, droht weiterer Arbeitsplatzabbau, wobei gleichzeitig neue Beschäftigungsformen entstehen, die wiederum im Bereich der Plattformarbeit angesiedelt sind. Bemerkenswert ist, dass die Deindustrialisierung mit einer Entagrarisierung einherging. Die großflächige, kommerzielle Landwirtschaft hat dazu geführt, dass die kleinbäuerliche Landwirtschaft nicht mehr wettbewerbsfähig ist. In vielen ländlichen Gebieten wird kaum noch Landwirtschaft betrieben. Stattdessen sind staatliche Sozialleistungen in Form von Renten oder Kindergeld inzwischen die wichtigste Existenzgrundlage. Die Arbeitsmigration setzt sich fort und ist vermehrt mit informeller und Gelegenheitsarbeit sowie dem Aufenthalt in informellen Siedlungen und städtischen Gebieten verbunden. Im Zentrum dieser zirkulären Migration steht auch für viele junge Frauen, die ihre Kinder bei ihren Müttern auf dem Land zurücklassen, der ländliche Wohnort. Die Entagrarisierung des ländlichen Raums und die Abhängigkeit von Sozialleistungen gehen mit der Ausbreitung und zunehmenden Bedeutung von Supermärkten einher. Supermärkte und Sozialleistungen kennzeichnen heute den ländlichen Raum (Ashman 2023a).

Wohin steuert der MEC?

Diese weit verbreitete Krise ist eine Folge der sich wandelnden Integration des südafrikanischen Kapitals in die Weltwirtschaft und seiner Strategien innerhalb dieses globalen Wirtschaftssystems. Der MEC ist zersplittert. Der Staat verfolgt keine Industrialisierungsstrategie mehr, die dominierenden Wirtschaftssektoren sind jedoch nach wie vor der Bergbau und der Finanzsektor. In den neuen Wirtschaftszweigen bestehen Besitzverhältnisse fort und werden in vielen Bereichen von denselben Unternehmensgruppen kontrolliert, die unter den von Kolonialismus und Apartheid geschaffenen Systemen und Strukturen groß geworden sind und davon profitiert haben. Das Wachstum des Finanz- und Dienstleistungssektors, der Medien und Telekommunikation sowie des elektronischen Handels geht einher mit Deindustrialisierung, Entagrarisierung und zunehmender Verschuldung der privaten Haushalte. Schwarzes Kapital konnte sich nur begrenzt durchsetzen. Die Grundversorgung ist durch ihre Warenförmigkeit in eine Krise geraten, die Arbeitswelt befindet sich in der Krise und die Reproduktionskrise wird von den afrikanischen Frauen fortgeschrieben.

Wirtschaft und Gesellschaft stecken in einer tiefen Krise, die sich in der politischen Zersplitterung des ANC widerspiegelt. Dies gilt auch für die Krisensituation von Eskom, dem staatlichen Stromversorger und Herzstück des Apartheidprojekts. In der demokratischen Ära drohte dem Unternehmen bereits die Privatisierung, es wurde zu wenig investiert, und heute ist es hoch verschuldet und von Korruption durchsetzt. Wiederholte Stromausfälle trafen Verbraucher*innen, Gemeinden und Unternehmen gleichermaßen. Viele größere Unternehmen (und wohlhabendere Haushalte) haben begonnen, eigene Stromerzeugungsanlagen (Diesel oder Solar) zu installieren, um dem desolaten Zustand des nationalen Netzes zu entgehen. Dieser Trend dürfte sich noch verstärken. Mit dem Haushalt 2023 wurde eine 125-prozentige Subvention für Unternehmen eingeführt, die im kommenden Jahr Solaranlagen installieren, um die Nachfrage im nationalen Netz zu senken und den Übergang zu einer umweltfreundlicheren Stromerzeugung und einem umweltfreundlicheren Stromverbrauch zu ermöglichen. Subventionen für Haushalte, die Solaranlagen installieren, wurden ebenfalls angekündigt, fielen allerdings nicht sehr großzügig aus und schlossen die Mehrheit der arbeitenden Armen und Arbeitslosen aus, da sie sich nur an Einkommenssteuerzahler*innen richteten.

Der politische Kurs begünstigt die Aushöhlung der staatlichen Kapazitäten zur Gewährleistung des allgemeinen Zugangs zu qualitativ hochwertigen öffentlichen Gütern und Dienstleistungen. Sie fördert die Idee eines privaten Übergangs zu sauberer Energie. In der Praxis bedeutet dies eine weitere Vertiefung der Ungleichheiten, wenn auch mit grünem Anstrich. Unternehmen und erwerbstätige, steuerkonforme Verbraucher*innen sollen zu «Prosument*innen» werden, indem sie sowohl Strom aus dem Netz verbrauchen als auch den von ihnen erzeugten Überschuss ins Netz einspeisen. Es sind keine Mittel für eine Erhöhung der Stromerzeugung vorgesehen. Man geht sogar stillschweigend davon aus, dass die Erzeugungskapazität von Eskom heruntergefahren wird.

Südafrika steuert geradewegs auf ein Zwei-Klassen-System zu, in dem die Mehrheit weiterhin von einer unzureichenden und zusammenbrechenden Netzinfrastruktur mit ihren Stromabschaltungen abhängig sein wird. Unternehmen haben bereits begonnen, ihren eigenen Strom zu produzieren. Diese Entwicklung wird nicht nur durch die Eskom-Krise vorangetrieben, sondern auch durch die Veränderungen, die durch die langsamen und unzureichenden weltweiten Bemühungen zur Bewältigung des Klimawandels erforderlich werden. Südafrika gehört zu den größten Emittenten Afrikas und nimmt weltweit den dreizehnten Platz ein, obwohl der Kontinent insgesamt weniger als 4 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen verursacht und sich doppelt so schnell erwärmt wie der globale Durchschnitt. Ziel der Regierung ist es, bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Aufgrund ihrer Emissionsintensität werden afrikanische Exporte bald vom EU-Emissionshandelssystem betroffen sein.

Ausgehend von der COP26 wurden «Just Energy Transition Partnerships» mit einem Finanzvolumen von ca. 8,5 Milliarden US-Dollar vereinbart, die vorgeblich den Kohleausstieg in Südafrika und anderen Entwicklungsländern unterstützen sollen. Diese Mittel sind jedoch in ihrer Gesamthöhe unzureichend, werden überwiegend in Form von Krediten vergeben, die die Verschuldung weiter erhöhen, und basieren auf der zweifelhaften Vorstellung, dass damit erfolgreich privatwirtschaftliche Investitionen angestoßen werden können.

Der Abbau des Staates in der demokratischen Ära hat auch die Möglichkeiten der lokalen Produktion von Solarmodulen untergraben. Da es nicht möglich ist, lokale Kapazitäten aufzubauen, wird dieser Ansatz nun wahrscheinlich ganz aufgegeben. Stattdessen wird der Import von Solarmodulen und anderen grünen Technologien zunehmen. Dabei geht es nicht nur um Solarenergie, sondern auch um die Entwicklung von grünem Wasserstoff, da die Nachfrage aus Europa steigt, seit der Ukraine-Krieg die Abhängigkeit des Kontinents von russischen Gaspipelines deutlich gemacht hat. Im südlichen Afrika werden wahrscheinlich private Produktionsstätten für grünen Wasserstoff entstehen, wobei der Schwerpunkt eher auf der Produktion für den Export als auf der Deckung des Energiebedarfs der lokalen Bevölkerung liegen wird. Bergbauunternehmen positionieren sich als Lieferanten von Bodenschätzen für die Energiewende. Auf diese Weise versucht der Kern des MEC, sich neu zu formieren und sich ökologisch zu positionieren, zu dekarbonisieren und das Zentrum der Bemühungen zu werden, die notwendigen Rohstoffe für einen ökologischen Übergang zu liefern. Diese Entwicklungen stellen nicht nur einen weiteren Schritt in der Fragmentierung des MEC dar, sondern zeigen auch die gravierenden Grenzen des «grünen Kapitalismus» und sein Versagen, Strukturen von Rassismus, Macht und Ungleichheit zu überwinden.

Literaturangaben

Ashman, Sam (2023a): Beyond the MEC? Limits and Prospects in the Development of South African Capitalism, in: Mohamed, Seeraj/Ngoma, Amuzweni/Baloyi, Basani (Hrsg.): The Evolving Structure of South Africa’s Economy: Fault lines and Futures, Mapungubwe Institute for Strategic Reflection, Johannesburg, 2023, S. 59–85.

Ashman, Sam (2023b): The Uneven and Combined Development of Racial Capitalism and South Africa’s Changing Race-Class Articulations, Global Political Economy, 2:1, 2023, S. 37–57.

Chancel, Lucas/Piketty, Thomas/Saez, Emmanuel/Zucman, Gabriel (2022): World Inequality Report 2022, https://wir2022.wid.world.

Fine, Ben/Rustomjee, Zavareh (1996): The Political Economy of South Africa: From Minerals-Energy Complex to Industrialization, Hurst, London.

O’Meara, Dan (1983): Volkskapitalisme: Class, capital and ideology in the development of Afrikaner nationalism 1934-1948, Cambridge University Press, Cambridge.

[Übersetzung von Camilla Elle und Sabine Voß für Gegensatz Translation Collective]


[1] Als Afrikaaner*innen wird eine ethnische Gruppe im südlichen Afrika bezeichnet, die von überwiegend niederländischen Siedler*innen abstammt, die erstmals 1652 am Kap der Guten Hoffnung eintrafen. [Anm. d. Ü.]

[2] Input-Output-Tabellen werden verwendet, um die direkten und indirekten Auswirkungen von Änderungen der Nachfrage, der Preise, der Löhne usw. auf die Gesamtwirtschaft und die einzelnen Sektoren zu analysieren. [Anm. d. Ü.]

[3] Unter Markttiefe ist die Fähigkeit eines Marktes zu verstehen, auch große Marktvolumina umsetzen zu können, ohne dass es zu signifikanten Veränderungen des Marktpreises kommt. [Anm. d. Ü.]

[4] Die Commission of Inquiry into the Monetary System and Monetary Policy in South Africa (Untersuchungskommission für das Geldsystem und die Geldpolitik in Südafrika) wurde nach ihrem Vorsitzenden Gerhard de Kock De Kock-Kommission genannt. [Anm. d. Ü.]