Nachricht | Migration / Flucht - Sozialökologischer Umbau - Klimagerechtigkeit - COP27 Die Umwelt als Gefahr

Wetterbedingte Ereignisse, die auf den Klimawandel zurückzuführen sind, vertreiben Millionen Menschen

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Autorin

Amali Tower,

Die Umwelt als Gefahr (aus: Atlas der Migration 2022)
Atlas der Migration 2022

Der Klimawandel verändert die Migration in allen Regionen der Welt. Wetterextreme wie Überschwemmungen, Wirbelstürme und der Anstieg des Meeresspiegels sind die Ursache für Flucht und Vertreibung. Trotz ihrer relativ geringen CO2-Emissionen sind dabei Länder mit niedrigem Einkommen und marginalisierte Bevölkerungsgruppen unverhältnismäßig stark betroffen. Extremwetterereignisse wie Dürren zerstören ihre Lebensgrundlagen und zwingen Menschen zu gehen – nicht nur auf der Suche nach Arbeit, sondern um ihr Überleben zu sichern.

Amali Tower arbeitet für die Menschenrechtsorganisation Climate Refugees in New York.

Die meisten Migrations- und Fluchtbewegungen spielen sich innerhalb des eigenen Landes ab. Wenn das nicht ausreicht und das Land verlassen werden muss, ziehen Menschen meist zunächst in Nachbarländer. Die Weltbank geht davon aus, dass die Auswirkungen des Klimawandels bis 2050 bis zu 216 Millionen Menschen dazu zwingen könnten, innerhalb ihres Landes umzuziehen.

Allein 2020 wurden 30,7 Millionen Menschen aufgrund wetterbedingter Ereignisse vertrieben. Das waren dreimal so viele, wie durch Konflikte oder Gewalt entwurzelt wurden. Die meisten Klimaflüchtlinge gibt es in Asien, wo im Jahr 2021 über 57 Millionen Menschen betroffen waren. Eine*r von drei Migrant*innen weltweit stammt von dem Kontinent. Ländliche Ortschaften leeren sich, Megastädte wie Indonesiens Hauptstadt Jakarta sind bedroht. Einige Regionen, die derzeit dicht besiedelt sind, werden unsicher oder unbewohnbar werden, heißt es im Bericht des Weltklimarates. Gründe sind Wassermangel und Ernteausfälle, Sturmfluten, Überschwemmungen in Flusstälern und andere Katastrophen.

Ob und wann eine Person den einschneidenden Schritt geht, ihr Zuhause zu verlassen, hängt allerdings nicht allein von den äußeren Gefahren ab. Ebenso sind soziale Faktoren wie Schutz durch die Gemeinschaft oder die individuelle finanzielle Situation maßgeblich. Migration, auch vorübergehende oder saisonale, kann eine wichtige Strategie sein, um den Auswirkungen des Klimawandels zu trotzen. Doch wenn die zuständigen Stellen direkt Betroffene nicht bei der Anpassung unterstützen, laufen sie Gefahr, in noch schlimmere Situationen zu geraten. Während das Recht zu migrieren universell ist, muss auch das Recht, nicht zu migrieren, geschützt werden, denn klimabedingte Migration ist meist erzwungene Migration.

Es gibt bis heute keine allgemein anerkannte Definition für eine Person, die vor dem Klimawandel flieht. Obwohl der Begriff «Klimaflüchtling» weitverbreitet ist, sind umweltbedingte Fluchtgründe von den UN bisher nicht formal als eigenständige Fluchtursache anerkannt. Dazu bedarf es einer Entscheidung der Mitgliedstaaten. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR hat lediglich angeregt, über einen verbesserten Schutz für Menschen zu diskutieren, die im Zusammenhang mit Katastrophen und dem Klimawandel vertrieben werden. 2018 haben die UN den Globalen Pakt für Migration verabschiedet. Er sollte den Klimawandel als Migrationsursache anerkennen. Am Ende aber fiel die Formulierung so aus, als sei klimabedingte Migration freiwillig. Die Internationale Organisation für Migration verwendet den Begriff «Umweltmigrant*in», aber auch dessen Eignung ist umstritten, denn der Begriff Migrant*in hat keine rechtliche Definition.

Die Industrieländer, die für den größten Ausstoß von Kohlendioxid verantwortlich sind, sind auch die größten Grenzschützer der Welt. Sieben der größten Treibhausgas­emittenten – unter anderem die USA, Deutschland und Frankreich – geben zusammen im Schnitt 2,3-mal so viel für Grenzkontrollen und kontrollierte Einwanderung aus wie für die Finanzierung klimawirksamer Maßnahmen.

In Deutschland forderte die Fluchtursachenkommission die Regierung 2021 auf, den Klimawandel als eine der Ursachen für künftige Migration zu berücksichtigen. Sie empfahl, die Länder des Globalen Südens bei der Bekämpfung des Klimawandels zu unterstützen, um Vertreibung und eine daraus resultierende Flüchtlingskrise in Europa zu verhindern. Dort, wo Migration am besten zur Anpassung und zur Rettung von Menschenleben geeignet ist, schlug das Expert*innengremium eine regionale und globale Zusammenarbeit vor, um Neuansiedlungsprogramme, reguläre Migrationswege und sogar Klimapässe für Menschen in Hochrisikogebieten zu schaffen. Dies sei ein starkes Symbol für den Flüchtlingsschutz auf der Grundlage der Menschenrechte. Deutschland müsse in die Anpassung an Klimarisiken im Globalen Süden investieren, etwa in Form widerstandsfähiger Infrastruktur, Frühwarnsystemen, Katastrophenschutz, humanitärer Hilfe, Entschädigungen und Wiederaufbau.

Hier liegt der Weg in die Zukunft. Ein menschenrechts- und migrationsbasierter Ansatz in der Politik der Länder des Globalen Nordens müsste anerkennen, dass niemand gezwungen werden will, seine Heimat zu verlassen. Solange die der Migration zugrunde liegenden Faktoren nicht in fairer und gerechter Weise angegangen werden und der Globale Norden an seiner Politik der Eindämmung und Zurückdrängung von Migration festhält, werden Migrant*innen gezwungen sein, andere und oft gefährliche Wege zu suchen, um zu überleben.

Dieser Artikel ist eine Vorab-Veröffentlichung aus dem Atlas der Migration, Ausgabe 2022:

Karten – Klima – Kriege

Allein durch Waldbrände verloren in den letzten Jahren mehr als 1 Million Menschen ihre Existenzgrundlage und mussten sich anderswo ein neues Leben aufbauen. Der Krieg in der Ukraine zwang bereits mehr als 7 Millionen Menschen in die Flucht. Aber auch wenn zu wenig junge Menschen in den Arbeitsmarkt nachwachsen, scheint gezielte Einwanderung als Lösung.

Migration ist kein gesellschaftlicher Sonderfall, sondern alltägliche Realität. Das hat schon die erste Ausgabe des Atlas der Migration 2019 bewiesen.

Der neue Atlas 2022 bringt neue Themen, Zahlen und Grafiken in die immer noch erhitze Debatte um Migration und Zuwanderung ein.

Neue Doppelseiten zu Flucht und Klima, dem Krieg in der Ukraine aber auch zur Kettenmigration am Beispiel von Arbeit in der Pflege und in der Landwirtschaft nähern sich anschaulich dem Phänomen von Migration. Länderbeispiele zu Polen, Griechenland und Bosnien zeigen ganz praktisch, was es für die jeweiligen Gesellschaften heißt, wenn viele Menschen kommen oder gehen. Kritisch hinterfragt wird auch die politische Instrumentalisierung der Kartografie in ihrem jeweiligen Design von großen Pfeilen, verwirrenden Symbolen und verzerrten Maßstäben.

Der neue Atlas der Migration 2022 erklärt verständlich und anschaulich auf 25 Doppelseiten mit zahlreichen Grafiken, Daten und Fakten zu Menschen in Bewegung in Deutschland und weltweit. Er wird ab dem 10. November 2022 unter www.rosalux.de/atlasdermigration auf Deutsch und unter www.rosalux.de/atlasofmigration  auf Englisch kostenlos zum Download zur Verfügung stehen.