Nachricht | International / Transnational - Amerikas Revolutionen: Utopien schaffen – Realitäten verändern

Eine der großen Revolutionen des 20. Jahrhunderts fand 1910 in Mexiko statt – noch vor der russischen. Das Festprogramm der Regierung zum 100. Jahrestag bestand vor allem in einer ausufernden Ehrung von Revolutionshelden wie Emiliano Zapata und Pancho Villa.

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Die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Mexiko-Stadt hatte sich für 2010 das Ziel gesetzt, den offiziellen Feierlichkeiten die „alltäglichen Revolutionen“ entgegenzusetzen und sich dadurch auch mit dem Revolutionsbegriff auseinanderzusetzen. Dazu organisierte das Büro im Laufe des Jahres mehrere Veranstaltungen, in denen es um die Kämpfe für die Arbeitsrechte der MigrantInnen in den USA ging, um die  Bewegungen für sexuelle Diversität, um die Auseinandersetzungen für das Recht auf Stadt[1], das Recht auf Selbstbestimmung der Frauen über ihre Körper, um die  Bedeutung von Rosa Luxemburg und die Beteiligung von Frauen in der guatemaltekischen Guerilla.

Diese Veranstaltungsreihe gipfelte in einer Konferenz Ende November. Bei der Podiumsdiskussion am Freitag, dem 26. November, an der etwa 170 Personen teilnahmen, sprachen der deutsche Autor und Publizist Jörn Schütrumpf, die argentinische Philosophin Isabel Rauber, die salvadorenische Ex-Kommandantin der Guerilla und heutige Abgeordnete der FMLN Nidia Díaz sowie der mexikanische Schriftsteller Paco-Ignacio Taibo II. Thematisiert wurde Rosa Luxemburg und ihre Konzeption von Revolution sowie Bedeutung und Auswirkungen der mexikanischen Revolution auf die Guerillabewegungen in Zentralamerika. Vor der Veranstaltung stellte Jörn Schütrumpf sein Buch “Rosa Luxemburg oder der Preis der Freiheit” vor. Fritz Glockner präsentierte sein Buch über Rubén Jaramillo, einen wichtigen mexikanischen Revolutionär und Bauernführer. Begleitet wurden die beiden Buchvorstellungen von Paco Ignacio Taibo II und der Brigade “Für das Lesen in Freiheit“. Die Brigade verlegt Bücher und organisiert Buchpräsentationen und Diskussionen in öffentlichen Räumen wie Suppenküchen, Schulen, Parks und Armenvierteln. Dabei werden die Bücher entweder verschenkt oder zu einem besonders günstigen Preis abgegeben. Zu den von der Brigade herausgegebenen Büchern gehören Gedichte von Bertolt Brecht, Anthologien über den Vietnamkrieg und die mexikanische Unabhängigkeit sowie über die Studentenbewegungen von 1968.

Am Folgetag diskutierten etwa 150 TeilnehmerInnen in fünf Arbeitsgruppen über die historischen Kämpfe, die Erfolge, die Niederlagen und die zukünftigen Strategien verschiedener sozialer Bewegungen - ein Labor des Wissens. Es ging um feministische Revolutionen, die Revolutionen des “Buen Vivir”[2], die Revolutionen für die sexuelle Diversität, die bewaffneten Bewegungen in Zentralamerika und die Revolutionen der MigrantInnen. Fragestellungen wie: „Was bedeuten Revolutionen für mich? Welche Revolutionen und politischen Bewegungen haben mich geprägt oder waren von besonderer Bedeutung in meinem Leben?“, luden zum Austausch ein. In den Gruppen ging es um die Reflektion über die bisherigen Kämpfe aber auch um die Probleme und Strategien für die Zukunft. Sogar nach Stunden wurden die TeilnehmerInnen nicht müde zu diskutieren – ein Zeichen für die Relevanz dieser Auseinandersetzungen.

Susanne Willers ist Praktikantin im Regionalbüro Mexiko



[1] “La carta por el derecho a la ciudad” wurde verhandelt und unterzeichnet auf Initiative von dem Projektpartner HIC-AL von verschiedenen zivilgesellschaftlichen Gruppen und der Regierung von Mexiko-Stadt (http://www.hic-al.org/comite.cfm).

[2]Sumac kawsay” oderBuen Vivir” (Gutes Leben) ist ein Konzept, dass in Bolivien nach einem Referendum bereits als Grundrecht in der neuen Verfassung verankert worden ist und in Ecuador von der Verfassungsversammlung diskutiert wurde. “Buen Vivir” war auch zentrales Symbol beim Welt-Sozialforum in Belem 2009” (http://amazonia.aler.org/index.php/buen-vivir, 09.09.2010).