Nachricht | Arbeit / Gewerkschaften - Südliches Afrika «Zahlungen stets abgelehnt»

BASF und das Marikana-Massaker: Interview mit Markus Dufner vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre

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Markus Dufner,

Markus Dufner, Mann mit kurzen Haaren und blaumen Hemd, vor Altstadtkulisse mit Dom
Markus Dufner vom Dachverband Kritische Aktionärinnen und Aktionäre: «Wir machten den BASF-Managern klar, dass sie ihrer Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten in der Lieferkette nicht gerecht wurden».

Das deutsche Unternehmen BASF bezog zur Zeit des Massakers im südafrikanischen Marikana 2012 den Rohstoff Platin von dem damaligen Minenbetreiber Lonmin. Das in England gelistete Unternehmen war zum damaligen Zeitpunkt drittgrößter Platinproduzent weltweit und wurde 2019 vom Sibanye Stillwater übernommen. Die staatlich eingesetzte «Marikana Commission of Inquiry» wies früh Lonmin umfangreiche Verletzungen gesetzlicher Verpflichtungen bei Arbeitsschutz und Lebensbedingungen der Arbeiter*innen nach. Zusätzlich unterstützte Lonmin infrastrukturell und logistisch den Polizeieinsatz, der zum Massaker führte. Seit dem Massaker haben sich Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter*innen und Betroffenen des Massakers nicht verbessert.

Gemeinsam mit Communities, fordern südafrikanische und deutsche Organisationen von BASF als Hauptabnehmer eine Übernahme der Verantwortung und Entschädigungen. Über die zivilgesellschaftlichen Forderungen an und die Reaktionen von BASF berichtet Markus Dufner vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre.

Seit vielen Jahren protestieren die Kritischen Aktionäre vor den BASF Jahreshauptversammlungen, bringen Redebeiträge bei und stellen Anträge – zu Marikana erstmalig 2015. Konntet Ihr irgendeine Bewegung bei BASF erkennen?

Als Teil der südafrikanisch-europäischen Kampagne Plough Back the Fruits (PBTF) ermöglichten wir Kritischen Aktionäre es Bischof Seoka, den Witwen getöteter Bergleute und einem Minenarbeiter, der das Massaker schwer verletzt überlebt hatte, und dem Vorsitzenden der südafrikanischen Bergbaugewerkschaft AMCU, auf Hauptversammlungen von BASF zu sprechen. BASF hatte das Massaker bis dahin totgeschwiegen. So machten wir den Aktionärinnen und Aktionären und einer größeren Öffentlichkeit bewusst, unter welchen Bedingungen Platin in Südafrika abgebaut wird, und dass BASF den Rohstoff braucht, um Katalysatoren für die deutsche Autoindustrie zu produzieren. Wir machten den BASF-Managern klar, dass sie ihrer Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten in der Lieferkette nicht gerecht wurden. Davon wollte das Management nichts wissen, und es wollte schon gar keine Entschädigung an die Opfer zahlen.

Auf welche Argumentationen zieht sich BASF immer wieder zurück?

Die Diktion von BASF war von Anfang an: «Wir haben keine Schuld am Massaker von Marikana». Dabei war unsererseits gar nicht von Schuld die Rede, sondern von mangelnder Verantwortung. Viele Aktionärinnen und Aktionäre, die auf der Hauptversammlung zum ersten Mal davon hörten, reagierten beschämt auf die ignorante Haltung des BASF-Vorstands.

Wie ist die aktuelle Position von BASF in dem Fall?

Seit 2015 verlangten PBTF und andere Nichtregierungsorganisationen, dass BASF bei Lonmin Audits durchführen müsse, um die Arbeitsbedingungen in den Minen und die Lebensbedingungen in den Siedlungen der Bergleute zu überprüfen. Diesen Forderungen wurde nur sehr zögerlich und unvollkommen nachgekommen. BASF verweist darauf, dass man sich mit Sibanye Stillwater im Jahr 2021 zu den Audit-Ergebnissen aus dem Jahr 2020 und einem «daraus resultierenden Handlungsplan» ausgetauscht habe. Dazu gehöre auch die «Zusammenarbeit mit allen Interessengruppen» einschließlich der lokalen Behörden, um einen «einheitlichen Ansatz für die Entwicklung der Kommunen» zu verfolgen. Angeblich konnten bis Ende 2021 «nahezu alle im Audit aufgezeigten Anpassungsbedarfe» umgesetzt werden.
Diese Behauptungen von Konzernseite stehen im Widerspruch zu Aussagen von lokalen Gruppen. «Die Situation der Menschen in Marikana hat sich in den vergangenen zehn Jahren so gut wie nicht geändert», berichtet Thumeka Magwangqana von der Frauengruppe Sinethemba. «Wie alle Bergbau-Gemeinden leiden die umliegenden Gemeinschaften der Platin-Mine überproportional unter Tuberkulose und Silikose als Folgen des Platinabbaus. Ihre Versorgung mit adäquaten Häusern, Elektrizität, Wasser- und Abwassersystemen bleibt besorgniserregend. Selbst die Gehälter derer, die in der Mine arbeiten, bleiben, wenn man die Inflation berücksichtigt, auf dem Niveau von 2012» hatte sie uns neulich berichtet.

Suchte BASF den Dialog mit Gewerkschaften wie AMCU und den Hinterbliebenen des Massakers oder ist der Austausch mit Sibanye-Stillwater über langfristige Lieferbeziehungen der einzige, der gesucht wird?

Seit 2016 fanden sogenannte Stakeholder-Dialoge zwischen Vertreter*innen der Opfer und BASF statt – vorwiegend vor und nach den Hauptversammlungen. An den Dialogen beteiligten sich PBTF, Brot für die Welt und die südafrikanischen Organisationen Bench Marks Foundation und Center for Applied Legal Studies (CALS). 2017 nahm PBTF erstmals an der Aktionärsversammlung von Lonmin in London teil und traf sich zu einer Unterredung mit dem damaligen CEO Ben Magara.
Nach BASF-Angaben gibt es seit 2018 einen Austausch zu Nachhaltigkeitsthemen mit Sibanye-Stillwater, dem südafrikanischen Bergbaukonzern, der Lonmin übernahm. Im Jahr 2019 beschlossen Sibanye-Stillwater und BASF, im Rahmen ihrer Stakeholder-Dialoge zusammenzuarbeiten und die Kooperation zwischen den Anspruchsgruppen zum Wohle der Allgemeinheit zu fördern. Beide nahmen 2019 und 2020 am «Courageous Conversations Dialogue» teil, zu dem der anglikanische Erzbischof von Kapstadt eingeladen hatte, um sich über Herausforderungen und Erfolgsfaktoren bei Gemeinschaftsprojekten auszutauschen.

Als Gründungsmitglied des UN Global Compact und in Übereinstimmung mit den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte hätte BASF bereits 2012 die gesamte Lieferkette auf Menschenrechtsverletzungen untersuchen müssen, was nicht geschah. All das zeigt die Schwächen freiwilliger Initiativen. Muss BASF mit dem im letzten Jahr verabschiedeten Lieferkettengesetz ab 2023 der eigenen menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachkommen? Welche Wirkungen erwarten Sie?

Nicht zuletzt der Fall Marikana trug dazu bei, dass der deutsche Bundestag 2021 ein Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz verabschiedete. Da BASF ein Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten ist, gilt das Gesetz ab 1. Januar 2023, für kleinere Unternehmen erst ein Jahr später.  Wir erwarten, dass BASF dann vorbeugend gegen menschenrechtliche Verstöße im Rahmen der eignen Auslandsgeschäfte bzw. bei den Zulieferern vorgeht. Dass dringender Handlungsbedarf besteht, ist klar: Allein Im Jahr 2021 sind in den Minen von Sibanye-Stillwater 18 Mitarbeiter bei Bergbauunfällen ums Leben gekommenen.

Nun ist es so, dass BASF m.W. nach dem Lieferkettengesetz nicht rückwirkend für Verfehlungen sanktioniert werden kann. Also können Entschädigungen, z.B. für die Familien der Opfer, weiter umgangen werden?

Nein, das Lieferkettengesetz gilt nicht rückwirkend. Obwohl BASF Nutznießer des Platins aus Südafrika war, hat der Konzern die freiwillige Zahlung von Entschädigungen oder die Einrichtung eines Fonds für die Hinterbliebenen des Massakers stets abgelehnt. Entschädigungen werden vom südafrikanischen Staat an die Familien der getöteten Minenarbeiter und an Überlebende des Massakers ausgezahlt. Es hat bis jetzt gedauert, dass der Generalstaatsanwalt erklärt, dass die verbleibenden zwei Dutzend Entschädigungsforderungen von insgesamt 370 Marikana-bezogenen Rechtsstreitigkeiten bis zum Ende des Monats beigelegt werden müssen.

BASF sah sich vornehmlich einem Multi-Stakeholder-Verfahren verpflichtet, welches auf Dialog setzte, statt von sich aus Entschädigungszahlungen und Verantwortungsübernahme offensiv anzugehen. Zeigt sich hier ein Beispiel, dass solche Akteursverfahren scheitern?

Die Multi-Stakeholder-Verfahren waren sicher besser als gar nichts zu tun. Trotzdem kam nicht die erhoffte Wende für die Arbeiter und die Gemeinden. Eine Studie von Brot für die Welt, die jetzt veröffentlicht wird, sieht sogar eine «Abwärtsbewegung». So sei ihr Leben «prekärer» und die Unsicherheit am Arbeitsplatz «zur Norm» geworden; «die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften ist unter Sibanye erodiert, Arbeitslosigkeit und Entlassungen nehmen zu und die Armut steigt.»

Angesicht des defensiven Verhaltens von BASF, welche Hebel haben die Communities, die gewerkschaftlichen und die zivilgesellschaftlichen Unterstützer*innen um BASF zur Verantwortung zu ziehen?

Es muss weiter Druck auf Sibanye-Stillwater ausgeübt werden, um die lokalen Missstände zu beseitigen anstatt ihnen auszuweichen. Zudem sollte BASF in Erwägung ziehen, Basisgruppen zu unterstützen und zu stärken, die sich für die Marikana-Gemeinde, die Minenarbeiter und für Gerechtigkeit einsetzen.

Interview: Andreas Bohne

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